Türkei:Eine Frage der Moral

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Für Homosexuelle hat sich schon viel getan in der Türkei. Doch weil sie "die Prostitution begünstigt" sehen, wollen Istanbuler Behörden nun eine Schwulenorganisation verbieten lassen.

Kai Strittmatter, Istanbul

Früher war es schlimmer. Da gab es den Polizeichef, der als "Schlauch-Süleyman" bekannt war, weil er die, die auf der Wache landeten, mit dem Schlauch zu bearbeiteten pflegte. Es gab den anderen, den sie "Knochenbrecher-Cetin" nannten. Oder den, der am liebsten glühende Zigarettenanzünder gegen die Arme drückte. Die Herren Polizisten hatten alle ein Ziel: Das Vergnügungsviertel Beyoglu und die Stadt Istanbul von Transvestiten und Schwulen zu säubern. Ohne Erfolg, das ist die gute Nachricht.

Gay-Pride-Demo von Lambda in Istanbul - wenn es nach den Behörden geht, hat die Organisation keine Zukunft. (Foto: Foto: oh)

Verglichen mit jenen Zeiten hat sich einiges getan. Es gibt heute schwule und lesbische Studentenclubs an Istanbuler Universitäten, es gibt Theateraufführungen von Transvestiten, es gibt eine Reihe von Schwulenbars. Und es gibt Lambda, eine Organisation, die sich der "Gleichberechtigung aller Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen" annimmt.

Lambda steht nun vor Gericht und soll verboten werden. Das Gouverneursamt von Istanbul hat Anstoß genommen an "Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen". Solche Worte, solche Menschen würden die "moralischen Werte und Familienstrukturen" des Landes untergraben. Lambda gibt es seit 1993, seit die Stadt damals die erste Christopher-Street-Day-Parade Istanbuls verhinderte.

Seit 2002 hat die Gruppe ein Büro. Lambda zeigt Filme, organisiert Diskussionen und Kochabende und führt eine Bücherei zum Thema. Seit fünf Jahren stellt Lambda auch eine "Gay Pride"-Demonstration auf die Beine, im letzten Jahr nahmen 1500 Leute teil, darunter ein linker Kandidat für die Parlamentswahlen. Im selben Jahr begann das Gouverneursamt seinen Feldzug gegen den Verein. Das Amt ist hartnäckig: Nachdem der erste Staatsanwalt den Verbotsantrag ablehnte, ging der Gouverneur zu einem höheren Gericht.

"Entartete Erscheinung des Kapitalismus"

Am Donnerstag fand die vierte Anhörung zum Fall statt. Zehn Tage vorher hatten zwölf Polizisten in Zivil das Lambda-Büro durchsucht und Mitgliederlisten und andere Akten beschlagnahmt. Zufall? Man habe den dringenden Verdacht, so der Durchsuchungsbefehl, dass Lambda "Prostitution begünstigt, als Kuppler agiert und einen Ort für Prostitution anbietet". Der Verein sei also nichts anderes als ein Bordell. Eine Anschuldigung, die sowohl Lambda als auch die internationale Menschenrechts-Organisation Human Rights Watch HRW für absurd erklären.

"Die eigentlich Unmoralischen hier sind die Istanbuler Behörden", meint Scott Long von HRW. Man werde noch immer von allen Seiten attackiert, erklärt Lambda-Sprecherin Serap (als Vorsichtsmaßnahme geben die Lambda-Aktiven in der Presse immer nur ihre Vornamen an): "Die Konservativen werfen uns vor, die türkische Familie zu zerstören, aber wir sind auch schon von Linken beschimpft worden als 'entartete Erscheinung des Kapitalismus'". Manche bei Lambda beklagen zunehmende Schikanen, seit die AKP-Regierung die hohen Ränge der Polizei mit islamisch-konservativen Beamten besetzt hat.

Der Prozess wurde am Donnerstag einmal mehr vertagt, auf Ende Mai. Lambda-Sprecherin Serap ist zuversichtlich: Das vom Gericht bestellte Gutachten falle offenbar positiv für Lambda aus.

© SZ vom 18.4.2008/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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