Türkei:Tante Ayşe bewegt das ganze Land

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Für ihr Leben gerne unterwegs: Tante Ayşe. (Foto: privat)

Alles fing damit an, dass Ayşe Kurucu ihren Fotoapparat in einem fremden Auto verlor: Wie die 60-Jährige aus dem türkischen Izmir aus Versehen berühmt wurde.

Von Mike Szymanski

Die Geschichte nahm ein glückliches Ende, die türkische Zeitung Sözcü titelte: "Verrückte Tante Ayşe ist gefunden". Das klang ein bisschen nach: hilflose, verwirrte Frau ausgebüxt. Aber Ayşe Teyze - Tante Ayşe - ist nicht verrückt. Sie ist einfach nur für ihr Leben gerne unterwegs. Ihre Geschichte ist eine vom Suchen und Finden. Im Moment erzählt man sie sich überall in der Türkei. Ayşe Kurucu ist berühmt geworden. So viele Menschen freuen sich über ihre Fotos. Wie sie so tut, als würde sie den schiefen Turm von Pisa mit beiden Händen stützen. Tante Ayşe auf dem Rücken eines Elefanten. Tante Ayşe vor dem Taj Mahal. Tante Ayşe vor dem Eiffelturm.

Ayşe Kurucu ist 60, sie lebt in Izmir. Sie ist geschieden und sie trägt Kopftuch. Sie hatte zunächst gar nicht mitbekommen, dass sie im Internet berühmt ist. Das einzige Digitale in ihrem Leben ist ihr "kleines Mädchen", so nennt sie ihre alte Nikon-Kleinbildkamera. Mit dem Gerät hat sie all diese Momente festgehalten: 25 Länder in zehn Jahren. Alles auf einem Speicherchip gesichert, und nur dort. Seitdem ihre Ehe in die Brüche ging, hat sie ihren Koffer abreisebereit unter dem Bett verstaut.

Berühmte Türkin
:Tante Ayşe und die große Freiheit

Es ist eine Geschichte vom Suchen und Finden, die ein ganzes Land bewegt. Die Urlaubsfotos von Ayşe Kurucu kennt inzwischen fast jeder in der Türkei.

Im Juli hat sie die Kamera im Auto des Ehepaars Tülin Tezel Öztemel und Emre Öztemel liegen lassen. Eine Zufallsbegegnung. Ayşe Kurucu war wieder mal reisen, dieses Mal an der türkischen Schwarzmeerküste. Sie hatte sich beim Wandern auf der Ayder-Hochebene den Fuß verstaucht. Der Tourbus wartete im Ortszentrum. "Ich habe mich einen Augenblick hingesetzt und ausgeruht. Mein Fuß schmerzte." Zum Glück sei das Paar mit dem Auto vorbeigekommen, es war auf dem Weg nach Georgien. Auch Reisende. "Süße Leute", sagt Ayşe Kurucu. Sie kamen schnell ins Gespräch. Als Ayşe Kurucu ausstieg, dachte sie nicht an ihre Kamera. "Ich merkte erst im Hotel, dass ich sie vergessen hatte. Ich war traurig. Noch einmal konnte ich ja nicht an all diese Orte reisen."

Adressen hatten das Paar im Auto und sie auch nicht ausgetauscht; auch keine Telefonnummern. Ayşe Kurucu hat kein Smartphone, sonst wäre sie vielleicht in den sozialen Medien vertreten und aufzuspüren gewesen. Sie hat da keine Berührungsängste. Aber nichts davon nutzt die Frau aus Izmir. Sie gibt ihr weniges Geld lieber fürs Reisen aus. Das Paar aus dem Auto hatte nur die Kamera als Hinweis. Es schaute sich die Fotos an, erkannte den Bilderschatz und entschloss sich, einige ins Internet zu stellen, um so die Frau ausfindig zu machen. Das ist bald ein halbes Jahr her. "Tante Ayşe" wurde bekannt.

Früher habe sie nicht viel reisen können, erzählt sie. Sie hat drei Kinder groß gezogen. Ihr Mann habe nicht gewollt, dass sie viel unterwegs ist. Er sei sehr eifersüchtig gewesen. Nachdem sie sich von ihm trennte, habe sie angefangen, sich als "freies Mädchen" zu fühlen. Es gibt ein türkisches Sprichwort. Das Junggesellenleben sei wie ein Sultanat. Ihre erste Reise führt nach Mekka, eine Pilgerfahrt. Der Schwiegersohn einer Bekannten hat ein Reiseunternehmen. Er organisierte alles für sie. Wenn sie danach von Bekannten hörte, dass diese verreisen wollten, empfahl sie das Unternehmen weiter. Sie tat dies so konsequent, dass die Firma ihr bald Reisen vergünstigt anbot. Und wenn noch Geld fehlte, zahlte sie auf Raten. Sie lebt von der dürftigen Hinterbliebenenrente ihres verstorbenen Vaters, aber das Reisen ist ihr wichtig.

Firmen fragen an, ob sie in Werbespots oder TV-Serien mitspielen will

"Die schönsten Orte, die ich bisher gesehen habe, waren Dubai und Singapur", erzählt sie. Dubai gefiel ihr wegen der verschwenderischen Architektur. In Singapur scheinen für sie die Züge zu fliegen. In der Stadt hat sie sich dann auch verlaufen. Aber ein Taxifahrer half. Von ihren Europa-Trips ist ihr Ungarn als besonders schön in Erinnerung geblieben. Budapest habe sie ein bisschen an Istanbul erinnert. Als nächstes möchte sie Spanien, Japan und China kennenlernen. Wenn sie mit den Jungen ins Gespräch kommt, rät sie ihnen, sich die Welt anzuschauen. "Sie sollten nicht zu Hause sitzen", sagt Kurucu. Der Fernsehsender CNN Türk nennt sie schon die "reisende Tante der Türkei". Firmen fragen an, ob sie in Werbespots oder TV-Serien mitspielen will.

Das Ehepaar Öztemel aus dem Auto hatte Ayşe Kurucu die Kamera persönlich in Izmir vorbeigebracht, als sie endlich ausfindig gemacht wurde. Bekannte waren eines Tages zu ihr gekommen und hätten ihr erzählt: Du bist berühmt. Ihr Bekanntenkreis wächst gerade rapide. "Es ist schön, einen Menschen glücklich zu machen", sagten die Öztemels der Zeitung Hürriyet.

Es gibt nun auch von ihnen ein Foto mit Tante Ayşe. Sie bedankte sich für die Kamera mit den Worten: "Ihr habt mir die Welt zurückgebracht."

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