Umstrittene Abfindung:Ende eines Dienstverhältnisses

Jetzt hat er bekommen, was er verdient: Ein wegen Körperverletzung verurteilter Chirurg erhält 1,98 Millionen Euro Abfindung - sein Grundgehalt bis 65 plus einem Zuschlag für die Pension.

Werner Bartens

Jetzt hat er bekommen, was er verdient. Das Grundgehalt bis 65 plus einen Zuschlag für die Pension. Hans Peter Friedl, ehemaliger Chef der Unfallchirurgie in Freiburg, erhält 1,98 Millionen Euro Abfindung. Die Universität Freiburg, das Land Baden-Württemberg und Friedl haben sich in dieser Woche darauf geeinigt, dass das Beamtenverhältnis des wegen Körperverletzung verurteilten Arztes damit beendet ist.

Umstrittene Abfindung: Von Freiburg in die Rocky Mountains: Hans Peter Friedl ist mit fast zwei Millionen Euro abgefunden worden.

Von Freiburg in die Rocky Mountains: Hans Peter Friedl ist mit fast zwei Millionen Euro abgefunden worden.

(Foto: Foto: dpa)

"Weitaus höhere Beträge waren im Spiel", sagt Wolfgang Holzgreve, Ärztlicher Direktor des Klinikums. "Wir haben die Summe gedrückt, so weit es ging." Rechtsanwalt Michael Albert, dessen Mandantin von Friedl operiert wurde und die bis heute an den Folgen einer Knocheninfektion leidet, ist empört. "Man kann sich nur an den Kopf fassen", sagt der Jurist. "Kriminelles Verhalten wird mit zwei Millionen belohnt, während eine Kassiererin wegen 1,30 Euro ihren Job verliert."

Kein Job mehr seit dem Jar 2000

Seinen Job ist Friedl schon seit Frühjahr 2000 los - zumindest ist er seit dieser Zeit vom Dienst suspendiert. In Freiburg hat er seitdem weder als Arzt noch in Lehre oder Forschung gearbeitet. Das Grundgehalt eines C4-Professors hat der Mediziner, der im Mai 49 Jahre alt wird, trotzdem stetig weiter bezogen. Es dürfte bei 6000 Euro brutto monatlich liegen.

Im Jahr 2003 musste sich Friedl vor dem Landgericht Freiburg verantworten. Die Staatsanwaltschaft war aktiv geworden, weil Ärzte wie Patienten von Operationsfehlern, Infektionen und chronischen Schäden berichteten. Die Richter sprachen den Unfallchirurg in drei Fällen der fahrlässigen und in einem Fall der vorsätzlichen Körperverletzung für schuldig, hielten sich aber an ein geringes Strafmaß: Friedl wurde zu 270 Tagessätzen zu 90 Euro verurteilt - zusammen 24.300 Euro. Der Staatsanwalt hatte 100.000 Euro Geldstrafe, drei Jahre Berufsverbot und zwei Jahre Bewährungsstrafe beantragt, die zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geführt - und der Universität Freiburg juristischen Streit und viel Geld erspart hätte.

"Natürlich hinterlässt die jetzige Regelung viel Unmut", sagt Wolfgang Holzgreve. Das Klinikum hatte zwischenzeitig das Gehalt von Friedl halbiert, der seit 2000 in den kanadischen Rocky Mountains lebt und offenbar in eine Firma für Flugzeugbauteile eingestiegen ist. Auf Betreiben von Friedls Anwälten musste die Kürzung zurückgenommen werden. "Der Beamtenstatus bietet maximalen Schutz", sagt Holzgreve. "Da muss schon viel passieren, bis man jemanden aus dem Dienst entfernen kann."

Ein Katalog der Kunstfehler

Eigentlich ist in der Freiburger Unfallchirurgie viel passiert. Die Vorwürfe, die vor dem Landgericht gegen Friedl erhoben wurden, lasen sich wie ein Musterkatalog der Kunstfehler. Bei einer Operation wurde ein Bauchtuch zur Blutstillung im Brustkorb vergessen, ein andermal brach bei einer Schulteroperation die Bohrerspitze ab und wurde unter falschem Vorwand bei einem neuen Eingriff geborgen. Schienen zur Beinverlängerung wurden falsch montiert, lebensbedrohliche Infektionen nicht erkannt oder nicht ausreichend behandelt.

"Als C4-Professor kann man sich offenbar kriminelle Vergehen in beträchtlichem Umfang leisten, bevor man bestraft wird", sagt Michael Albert. "Und dafür, dass man nicht mehr arbeiten darf, bekommt man dann 1,98 Millionen." Schon nach dem Prozess in Freiburg reagierte der Anwalt mit Unverständnis auf das milde Urteil. Schwer zu sagen, welche Zeugenaussagen damals erschütternder waren: jene der Patienten, die von Schmerzen und bleibenden Schäden berichteten? Oder die Bekenntnisse von Friedls früheren Mitarbeitern, die aus Angst, vorauseilendem Gehorsam und fehlender Zivilcourage mit ansahen, wie notwendige Eingriffe nicht erfolgten und Komplikationen vertuscht wurden? Der "Fall Friedl" wurde zum Lehrstück über mangelnde Selbstkritik und fehlende Selbstreinigungskräfte des ärztlichen Standes.

So missglückte dem Unfallchirurgen Friedl bei einer 23-jährigen Patientin eine Beinverlängerung, die nach einem Verkehrsunfall nötig geworden war. Es kam immer wieder zu Infektionen - bis heute leidet sie an einer chronischen Knochenentzündung. "Ich habe Herrn Friedl täglich darauf hingewiesen, dass wir handeln müssen, als bei der Frau das Bein anschwoll und eine Blutvergiftung drohte", sagte eine Oberärztin vor Gericht. "Er meinte, er sehe das anders. Er war der Chef." Kann es sein, wunderten sich die Freiburger Richter, dass es von der Hierarchie in der Medizin abhängt, ob ein Mensch überlebt?

Jüngster chirurgischer Ordinarius

Dabei galt Hans Peter Friedl anfangs als Hoffnungsträger. Als 37-Jähriger wurde er 1997 zum Ärztlichen Direktor der Freiburger Unfallchirurgie berufen - seinerzeit der jüngste chirurgische Ordinarius Deutschlands. Die Klinikleitung war von dem korrekt gescheitelten Mediziner zunächst angetan. Die Freiburger Gesellschaft ließ sich von dem Chirurgen behandeln - er operierte das Knie des Universitäts-Rektors, die Sprunggelenke der SC-Freiburg-Kicker und andere Patienten, die sich nur von Chefärzten behandeln lassen wollen.

"Doch bald häuften sich die Vorfälle, die ich nicht verstanden habe", sagte die Oberärztin. Patienten wurden über den Verlauf einer Operation im Unklaren gelassen. "Das Wort Eiter durften wir nicht benutzen", erinnerte sich ein Assistenzarzt. "Das war Befehl." Mehrere Oberärzte beschwerten sich bei der Klinikleitung über geschönte Arztbriefe, OP-Fehler und nicht behandelte Infektionen. Reaktionen gab es zunächst keine. "Nicht nur mit Herrn Friedl konnten wir nicht über Komplikationen reden, auch eine Etage höher verhallten unsere Anfragen ohne Konsequenz", sagte einer der Oberärzte. Eine Assistenzärztin schilderte ihre Reaktion: "Wir haben schlechte Witze gemacht. Dabei hätten wir gehen sollen."

Für einen Patienten hatte die Untätigkeit fatale Folgen. Im September 1999 wurde der 39-Jährige von Hans Peter Friedl operiert. Bei dem komplizierten Eingriff am Becken schraubte der Chirurg versehentlich oder aus Unvermögen eine Metallplatte auf die das Bein versorgende Schlagader, durchtrennte sie fast. Mit einer Schraube perforierte er die große Beckenvene. Das Bein des Rumänen blieb zwölf Stunden ohne Blutversorgung. Seither kann er nur mit Krücken gehen. Sein linkes Bein kann er nicht spüren und nicht belasten.

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Ende eines Dienstverhältnisses

Die Stimmung vor Gericht schlug um

Anfangs war der medizinische Gutachter, ein erfahrener Chirurg, vor Gericht wohlwollend Friedl gegenüber eingestellt. Als er jedoch die Fotos sah, die von der Revisionsoperation gemacht wurden, schüttelte er nur den Kopf. "Das ist Freistil!", schnaubte er. "Hier wurden keine Strukturen freigelegt, bevor die Knochenplatte aufgeschraubt wurde. Der Zugang zum Operationsgebiet ist in keiner Weise ausreichend und nicht nach üblichen Standards erfolgt."

Trotz dieses dramatischen Zwischenfalls machte sich das Freiburger Klinikum erst an die Aufklärung der Vorwürfe, als die Medien den Fall längst aufgegriffen hatten. "Die Informationen müssen irgendwo in der chirurgischen Klinik stecken geblieben sein", versuchte Hermann Frommhold, der damalige Ärztliche Direktor des Klinikums, die Untätigkeit der Klinikleitung zu erklären. Dabei konnte das Klinikum auf Erfahrung im Krisenmanagement zurückgreifen. Von der Abteilung des Krebsmediziners Roland Mertelsmann ging der bundesweit bisher größte Fälschungsskandal aus - er hatte die Klinik über Jahre erschüttert.

Der Skandal um die Sportmediziner, die als Doping-Helfer agiert hatten, sollte noch kommen. Während des Gerichtsverfahrens distanzierte sich die Leitung des Klinikums von ihrem Chirurgen und versuchte die Affäre Friedl als "bedauerlichen Einzelfall" zu sehen. Fehler bei der Berufung? "Jugend an sich ist kein Nachteil", sagte Hermann Frommhold damals, "Sie hätten mal Friedls Bewerbung sehen sollen." Der junge Chirurg wurde unter elf Konkurrenten ausgewählt.

Dass bei einer Blitzkarriere klinische Erfahrung, operatives Geschick und Menschenkenntnis auf der Strecke bleiben können, schien dem Berufungsgremium nicht klar gewesen zu sein. "Wir haben die soziale Kompetenz Herrn Friedls wohl nicht richtig eingeschätzt und Defizite in seiner Personalführung zu spät erkannt", sagte Hermann Frommhold später. Vor dem Freiburger Landgericht zeigte Friedl keine Reue. Er sah sich als Opfer einer Verschwörung. Sein einziger Fehler sei es gewesen, sagte er in einer Verhandlungspause, nach Freiburg gekommen zu sein, "wo man ja nichts verändern wollte". Er sprach auch immer wieder von "Schrott" und "Material". Damit meinte er die Ärzte, die er in seiner Abteilung übernommen hatte.

Das milde Urteil begründeten die Richter auf eigenwillige Weise. So wertete es das Gericht als entlastend für Friedl, dass Akten zu den folgenreichsten Fällen nicht aufzufinden waren. Nur wenige Unterlagen tauchten auf - in Friedls Keller und unter dem Sofa in seinem Büro. Als strafmildernd sah es der Vorsitzende Richter auch an, dass es nach dem in der Öffentlichkeit diskutierten Verfahren für Friedl aussichtslos sei, in Deutschland wieder einen vergleichbaren Posten zu bekommen. Dieses Muster ist aus Fälschungsfällen in der Forschung bekannt: Die Ächtung unter Fachkollegen wird als so gravierende Strafe bewertet, dass es offenbar keiner deutlichen juristischen Verurteilung mehr bedarf.

Während Prozessbeobachter wie Anwalt Albert fassungslos auf die Höhe der Abfindung reagieren, gibt sich Klinikchef Holzgreve pragmatisch: "Das Urteil von 2003 wurde immer wieder bestätigt. Irgendwann war uns klar, dass wir sonst bis zu Friedls Lebensende hätten zahlen müssen."

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