Überlebende besuchen Utøya:"Der zweitschlimmste Tag in meinem Leben"

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Sie haben sich hinter erschossenen Freunden versteckt, versuchten zu fliehen - und haben überlebt: Die Jugend der norwegischen Arbeiterpartei besucht vier Wochen nach dem Massaker den Ort des Schreckens, die Insel Utøya. Wie die Überlebenden einen Weg zurück in die Normalität suchen.

Auf den Klippen am Strand sitzen sie in der Sonne, andere stehen knietief im Wasser. Ein Mädchen deutet einen Kopfsprung an - sie zeigt ihren Angehörigen und Freunden, wie sie vor vier Wochen vor einem Massenmörder flüchtete.

Innehalten auf Utoya: Überlebende des Massakers auf der norwegischen Insel haben vier Wochen nach dem blutigen Anschlag erstmals wieder die Insel besucht. (Foto: dpa)

Die Jugendlichen, die an diesem sonnigen Samstag auf die norwegische Fjordinsel Utøya zurückkehren, haben ein Massaker überlebt - 69 ihrer Freunde starben, eiskalt erschossen vom rechtsradikalen Attentäter Anders Behring Breivik. Insgesamt gedachten 750 Menschen auf Utøya der Toten - neben Überlebenden auch engste Freunde oder Familienmitglieder.

"Ich weiß, dass das ein sehr harter Tag wird", schrieb der 21-jährige Überlebende Adrian Pracon am Morgen über den Kurznachrichtendienst Twitter. "Aber ich weiß auch, dass dies mir für die Zukunft eine Last nehmen wird." Und fügte hinzu: "Das wird der zweitschlimmste Tag in meinem Leben."

Blumen, Kerzen, Nachrichten

Am Vortag waren bereits Familien der Toten auf der Ferieninsel der Arbeiterpartei-Jugend. An ihren Blumen, Kerzen und Nachrichten gehen die Überlebenden nun vorbei. Es soll auch gegen die Schuldgefühle helfen, die viele von ihnen spüren - weil sie es schafften, ihre Freunde aber nicht.

Eine solche Begegnung könne für den Trauerprozess extrem wichtig, aber auch belastend sein, erklärt die Jugendpsychiaterin Grete Dyb. Sie hat Hinterbliebene bei ihrem Besuch auf der Insel betreut. "Wer den kleinsten Zweifel hat, herzukommen, sollte es nicht tun", rät sie. Später werde es weitere Gelegenheiten geben. Es sei schwierig einzuschätzen, ob es den Überlebenden wehtue oder helfe, an den Ort zurückzukehren, an dem sie um ihr Leben bangten. "Wir hoffen, es hilft langfristig."

Nicht die Rückkehr zur Insel, sondern die Rückkehr ins Leben dürfte für die meisten Jugendlichen die größte Herausforderung sein. "Sie müssen wieder in die Schule, treffen Freunde, die dieses Leid nicht mit ihnen geteilt haben, es nicht verstehen", sagt Dyb. Umso wichtiger sei es nun, noch einmal mit Gleichgesinnten zu sprechen.

"Es ist gut, etwas zu tun zu haben"

Viele der Überlebenden kämpfen noch mit dem Alltag. "Ich lobe mich selbst, wenn ich etwas Normales getan habe", sagt die 18-jährige Ingrid Endrerud in der Zeitung Dagsavisen. Sie hat, wie viele ihrer Freunde, das weiß-rote Armband mit der "Utøya"-Aufschrift nie abgenommen. Auch den Umzug nach Frankreich hat sie verschoben - bis nach dem Wahlkampf. "Es ist gut, etwas zu tun zu haben", sagt sie.

Dass sie ihr politisches Engagement nicht aufgeben, ist für viele Überlebende auch eine Art Therapie. Auch Prableen Kaur ist bereits wieder voll im Wahlkampf engagiert. "Unsere Antwort muss eine noch stärkere Demokratie sein. Darum hoffen wir, dass die Leute von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen", schreibt das Mädchen in ihrem Blog. "Offenheit soll unsere Gesellschaft weiter kennzeichnen."

Doch dieser Wahlkampf soll anders werden. "Wir hoffen, dass die Zeit bis zur Wahl von Würde geprägt ist. Dass wir ohne Vorurteile Vielfalt diskutieren können." Es sei gut, dass sich viele Jugendliche weiter engagierten, sagt auch Dyb. Doch sie warnt: "Sie müssen aufpassen, dass sie sich nicht auspowern, nicht zu viel von sich verlangen. Sie haben gerade nicht so viel Kraft wie sonst."

© dpa/Theresa Münch/AFP/plin - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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