Trinkgelage auf der Klassenfahrt:Flaschenweise Gift

Die Türkei nach dem Methanol-Tod von drei deutschen Schülern: Inzwischen sind drei Männer verhaftet worden, auch der Getränkehändler des Hotels.

Ch. Langrock-Kögel und J. Schneider

Es hätte jeden treffen können. Jeden der All-Inclusive-Urlauber, die sich an einer der Hotelbars des Vier-Sterne-Hotels Anatolia Beach in Kemer bei Antalya Wodka einschenken ließen. Und so wie es im Moment aussieht, hätte es vielleicht auch fast jeden Türkei-Urlauber treffen können, wenn er Hochprozentiges kauft, sei es im Hotel, im Supermarkt oder am Kiosk.

Trinkgelage auf der Klassenfahrt: Rafael war der erste Schüler, der nach dem Konsum von vergiftetem Wodka im türkischen Kemer starb. Auch zwei seiner Freunde sind mittlerweile tot.

Rafael war der erste Schüler, der nach dem Konsum von vergiftetem Wodka im türkischen Kemer starb. Auch zwei seiner Freunde sind mittlerweile tot.

(Foto: Foto: dpa)

Denn immer wieder tauchen im türkischen Handel mit Methanol vermischter Raki oder Wodka auf, immer wieder sterben Menschen an ihrem Konsum. Tatsächlich getroffen hat es Ende März die Schüler Rafael, Jan und Jean-Pierre. Drei junge Männer aus Lübeck, die auf einer Klassenfahrt waren und offenbar starben, weil sie unwissentlich gepanschten Alkohol tranken.

Die Staatsanwaltschaft in Kemer in der Türkei, die im Fall der toten deutschen Schüler ermittelt, arbeitet schnell. Fünf Hotelangestellte, darunter der Chefeinkäufer sowie der für Getränke und Speisen Verantwortliche, wurden sofort zur Vernehmung bestellt. Die Kellner hat man inzwischen wieder freigelassen, zwei Manager aber wurden verhaftet.

Am Dienstag nahm die Polizei, so berichten Nachrichtenagenturen, den per Haftbefehl gesuchten Getränkehändler des Hotels fest. Er war zunächst untergetaucht. Die Ermittler haben im Hotel und in umliegenden Geschäften 37 Schnaps-Proben genommen - und dabei in einem weiteren Fall Methanol darin gefunden.

"Ich konnte nichts mehr sehen"

In Lübeck sind die Leichen der beiden 17 und 19 Jahre alten Schüler Jan und Jean-Pierre obduziert worden. Bei den beiden jungen Männer war am Wochenende der Hirntod festgestellt worden. In ihrem Fall ist noch nicht endgültig geklärt, ob auch sie tatsächlich an einer Methanol-Vergiftung starben.

Die Obduktion der Leichname habe den Befund Hirntod zwar bestätigt, die Todesursache sei jedoch noch unklar, sagte der Lübecker Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz. Er fügte hinzu: "Man kann zwar den Tod durch Methanol vermuten." Für die endgültige Klärung seien jedoch weitere Untersuchungen notwendig, die einige Tage in Anspruch nehmen werden.

Der Lübecker Rechtsanwalt Frank-Eckhard Brand vertritt die Eltern des 21-jährigen Rafael. Er war der Klassenälteste in der elfköpfigen Schülergruppe und der Erste, der an dem giftigen Wodka starb. Brand ist zufrieden mit der Zielstrebigkeit der türkischen Behörden. Er wartet nun darauf, wie die Staatsanwaltschaft Kemer den Tatbestand definiert. "Von Körperverletzung bis Mord ist alles offen", sagt er. Seiner Einschätzung nach handelt es sich zumindest um Totschlag - kommt "Gewinnstreben hinzu, um Mord". Er arbeitet mit einer türkischen Rechtsanwaltskollegin zusammen, die den Kontakt zu den Ermittlungsbehörden hält.

Der Lübecker Anwalt ist auch mit den Eltern der anderen Schüler im Gespräch. Eine "Bündelung der Vetretung" sei sicher sinnvoll, sagt er. Auch, um eine "Zerfaserung der Informationen zu verhindern". In der Bild-Zeitung hat einer der überlebenden Jugendlichen seine Version der Nacht mit dem "Killer-Schnaps" erzählt. "Ich konnte nichts mehr sehen", wird der 18-jährige Dustin K. zitiert. Für 25 Euro habe sein Zimmernachbar bei einem Kellner Cola und zwei Flaschen Wodka gekauft. "Die Mischung schmeckte nicht anders."

Brand sagt, dass die Eltern der toten Schüler jetzt vor allem eine Frage bewege: Wie könne es sein, dass ihre Kinder freudig auf Klassenreise gefahren sind und nicht mehr zurückkehrten? Sie wollen Antworten auf viele offene Fragen: So müsse die Schule erklären, ob ein All-Inclusive-Hotel der richtige Aufenthaltsort für eine Klassenfahrt sei. Und sie müsse klären, warum der die Klasse begleitende Lehrer das Einzelzimmer des 21 Jahre alten Rafael am Tag nach dem nächtlichen Trinkgelage erst am frühen Abend öffnen ließ, als man dem toten Schüler nicht mehr helfen konnte.

Auch für Brand ist die Frage nach dem Todeszeitpunkt Rafaels, den die Obduktion ergeben soll, für eine Strafanzeige in Deutschland entscheidend. Zu klären wäre, sagt er, ob Rettungsmaßnahmen zu einem früheren Zeitpunkt hätten helfen können. Es sind zu den weiteren Umständen bisher keine Angaben des Lehrers bekannt. Auch aus dem Lübecker Mortzfeld-Bildungszentrum gibt es an diesem Dienstag keine weiteren Erklärungen. Zu viel sei noch offen, heißt es aus der renommierten Privatschule, an der in der Hansestadt seit mehr als fünfzig Jahren Schüler den Hauptschulabschluss, die Mittlere Reife oder auch das Abitur machen.

Etwa 260 Schüler werden am Mortzfeld-Bildungszentrum unterrrichtet. Es ist eine Schule mit einem hohen Anspruch. Hier werde geboten, was staatliche Schulen aufgrund ihrer Organisationsform und Größe oft nicht leisten könnten, heißt es in einer Selbstdarstellung: "eine ganz persönliche Förderung in einem guten Gemeinschaftsklima". Hier ist man stolz darauf, dass "jeder jeden kennt", wie der Leiter 2007 zum 50-jährigen Schuljubiläum sagte.

In der Türkei wachsen unterdessen die Sorgen, dass der Tod der jungen Männer der Tourismusbranche schadet. Im Interview mit der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu fordert der Vorsitzende des türkischen Hotelier-Verbands, Sururi Corabatir, die Behörden seines Landes zu stärkeren Kontrollen gegen schwarzgebrannten Alkohol auf. "Niemand hat das Recht", sagte er, "wegen ein paar Cent mit der Gesundheit der Menschen zu spielen." Die türkische Tourismusbranche dürfe nicht an dem Ast sägen, auf dem sie sitze.

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