Umstrittene "Begräbnisreform" in China:Auf Leichen gebaut

An ancestral tomb, measuring 10 metres high and a surface area of 10 square metres, is seen on the construction site of a building in Taiyuan, Shanxi province

Auf dieser Baustelle in Taiyuan wehrt sich eine Familie noch gegen die Zerstörung eines Ahnengrabs.

(Foto: Jon Woo/Reuters)

Kaum etwas ist den Chinesen wichtiger als die Gräber ihrer Ahnen, kaum etwas brauchen sie jedoch mehr als Nutzland. Nun lassen Politiker das eine zerstören, um das andere zu bekommen - das Volk ist entsetzt.

Von Kai Strittmatter, Peking

Die Vorgaben von oben waren auch für einige der Funktionäre vor Ort in dem Flecken der Provinz Henan zunächst schockierend. Schwierig waren sie zudem: Kein einziges Grab, so hieß es, dürfe übrig bleiben. Im Kreis Fugou ersannen sie deshalb einen Wettbewerb: Ein Preisgeld von 300.000 Yuan, umgerechnet 37.000 Euro wurde ausgelobt für die Dörfer, die die Arbeit am gründlichsten erledigten, die schnellsten drei sollten sich zudem mit dem Titel "erstklassige Ortschaft" schmücken dürfen. Die Parteikader sollten zunächst "ideologische Arbeit im Verwandtenkreis erledigen". Und dann "mit gutem Beispiel vorausgehen". Also eigenhändig die Gräber ihrer Eltern und Großeltern zerstören. Die Dörfer bekamen genau drei Tage Zeit. Jedes Grab, das dann noch stand, wurde mit Strafe belegt.

Fugou liegt nicht irgendwo. Es gehört zum Gebiet der Stadt Zhoukou. Chinesisches Herzland, Zhoukou ist eine der ältesten Städte Chinas. Eine äußerst berühmte Grabstätte liegt hier, die von Fuxi, jenem mythischen Herrscher, der den Chinesen, so die Überlieferung, Barbarei und Matriarchat austrieb, und ihnen dafür Moral und Zivilisation brachte. Fuxi schenkte dem Volk angeblich nicht nur das "Yijing" (als Orakelbuch heute auch im Westen populär), sondern auch die Institution der Ehe und führte die Opfer an den Himmel und die Ahnen ein.

Der Respekt vor den Älteren und den Ahnen - bis heute ist das einer der am tiefsten verwurzelten Wesenszüge chinesischer Tradition. Dazu gehören die Unversehrtheit der sterblichen Überreste ihrer Anvertrauten, die sorgfältige Suche nach einem guten Grabplatz und die rituelle Pflege am "Grabfegetag". Einer der übelsten Flüche, den man dem Gegenüber ins Gesicht werfen kann, ist der, die Gräber seiner Ahnen sollen umgegraben werden.

Alle Gräber sollen verschwinden

Als die öffentlichen Lautsprecher im Dorf Hetao am 15. Oktober den Bewohnern eröffneten, man habe nun die Ehre, am "Begräbnisreformprogramm" teilzunehmen, konkret also "Gräber einzuebnen, um Ackerland zu gewinnen", da fügte sich der 70 Jahre alte Parteiveteran Zhang Fang zunächst: Er half eigenhändig, die Grabhügel seiner Eltern abzutragen. Als dann aber noch der Befehl kam, auch die am Rand stehenden Grabsteine seien zu vergraben, da protestierte er. "Die Grabsteine? Die nehmen doch keinen Platz weg", sagte Zhang Fang der Neuen Metropolenzeitung. "Außerdem bleibt den Menschen dann ja kein Ort mehr, an dem sie ihrer Verstorbenen gedenken können." Es half nichts.

Die Stadtregierung von Zhoukou stellte ihr ehrgeiziges Vorhaben im März dieses Jahres vor: In Zukunft wird nur mehr Einäscherung erlaubt. Innerhalb von drei Jahren sollen im Verwaltungsgebiet alle Gräber verschwinden. Ausgegrabene Überreste werden in Krematorien überführt. Die Beamten wussten, dass sie keine leichte Aufgabe vor sich hatten: "Bevor wir die Gräber in den Feldern einebnen", sagte Meng Qingwu vom Amt für zivile Angelegenheiten, "müssen wir zuerst die Gräber in den Köpfen der Menschen einebnen."

Trauer und Unverständnis beim Volk

Es ging dann erstaunlich schnell: Anfang November erschien ein Arbeitsbericht mit der Erfolgsmeldung: Von 3,5 Millionen Gräbern waren schon 2.346.000 zerstört. Als der Bericht landesweit bekannt wurde, brach der Sturm der Entrüstung los, auch in den Reihen der Parteitreuen. "Ich bin sprachlos, meine Tränen fließen ohne Ende", schrieb Chu Jixue, ein KP-Funktionär in Peking, in einem Zeitungskommentar. Das Familiengrab Chus in seiner Heimat Zhoukou war soeben von Bulldozern plattgewalzt worden.

Die Kampagne "stinkt zum Himmel", fand die Pekinger Global Times. Und eine Gruppe von Akademikern veröffentlichte eine Petition gegen die "brutale, barbarische" Aktion. Der in Zhoukou beheimatete Regisseur Chen Fang drehte eine "Gangnam-Style"-Parodie, die auf Youku, - Chinas Youtube-Kopie - schnell auf mehr als eine Million Klicks kam: "Pingfen-Style" ("Grab-platt-Style"). Eine Armee weiß geschminkter Zombies steigt aus den Gräbern von Zhoukou, dazu die Verse: "Ich habe keinen Beamtenjob und keine Green Card / Ich habe keine Rechte / Wer gräbt denn hier? Allein für seinen Profit? / Deine Ahnen, meine Ahnen sind bloß arme Würmer".

Die Ahnen müssen weichen

Dem 70-jährigen Zhang Fang im Dorf Hetao blieb am Ende nichts anderes übrig, als mit Verwandten auf dem Feld eine Grube zu graben, in die sie den Grabstein hineinfallen lassen wollten. Der Schwager wollte gerade mit seinem Spaten aus der Grube steigen, da geschah es: Der tonnenschwere Grabstein kippte um. Die Frau des dritten Sohnes wurde begraben, nur ihr Arm ragte noch hervor. Dem Schwager wurde ein Arm zerschmettert, der Spaten zertrennte ihm eine Arterie im Schenkel. Auch er starb noch vor Ort. Im Internet gab es später auch Kommentare wie: "Geschieht ihm recht!" Weil Zhang Fang doch mit gutem Beispiel hatte vorangehen wollen.

China ist groß, aber Wüste und Berge lassen nicht viel Ackerland. Die Regierung hat um der Versorgung mit Getreide willen eine rote Linie festgelegt: Die Fläche an bebaubarem Land in China darf nie unter 120 Millionen Hektar fallen. Gleichzeitig stehen die Beamten in Städten und Dörfern unter Druck: Lokale Gemeinden finanzieren sich fast ausschließlich über Landverkauf. Der Verkauf von Bauernland ermöglicht Urbanisierung und Entwicklung (und damit Karrieresprünge) - er ermöglicht aber auch gigantische Korruption auf Seiten der Funktionäre.

Land ist Geld

Auch viele Kritiker der Gräberzerstörung sehen die Landknappheit in China und befürworten die Propagierung von Einäscherung. Zwei Dinge empören sie jedoch. Zum einen das erbarmungslose Vorgehen der bürokratischen Maschinerie. "Ein Überbleibsel der Kulturrevolution", sieht darin der Pekinger Landwirtschafts-Professor Zheng Fengtian. Zudem ist der Verdacht weit verbreitet, die Funktionäre wollten sich durch den Landgewinn bereichern. Die Kampagne "zur Gewinnung von Ackerland" sei nur eine Ausrede, meint Professor Zheng: "Land ist Geld. Ackerland ist hundertmal so viel wert, wenn man es verkauft." Der Ökonom Xu Xiaonian schrieb: "So stark ist die Korruption mittlerweile, dass sie selbst unsere Vorfahren nicht mehr verschont."

In dem Acker bei Hetao lagen die Leichen von Schwiegertochter und Schwager einen Tag und eine Nacht unter dem Grabstein, ohne dass jemand von der Gemeinde gekommen wäre, um sie zu bergen. Da reichte es dem alten Zhang. Gemeinsam mit seinem Sohn barg er die Toten. Sie luden sie auf einen Wagen und fuhren damit vor das Gebäude der Kreisregierung. Dort bahrten sie die beiden auf. Noch in der Nacht wurden der Sohn und zwölf Verwandte von der Polizei abgeholt und einen Tag festgehalten. Das war am 22. Oktober.

Politiker geben nicht auf

Zwei Wochen später hielt die Provinzregierung eine Sitzung zum Thema Begräbnisreform. Vizegouverneur Wang Tie lobte die Stadt Zhoukou als "leuchtendes Vorbild", von dem alle anderen Städte lernen müssten. Er wolle, erklärte er, den Kadern dort persönlich einen Bonus von drei Millionen Yuan vorbeibringen.

Am 16. November - die landesweite Empörung hatte mittlerweile Fahrt aufgenommen - änderte die Zentralregierung in Peking die Bestattungsregeln: Lokalen Gemeinden soll es nun nicht mehr erlaubt sein, die Bürger zur Einäscherung ihrer Verstorbenen zu zwingen. Daraufhin gab es Berichte, die Stadt Zhoukou habe ihre Kampagne eingestellt. Bis deren Beamte sich wieder zu Wort meldeten: Alles falsch. In Zhoukou geschehe eh alles "freiwillig". "Wegen ein paar Debatten im Internet geben wir den Plan nicht auf", sagte Hu Chaoyang vom Amt für zivile Angelegenheiten in Zhoukou.

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