Türkei:Istanbuler Mauerfall

Türkei: Jahrhundertelang war der Istanbuler Topkapı-Palast der Wohn- und Regierungssitz der Sultane. Von hier aus wurde das gesamte Osmanische Reich verwaltet. Heute ist in den brüchigen Mauern ein Museum untergebracht.

Jahrhundertelang war der Istanbuler Topkapı-Palast der Wohn- und Regierungssitz der Sultane. Von hier aus wurde das gesamte Osmanische Reich verwaltet. Heute ist in den brüchigen Mauern ein Museum untergebracht.

(Foto: Klaus-Gerhard Dumrath/mauritius images)

Der Topkapı-Palast ist einsturzgefährdet. Manche Risse im Mauerwerk gleichen eher Spalten. Erst vor wenigen Monaten starben hier zwei Menschen unter einer Wand. Nun haben es alle eilig mit der Renovierung.

Von Mike Szymanski, Istanbul

Der Boden bewegt sich. Immerzu. Zwar nur so minimal, dass man es als menschliches Leichtgewicht mit beiden Füßen darauf gar nicht spürt. Doch den Festungsmauern setzen die Schwingungen zu. Sie schützen den Palast, einen Ort von verschwenderischer Schönheit. "Nie hat die Kunst des Menschen einen reizvolleren Herrschersitz erschaffen", notierte der osmanische Schriftsteller Evliya Çelebi über den Istanbuler Topkapı-Palast. "Er wirkt nicht wie ein bloßer Palast, sondern wie eine ganze Stadt am Zusammenfluss zweier Meere." Und jetzt ist diese einzigartige Stadt in Gefahr.

Als Besucher kann man im Topkapı-Palast den ganzen Tag verbringen. Der benachbarte Gülhane-Park bietet sich für eine Pause an. Zur Seeseite säumt ein hübscher, stiller Teegarten die Anlage. Dann, im vergangenen April, rumst es plötzlich. Ein Teil der an dieser Stelle bis zu 25 Meter hohen Außenmauer stürzt ein. Zwei Menschen sterben. Womöglich war das nur der Anfang einer größeren Katastrophe. Jedenfalls meldet sich kurz darauf der frühere Chef des Topkapı-Museums und bekannte Historiker Ilber Ortaylı zu Wort: "Das ist ein Alarmzeichen." Wenig später machen sich Experten in die Stadt auf, horchen in den Boden und inspizieren das Mauerwerk. Ihr Gutachten liest sich wie ein Schadensbericht. Es gehe längst nicht mehr nur um Risse, sondern um Spalten im Mauerwerk. Manche so groß, dass der Arm darin verschwinden könne.

Ein Erdbeben der Stärke 5 würde reichen, den Palast zum Einsturz zu bringen

"Palast auf wackeligen Beinen" ist nur eine der vielen besorgten Überschriften in den türkischen Zeitungen dieser Tage. Tatsächlich sind Teile der Anlage einsturzgefährdet. Die Schatzkammer ist geschlossen, viele Kostbarkeiten wurden in Sicherheit gebracht - darunter der mit Smaragden besetzte Topkapı-Dolch, auf dessen Edelsteine es unter anderem Peter Ustinov in der US-Gauner-Komödie "Topkapi" von 1964 abgesehen hatte. Oder der Löffelmacher-Diamant, ein armer Fischer soll ihn im Müll gefunden und der Sage nach gegen drei Löffel eingetauscht haben. Geschichten, die sich in der Schatzkammer immer besonders beeindruckend angehört haben.

Aber für solche Erzählungen hat man dort im Moment keine Muße. Der Sachverständige Feridun Çılı von der Technischen Universität Istanbul sagt: "Ich habe mir die Gebäude angeschaut. Die Lage ist ernst." Mehrere Ursachen kommen infrage: Einerseits ist das Mauerwerk bei früheren Reparaturarbeiten mit Beton verstärkt worden, unter der Last ächzt es. Später hinzugefügte Stützmauern sind von schlechter Qualität. Und außerdem ist Istanbul Erdbebenrisikogebiet. Nur wenige Kilometer entfernt, unter dem Marmara-Meer, befindet sich eine gewaltige Erdplatten-Knautschzone. Ein Beben der Stärke 5 oder höher könnte den Palast zerstören. Die Regierung hat es jetzt eilig mit der Restaurierung, umgerechnet drei Millionen Euro stehen zur Verfügung.

"Wir werden den Topkapı-Palast retten", wird Kulturminister Nabi Avcı in der Presse zitiert. Auch im Parlament war der Palast schon Thema. Da fragte ein Oppositionspolitiker, ob womöglich die Bauwut der vergangenen Jahre dem Palast zugesetzt haben könnte: Neue Metro, neue Bosporus-Brücke, neue Hochhäuser. Der Boden in Istanbul vibriert ja auch ohne Beben immer wieder. Fest steht für alle: Der Palast braucht Hilfe.

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