Türkei:Beim Barte des Busfahrers

Eine türkische Firma untersagt den Schnauzer im Gesicht. Ein Politikum in der Türkei, wo der Bart auch viel von der Gesinnung des Trägers offenbart.

Kai Strittmatter, Istanbul

Einen der mächtigsten Schnurrbärte der türkischen Geschichte findet man im Gesicht von Sultan Selim, dem Ersten. Selim - Beiname "der Gestrenge" - hatte sich eines jener Prachtexemplare herangezogen, von dem die Türken ehrfürchtig zu sagen pflegten, man könne problemlos "an beide Enden eine Leiche hängen".

Türkei: Hätte keine Chance als Chaffeur: Staatsgründer Kemal Atatürk.

Hätte keine Chance als Chaffeur: Staatsgründer Kemal Atatürk.

(Foto: Foto: Getty Images)

Der Schnurrbart verlieh seinem Träger Macht und Autorität. Er machte auch einen Sultan erst zum Mann und einen Mann erst zum richtigen Türken. So gesehen ist seit längerem schon der Niedergang der Spezies zu beobachten: Der Schnurrbart ist seit Jahren auf dem Rückzug - nicht jedoch ohne hie und da noch heroische Gegenwehr zu leisten.

Die jüngste Schlacht wird ausgefochten bei der Busfirma Metro Turizm, einem der größten Transportunternehmen des Landes. Metro-Chef Sinan Solak zählte unlängst die Barthaare seiner Angestellten und war höchst unzufrieden: Zu viele Schnauzer, fand er, zu unterschiedlich frisiert dazu. Also erließ er einen Befehl: Die Schnurrbärte müssen runter. Alle. "Wir wollen den Passagieren den besten und gesündesten Service anbieten", sagte Solak zur Begründung - und legte noch einen drauf: "Wir versuchen so, den EU-Normen zu entsprechen."

Bartlos nach Europa? Unter den 7000 Angestellten, so meldete es der Sender NTV, herrschte zuerst schockierter Unglauben, dann brach die panische Suche nach Ausreden aus. Einige sagten, die Ehefrau werde toben, andere verwiesen auf 30 gemeinsame Jahre mit ihrem Bart, wieder andere pochten darauf, ein Schnurrbart sei schließlich das Zeichen "eines Mannes von der Schwarzmeerküste". Die meisten knickten ein. "Wir haben Familie und Kinder, haben Kredite abzuzahlen", sagte der Fahrer Kahraman Kartal: "Unter Zwang haben wir uns rasiert."

Es ist gar nicht so lang her, da war der Schnurrbart Ausweis der politischen Gesinnung: Wenn der Busch noch die Oberlippe bedeckte, war der Träger Linker, vielleicht Alewit dazu. Dünn gezwirbelte Dschingis-Khan-Hänger verwiesen aufs ultrarechte Lager.

Für die Putschgeneräle von 1980 hieß das: Schnurrbärte, ob links oder rechts, fliegen alle von der Uni, besonders verdächtige in den Folterkeller. In den 90er Jahren dann führte Tansu Ciller - die erste Frau als Premier - einen weiteren vernichtenden Schlag: Alle Abgeordnete ihrer Partei DYP mussten ihren Schnurrbart abrasieren. Heute wiederum ist ausgerechnet das Kabinett in Ankara eines seiner letzten Reservate, in diesem Fall dominiert die Bürste islamischen Zuschnitts, welche die Oberlippe freizulassen hat.

Premier Tayyip Erdogan hat erst im Juli Rahmi Koc gegeißelt, den reichsten Unternehmer der Türkei, weil auch der gesagt hatte, Männer mit Schnauzer kämen ihm nicht ins Haus. "Primitive Diskriminierung!", schnaubte Erdogan. Glücklich wird der Premier sein, zu hören, dass es noch Männer gibt, die zu ihrem Bart stehen. Nihat Sungur zum Beispiel, Busfahrer. "Ich schneide mir eher den Kopf ab als meinen Schnurrbart", sagt Sungur. Er hat gekündigt bei "Metro".

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