Türkei:Zipfel der Wahrheit

Die weiße Mütze mit dem herabhängenden Zipfel ist das Markenzeichen der Schlümpfe - und im Zentrum Anatoliens zierte sie einst Könige: Eine Reise an den Geburtsort der Schlumpfmütze.

Kai Strittmatter

Es begab sich aber dieser Woche in der Stadt Eskisehir im westlichen Anatolien, dass der Herr Mustafa Tekeli auf die Straße ging, und er trug eine blaue Windjacke und auf dem Kopf eine Mütze, deren Zipfel ihm vorn über die Stirn hing, und er las von einem Blatt ab und sagte, das sei "die Mütze der Freiheit und der Unabhängigkeit". Und er finde es traurig, dass in der ganzen Stadt Eskisehir, die doch bekannt sei für ihre schönen Skulpturen, es keine einzige Skulptur gebe mit einer Mütze, deren Zipfel vorne herunterhängt.

Türkei: Die weiße Mütze ist eines der bekanntesten Merkmale der Schlümpfe.

Die weiße Mütze ist eines der bekanntesten Merkmale der Schlümpfe.

(Foto: Foto: ddp)

Und links und rechts von ihm standen zwei kleine Mädchen und trugen Mützen, deren lange Zipfel einen Schatten auf ihre Stirn warfen, während sie scheu in die Kameras blickten. Und Mustafa Tekeli erzählte von Königen und Heiligen und Revolutionären, denen die Mütze gut anstand und wurde immer trauriger über Eskisehir, seine Heimat, wo sie die Mütze vergessen haben. "Wo doch sogar die weltbekannten Schlümpfe unsere Mütze tragen."

Und hat er nicht recht, der Herr Tekeli? Bis auf den Gartenschlumpf (Strohhut) tragen fast alle Schlümpfe das Ding, das hier im Zentrum Anatoliens einst Könige zierte. Zur Zeit der Phrygier war das, und deshalb durchwandert sie die Welt seither als phrygische Mütze. Midas trug sie, der phrygische König, dem alles zu Gold wurde, was er berührte, und es wird ihn nicht gestört haben, dass man ihm eine rotgefärbte Bedeckung aus dem gegerbten Hodensack eines Stieres auf den Kopf stülpte: Die Kräfte des mächtigen Tieres sollten so auf den Träger übergehen.

Die Herkunft soll auch die Form erklären: den nach vorne gekippten leeren Stoffzipfel, an dem man zuerst die Phrygier und sehr bald den Kleinasiaten schlechthin zu erkennen vermeinte. Den Weisen aus dem Morgenlande setzten frühe Maler deshalb die Mütze auf, und da hatte ihr Eroberungszug erst begonnen, selbst die Dogen von Venedig orientierten sich später bei ihrem Kopfschmuck an den Phrygiern. Ihre Karriere als Symbol der Freiheit scheint die Mütze unter den Römern begonnen zu haben, wo freigelassene Sklaven sie trugen.

Daran erinnerten sie sich während der französischen Revolution. Nicht lange, und die phrygische Mütze schmückte die Köpfe der Jakobiner und auf Gemälden den der französischen Marianne selbst. Jenseits des Rheins reichte es zur Wiedergeburt als Schlafmütze auf dem Kopf des deutschen Michels. Sodann setzte sie über den Atlantik und fand ihren Weg in amerikanische Münzen ebenso wie in Wappen und Flaggen nicht weniger Republiken, die eben das Kolonialjoch abgeschüttelt hatten: Bolivien, Argentinien, Kuba.

Aber in Eskisehir, ihrem Geburtsort? Keine Spur von der phrygischen Mütze. Zumindest bis zu dem denkwürdigen Tag in dieser Woche, da Mustafa Tekeli und sein Grüpplein Gleichgesinnter vom Tourismusverein von Eskisehir der Mütze ihre Heimat und der Heimat ihre Würde wiedergaben. "Wir wollen, dass Wissenschaftler die Mütze hier auf die Tagesordnung bringen", sagt Tekeli tapfer. "Diese Mütze gehört Anatolien, sie gehört Eskisehir, sie gehört uns." Hinter ihm ein halbes Dutzend Zipfel, sie nicken im Takt.

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