Turiner Grabtuch:Hitler und der Schatten des Herrn

Ein italienischer Pater will Beweise dafür gefunden haben, dass die Nazis das Turiner Grabtuch mit dem Antlitz Jesu rauben wollten.

Andrea Bachstein, Rom

Hitler und das Turiner Grabtuch eignen sich immer bestens für Spekulationen und Mysterien. Nun hat der italienische Benediktinerpater Andrea Davide Cardin beide in einer abenteuerlichen These verbunden: Der Nazi-Führer habe die berühmteste Reliquie des Abendlandes rauben wollen, behauptet er.

Pater Cardin leitet die Bibliothek der Abtei Montevergine in Kampanien, wo das Grabtuch von 1939 bis 1945 versteckt worden war. Warum der Pater seine These nun ausgerechnet in der Starklatsch-Zeitschrift Diva e Donna der Öffentlichkeit präsentierte, ist ein weiteres Rätsel. Die Wahl des Termins ist dagegen wohl kein Zufall: Das Grabtuch wird vom 10.April bis zum 23. Mai erstmals seit zehn Jahren wieder in Turin ausgestellt.

Cardin stützt seine These unter anderem auf einen Brief, den der damalige Erzbischof von Turin, Kardinal Maurilio Fossati, veröffentlichte, als das Tuch in den Dom der Stadt zurückgebracht worden war. Es zu verstecken, sei richtig gewesen, "weil die Invasoren sich um Informationen bemüht haben", so heißt es angeblich in dem Brief.

Das Grabtuch war bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zunächst in den Quirinalspalast nach Rom gebracht worden. König Viktor Emanuel III., so erklärt Pater Cardin, habe aber den Vatikan gebeten, es aufzubewahren. Dort wiederum fand man, auch der Vatikan sei im Krieg nicht wirklich sicher. So sei die Wahl auf Montevergine gefallen.

Eindringliche Fragen

In dem Kloster hätten die meiste Zeit nur der Abt und sein Vikar gewusst, dass das als Grabtuch Jesu verehrte Textil unter dem Altar in der Krypta lag. Pater Cardin erklärte in dem Klatschblatt, bei Hitlers Italienbesuch 1938 hätten dessen Leute ungewöhnliche und sehr eindringliche Fragen zum Grabtuch gestellt. Hinlänglich bekannt sei auch, dass Adolf Hitler und sein Luftwaffenchef Hermann Göring rücksichtslos wichtige Kunstwerke zusammenrafften - der Raubzug in Museen, Kirchen und Privatsammlungen hatte System.

Trotzdem gibt es Zweifel an der These des Benediktinerpaters. So bestreitet der Grabtuch-Experte Pierluigi Baima Bollone, dass das Grabtuch in Montevergine verborgen wurde, um es vor dem Zugriff der Nazis zu schützen. Vielmehr, so sagte er der Zeitung La Stampa, sei es aus Turin weggebracht worden, weil Papst Pius XII. Bombenangriffe befürchtet habe - und zwar von Seiten der Alliierten. Das Deutsche Reich und Italien waren ja bis 1943 verbündet.

Bollone sagt, "es existieren keine Dokumente, in denen es heißt, das Grabtuch müsse vor Nazifunktionären oder vor Hitler bewahrt werden." Auch seien die Behauptungen nicht gesichert, Hitlers Leute hätten sich auffällig dafür interessiert. Die Geschichte des Turiner Grabtuchs muss also nicht umgeschrieben werden: Alles halb so wild, auch wenn das Pater Cardin anders sieht.

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