Überlebender des Attentats in Orlando:"Ich will einfach nur mein Leben zurück"

Lesezeit: 3 min

Juan José Cufiño Rodriguez (im Rollstuhl) mit seiner Familie ein Jahr nach dem Anschlag. (Foto: oh / Juan Jose Cufiño Rodriguez)

Juan José Cufiño Rodriguez hat den Anschlag auf den Nachtclub Pulse in Orlando schwer verletzt überlebt. Im Gespräch erzählt er von der Schreckensnacht - und dem Überlebenskampf danach.

Protokoll von Beate Wild

Juan José Cufiño Rodriguez ist nur zu Besuch in den USA, als er mit seinem Partner und Freunden den Nachtclub "Pulse" in Orlando besucht. Zwei Tage später will er in seine Heimat Kolumbien zurückkehren. Doch daraus wird nichts.

Ein Mann stürmt schwer bewaffnet in den Nachtclub, schießt auf die Besucher, 49 Menschen sterben, mehr als 50 werden verletzt. Cufiño Rodriguez erleidet so schwere Verletzungen, dass er erst Monate später als letzter der Überlebenden das Krankenhaus verlassen darf. Der 31-Jährige sitzt im Rollstuhl. Vor zwei Wochen erst ist er nach Kolumbien zurückgekehrt.

Cufiño Rodriguez spricht kein Englisch, nur Spanisch. Als wir ihn am Telefon in Bogotá erreichen, klingt seine Stimme leise und erschöpft. Beim Erzählen macht er manchmal lange Pausen.

"Es war zwei Tage, bevor ich zurück nach Kolumbien fliegen sollte. Wir wollten einen Geburtstag feiern, deshalb sind wir ins Pulse gegangen. Wir waren zu sechst, mein Freund Jean Carlos war auch dabei. Es war alles wunderbar, ich habe noch dieses Selfie von uns allen gemacht, dann ist plötzlich dieser Typ aufgetaucht. Er hat angefangen, herumzuschießen. Leute haben geschrien und sind zu Boden gegangen. Plötzlich herrschte überall Chaos.

Ein Selfie mit seinen Freunden machte Juan José Cufiño Rodriguez im Nachtclub Pulse eine Stunde vor der Schießerei. Vier der Freunde überlebten den Anschlag nicht. (Foto: oh / Juan Jose Cufiño Rodriguez)

Ich stand direkt vor dem Schützen, aber ich konnte sein Gesicht nicht sehen, es war zu dunkel. Ich habe noch gerufen, dass er aufhören soll, dann haben mich die Kugeln getroffen. Eine in den rechten Arm, zwei in mein Bein und während ich hingefallen bin, noch eine in den Rücken.

Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist das Krankenhaus. Nach drei Monaten im künstlichen Koma bin ich in einem Krankenbett aufgewacht. Anfangs wusste ich nicht, wo ich bin. Als mir die Ärzte dann erzählt haben, was passiert ist, sind alle Erinnerungen zurückgekommen. Auf einmal wusste ich wieder genau, was in jener Nacht passiert war. Ich habe dann erfahren, dass vier meiner Freunde gestorben sind. Und dass ich nicht mehr gehen kann.

Insgesamt bin ich 30 Mal operiert worden. Sie haben mich nach 140 Tagen aus dem Krankenhaus entlassen. Dann war ich noch 60 Tage in einer anderen Klinik zur Reha. Glücklicherweise habe ich ganz liebe Freunde, die mir geholfen haben. Zur Reha muss ich heute immer noch, ich werde noch eine Weile brauchen, bis es mir wirklich besser geht. Aber da ich nicht die finanziellen Mittel habe, kann ich mir eine professionelle Therapie nicht leisten. Das ist auch einer der Gründe, warum ich zurück wollte nach Bogotá. Hier sind meine Freunde und meine Familie. Sie unterstützen mich. Meine Schwester ist glücklicherweise Krankenschwester und kann mit mir die notwendigen Übungen machen.

Ein Jahr nach dem Attentat in Orlando
:Trauma und Neuanfang am Jahrestag des Anschlags

49 Menschen wurden beim Angriff auf den Nachtclub Pulse in Orlando getötet. Heute, exakt ein Jahr später, beschwört die Stadt die Solidarität aus den Tagen nach dem Attentat. Überlebende, Angehörige und Retter kommen zusammen.

Von Johannes Kuhn

Ich muss noch jeden Tag unzählige Medikamente und Schmerzmittel einnehmen. Früher war ich Sportlehrer, heute kann ich mich nicht alleine anziehen und brauche Hilfe auch bei vielen anderen Dingen im Alltag. Meine Mutter ist für mich da und ich bin sehr froh, dass ich meinen zehnjährigen Sohn habe. Ich habe nur einen einzigen Wunsch: dass es mir langsam besser geht. Dass ich mit der Reha vorankomme. Ich will einfach nur mein Leben zurück.

Kontakt mit Freunden, die das Attentat ebenfalls überlebt haben, habe ich immer noch. Wir schreiben uns regelmäßig, das hilft mir, alles zu verarbeiten. Ich habe auch überlegt, ob ich alles, was passiert ist, aufschreiben soll. Das wäre für mich eine Art Therapie und so könnte ich anderen meine Geschichte erzählen.

Wenige Stunden vor dem Attentat: Juan José Cufiño Rodriguez (rechts) mit seinem Partner Jean Carlos, der bei der Schießerei ums Leben kam. (Foto: oh / Juan Jose Cufiño Rodriguez)

Das Hauptübel sind für mich die Waffen. Ich kann nicht verstehen, wieso die US-Regierung den Zugang zu Waffen nicht besser reguliert. Ich hoffe einfach, dass sich das, was im Pulse passiert ist, nie mehr wiederholt.

Der Jahrestag des Anschlags ist für mich sehr, sehr traurig. Weil ich so viele Leute verloren habe, die ich gern hatte. Mein Freund Jean Carlos ist auch ums Leben gekommen. Seine Familie werde ich heute anrufen. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich eines Tages nach Puerto Rico fliegen kann, um sein Grab zu besuchen.

© sz.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: