U-Bahn-Schläger vor Gericht:"Meine Tat ist eine Schweinerei"

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Er schlug einem anderen Mann eine Plastikflasche ins Gesicht, dann trat er das Opfer mit den Füßen gegen den Kopf: In Berlin steht ein 18-Jähriger wegen versuchten Totschlags vor Gericht - und schildert den Tathergang fast emotionslos.

Florian Fuchs, Berlin

Es ist ein nahezu emotionsloser Auftritt. Torben P. sitzt am Dienstag in Saal 700 des Landgerichts Berlin, er trägt ein blaues Hemd und verschränkt die Finger auf dem Holztisch vor sich. Seine Aussage liest er ab, er bleibt dabei immer im gleichen monotonen Tonfall, selbst als er sich entschuldigt und sagt: "Meine Tat ist eine Schweinerei." Nur einmal seufzt der 18-Jährige und blickt nach unten auf den Boden. Es ist der Moment, als der Richter der Jugendkammer ankündigt, nun das Video von der Überwachungskamera des U-Bahnhofs Friedrichstraße ansehen zu wollen.

Bereuen ihre Tat: Der wegen versuchtem Totschlags und gefährlicher Körperverletzung angeklagte Torben P. und Helfer Nico A. vor Prozessbeginn im Landgericht Berlin. (Foto: dpa)

Die Aufnahmen vom 23. April sind bekannt. Sie liefen oft in den Nachrichten, und sie haben nicht nur in Berlin Entsetzen ausgelöst. Wer will, kann sie sich bis heute im Internet anschauen. Auf dem Video aus der Nacht auf den Ostersamstag schlägt Torben P. einem anderen Mann eine Plastikflasche ins Gesicht, dann tritt er seinem am Boden liegenden Opfer mit den Füßen gegen den Kopf. Neben ihm steht sein Freund Nico A., er schreitet nicht ein, im Gegenteil: Als ein Passant versucht, P. von seinem Opfer wegzureißen, hilft er seinem Kumpel und schlägt nach dem Helfer. Danach fliehen beide.

Schon wieder ein Angriff in der U-Bahn, hieß es damals. Schon wieder waren die Täter Jugendliche. Die Staatsanwaltschaft hat Torben P. wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Sein Freund Nico A. sitzt nun mit ihm auf der Anklagebank, er muss sich wegen unterlassener Hilfeleistung und Körperverletzung verantworten. Die Staatsanwaltschaft ist der Überzeugung, dass die beiden Jugendlichen auf dem Bahnsteig der Linie U6 einen Streit mit dem Opfer Markus P. provoziert haben. Der 29-jährige Handwerker erlitt bei dem Angriff einen Nasenbeinbruch und ein Schädel-Hirn-Trauma. Noch heute leidet er unter Schlafstörungen, er befindet sich in psychiatrischer Behandlung.

Vor Gericht sagt Torben P., dass er sich für seine Tat schäme. Er wolle sich nicht rechtfertigen, er könne sich den Angriff auch nicht erklären. Er sagt aber auch: "Ich erkenne mich nicht wieder auf dem Video. So bin ich eigentlich nicht."

Eigentlich, meint er damit, ist er ein Kind aus gutem Hause. Torben P. präsentiert sich dem Richter als wohlerzogener junger Mann. Er spricht sehr förmlich. Seine letzte Mahlzeit vor der Prügelei etwa, so formuliert er es, habe ihm sehr "gemundet". Der Angeklagte stammt nicht aus einem Problemkiez, er wohnt am ruhigen Rand von Berlin und hat immer gute Schulen besucht. Als Kind ist er so erfolgreich Kanu gefahren, dass ihn sogar eine Sportschule in Köpenick aufgenommen hat.

Doch im Internat, sagt Torben P., habe er sich nicht wohlgefühlt. Die Eltern, Frührentner und Diabetiker, hätten jedoch darauf bestanden, dass er bleibt. Um die Weihnachtszeit 2006 habe er dann begonnen, sich die Arme aufzuritzen. Er habe mehrmals das Gymnasium gewechselt, sich schließlich aber gefangen und auch wieder bessere Noten mit nach Hause gebracht.

An die Tatnacht, sagt Torben P., könne er sich nur noch lückenhaft erinnern. Zusammen mit Nico A. sei er abends nach Kreuzberg zu einer Feier gefahren. Beide wollen bis zum Angriff auf Markus P. zusammen ein paar Bier, zwei Flaschen Wodka und eine Flasche Weinbrand getrunken haben. Torben P. weiß noch, dass auf der Feier nicht viel los war, dass er mit seinem Kumpel gegen 2.30 Uhr aufgebrochen ist und sie dann mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum U-Bahnhof Friedrichstraße gefahren sind. Schon auf dem Weg, gibt er an, habe er Passanten angepöbelt - "aber nur verbal".

Er wisse noch, dass er an der Friedrichstraße eine Zigarette geraucht habe, sagt Torben P., danach habe er einen Filmriss: "Ich hatte noch nie so viel Alkohol getrunken." Die Geschehnisse auf dem Bahnsteig glaubt er vor allem von den Videoaufnahmen zu kennen. Erst die Ereignisse nach der Tat kann er wieder detailliert zusammenfassen: Mit Nico A. sei er die Spree entlang geflüchtet, bevor sich beide am Bahnhof Gesundbrunnen aus den Augen verloren hätten. Zu Hause habe er seinem Vater sofort erzählt, was passiert sei - der jedoch habe ihn erst mal ins Bett geschickt. Nach zwei Stunden Schlaf hätte er sich dann wieder mit Nico A. bei einer Freundin getroffen. Zusammen hätten sie im Internet in den Polizeiticker geschaut und das Video vom Angriff auf Markus P. gesehen. "Dann bin ich sofort zur Polizei und habe mich gestellt", sagt der 18-Jährige.

Nico A. bestätigt die Schilderung von Torben P., auch er bittet um Vergebung. "Wir waren sehr betrunken, ich kann mich an vieles nur schummrig erinnern." Opfer Markus P. hatte schon vor der Verhandlung deutlich gemacht, dass er auf die Entschuldigungen nichts gibt. Einen Brief von Torben P. hat er wieder zurückgeschickt. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er ihn selbst geschrieben hat, der klang zu juristisch", sagt er im Zeugenstand. Markus P. kann sich nach den Tritten gegen seinen Kopf nicht mehr erinnern, was in dieser Nacht am Bahnhof Friedrichstraße geschehen ist. Das zu klären, ist nun Aufgabe des Gerichts. Am 8. September soll das Urteil fallen.

© SZ vom 24.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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