Über die Bedeutung eines Rekordversuchs:Ein großer Sprung für Baumgartner, ein kleiner für die Menschheit

Felix Baumgartner wird nach seinem Rekordsprung mit Neil Armstrong verglichen. Doch haben die Astronautenlegende und der professionelle Adrenalin-Junkie wirklich etwas gemein? Und: Kann eine von einem Getränkehersteller finanzierte Aktion eine ähnliche Bedeutung haben wie die Mondlandung?

Jana Stegemann

Es gibt Sätze, die eine ganze Epoche prägen. Sätze wie Walter Ulbrichts Beteuerung "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten", John F. Kennedys Solidaritätsbekundung "Ick bin ein Berliner" oder George W. Bushs "Achse des Bösen". Gäbe es ein Ranking der bedeutendsten Sätze der Menschheit, müsste ganz vorne auch Neil Armstrongs Ausspruch vom 21. Juli 1969 stehen: "Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit."

Armstrong hatte sich eigentlich vorgenommen, statt "Sprung" im Nebensatz "Schritt" zu sagen, verhaspelte sich jedoch vor Aufregung - wie er Jahre später in einem Interview gestand.

Bei Felix Baumgartner ist am Sonntag hingegen keine Spur von Nervosität zu bemerken, dort oben in 39.045 Metern Höhe. Den Sprung, auf den der österreichische Extrem-Sportler seit mehreren Jahren hingearbeitet hat, leitet er mit den Worten ein: "Das ist wirklich hoch. Ich fliege jetzt zu dir zurück, kleine Erde." Über Funk kann man ihn klar und deutlich verstehen. Dann springt der 43-Jährige in die Tiefe, durchbricht als erster Mensch ohne technische Hilfsmittel die Schallmauer. Beinah nebenbei knackt er noch zwei weitere Weltrekorde.

Im Vorfeld waren eine Menge Spekulationen aufgekommen, was mit dem menschlichen Körper bei dieser Art von Extrembelastung passieren könnte. Fachleute hatten vor einem Platzen von Augäpfeln und Arterien gewarnt, vor einer Ohnmacht. Davor, dass sein Blut kochen könnte. Baumgartner juckte all das nicht.

Was ihn antreibt, weiß nur er. Angesichts seiner kalkuliert-coolen Rhetorik und seiner durchchoreografierten Jubelposen am Boden darf aber vermutet werden, dass "Fearless Felix" nicht zuletzt auch seine eigene Legende begründen will.

Mehr als acht Millionen Menschen haben den Sprung auf Youtube per Livestream verfolgt, behauptet ein Eintrag auf der Internetplattform. Die bisherige Youtube-Bestmarke lag bei sieben Millionen Zuschauern, aufgestellt bei der Amtseinführung von Barack Obama.

"Ein glücklicher, kleiner Wurm"

Doch zurück zu Neil Armstrong. Wie der das wohl gefunden hätte?

Während sich Armstrong seinerzeit also ehrfürchtig auf der Mondoberläche bewegte, salutiert Baumgartner vor seinem Absprung lässig. Nach zehn Minuten landet er sicher auf beiden Füßen, fällt auf die Knie und reckt die Arme. Direkt im Anschluss gibt er ein Interview: "Wenn man am Rande der Welt steht, wird man so demütig, dass man gar nicht nicht mehr daran denkt, Weltrekorde zu sammeln. Man will nur noch lebend zurückkommen", sagt er.

Red Bull Final Manned Flight in New Mexico,

Durchchoreografierte Siegergesten: Felix Baumgartner hat nach seinem körperlich anstrengenden Rekordsprung noch genügend Energie für coole Posen.

(Foto: dpa)

2010 traf der im vergangenen Juli verstorbene Amerikaner Armstrong das erste und einzige Mal auf den Österreicher. Bei Servus-TV saßen sich die Astronautenlegende und der professionelle Adrenalin-Junkie gegenüber. Auf die Mondlandung angesprochen, sagte Armstrong, er habe sich "wie ein glücklicher, kleiner Wurm" gefühlt. Es sei ihm eine Ehre gewesen, eine Mission auszuführen, auf die 400.000 Menschen 20 Jahre hingearbeitet hätten. Auf die Frage von Moderator Frank Schirrmacher, ob er sich ein Stück Mondstein mitgenommen hätte, antwortete er: "Ich hatte kein Recht auf ein Souvenir."

Was brachte dieser Flug an Erkenntnis?

Die nun in Kommentaren bemühte Analogie eines wissenschaftlich fragwürdigen Sprungs mit der Armstrong'schen Mondlandung hinkt nicht nur auf Ebene der Protagonisten gewaltig. Nun, man könnte einwerfen, auch die Raumfahrt brachte uns nur das Teflon. Aber was brachte dieser Flug an Erkenntnis? Es war wohl eher ein großer Spaß. Ein 50-Millionen-Dollar teurer Selbsterlebnistrip. Und in erster Linie war es ein gigantischer Werbe-Coup für Red Bull.

Sonntag war eh ein prima Tag für den österreichischen Getränkehersteller. Erst gewinnt Sebastian Vettel für den Red-Bull-Rennstall das Formel 1 Rennen in Südkorea und führt wieder die WM an. Und dann, etwas später am Tag, der Sprung aus dem Weltall.

So wird der glücklichste Mensch - nach Baumgartner - am Sonntag Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz gewesen sein. Der Milliardär und Vertriebsherr der Gummibärchenbrause steckte als Hauptsponsor etwa 50 Millionen Euro in den Sprung aus der Stratosphäre. Zwar ist jetzt bewiesen, dass Red Bull doch keine Flügel verleiht. Aber der unternehmenseigene Sender Servus-TV übertrug das Event live - die so erzielte Werbewirkung dürfte um ein Vielfaches höher sein als das Investment. Felix Baumgartner hat sich seinen Platz im Guinness-Buch der Rekorde gesichert, Red Bull hat Marketing-Geschichte geschrieben.

Ein großer Schritt für Baumgartner, aber nur ein kleiner für die Menschheit.

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