Touristen als Geiseln:"Entführungsopfer zur Kasse bitten"

Ex-Staatssekretär und Entführungsopfer Jürgen Chrobog über riskanten Tourismus und den Leichtsinn deutscher Reisender.

Christian Mayer

Jürgen Chrobog, 68, war als Diplomat und Staatssekretär im Auswärtigen Amt unter Außenminister Joschka Fischer Mitglied diverser Krisenstäbe, etwa als im April 2003 in Algerien 32 Sahara-Touristen verschleppt wurden. Im Dezember 2005 kam Chrobog mit seiner Frau und drei Söhnen im Jemen in die Gewalt von Entführern.

Touristen als Geiseln: Jürgen Chrobog (re.) gemeinsam mit seiner Familie im Januar 2006 - zuvor war er drei Tage in der Hand von Geiselnehmern.

Jürgen Chrobog (re.) gemeinsam mit seiner Familie im Januar 2006 - zuvor war er drei Tage in der Hand von Geiselnehmern.

(Foto: Foto: rtr)

SZ: Herr Chrobog, im aktuellen Entführungsfall mussten die Geiseln eine Irrfahrt durch die Wüste mitmachen. Was kann die Bundesregierung in solchen Fällen überhaupt unternehmen?

Jürgen Chrobog: Der Krisenstab in Berlin umfasst alle Ressorts, die eingreifen können, vom Auswärtigen Amt bis zum Verteidigungsministerium. Er muss erst mal feststellen, wo sich die Geiseln befinden und mit wem man überhaupt verhandeln kann. Im aktuellen Fall war das schwierig. Man wusste nie genau, wo die Touristen geblieben waren. Damals wie heute haben wir erst Tage später von der Entführung erfahren. Entscheidend ist die Kontaktaufnahme zu allen, die irgendwie helfen können - zu den beteiligten Staaten, Botschaften und Geheimdiensten, aber auch zu Nachrichtendiensten und Nichtregierungsorganisationen.

SZ: Das dürfte bei den Ägypten-Reisenden schwierig gewesen sein. Erst hieß es, sie seien in Sudan oder Libyen, und zuletzt war davon die Rede, dass sie bis in den Tschad verschleppt worden seien.

Chrobog: Richtig. Man hat über die Geheimdienste jedoch technische Möglichkeiten und Abhörmaßnahmen, um an die Geiselnehmer heranzukommen. 2003 hatten wir in Algerien und Mali ein engmaschiges Netz, das hat dann funktioniert.

SZ: Über Lösegeldforderungen sprechen Diplomaten sehr ungerne, obwohl von deren Erfüllung viel abhängt.

Chrobog: Je mehr über Summen spekuliert wird, desto größer das Risiko neuer Geiselnahmen. Es ist ein Dilemma, das wir nie auflösen können. Denken Sie an die Entführungen vor der somalischen Küste in diesen Wochen.

SZ: Sie selbst kamen mit Ihrer Familie Ende Dezember 2005 für drei Tage in die Gewalt von Geiselnehmern. Wie verarbeitet man eine solche Erfahrung?

Chrobog: Ich hatte eine große Erfahrung mit Entführungsfällen und wusste, wie man sich am besten verhält. Uns kam aber auch zugute, dass meine Frau als Ägypterin fließend Arabisch spricht und sich mit den Entführern verständigen konnte. Es ist wichtig, wenn man das Verhalten der Geiselnehmer nachvollziehen kann und ihre Ziele versteht. Wir waren im Jemen nicht in einer völlig fremden Umwelt, das war von Vorteil.

SZ: Wenn die Bundesregierung Lösegeld zahlt, kommt oft die Forderung, Entführungsopfer an den Kosten zu beteiligen. Wie stehen Sie dazu?

Chrobog: Ich habe dazu eine sehr dezidierte Meinung. Im Fall von Susanne Osthoff (die sich im November und Dezember 2005 in Gewalt irakischer Geiselnehmer befand, d. Red.) habe ich gesagt, dass man den Staat nicht als eine Art Versicherung ansehen darf, die automatisch haftet. Man muss das eigene Risiko abschätzen können. In meinem Fall bereisten wir eine Region, in der damals 400000 Touristen im Jahr unterwegs waren. Es gab kein realistisches Risiko im Jemen - heute ist das leider anders.

SZ: Fehlt es Abenteuer-Touristen an Verantwortungsbewusstsein?

Chrobog: Ich habe Fahrradfahrer erlebt, die an der afghanischen Grenze unterwegs waren und sofort verschwanden. Eine Deutsche reiste zu den prähistorischen Stätten im Rebellengebiet von Kolumbien - trotz aller Warnungen. Erst nach Wochen mühsamer Verhandlungen kam sie frei und weigerte sich dann noch, einen Anteil der Kosten des Hubschraubertransports zu übernehmen. Wir sollten darüber nachdenken, ob man - möglicherweise mit einer Gesetzesänderung - Reisende nicht stärker zur Kasse bittet, wenn ein grobes Verschulden vorliegt, also etwa Reisewarnungen der Bundesregierung missachtet werden. Ich selbst habe damals auch die Rückflugkosten nach unserer Entführung bezahlt.

SZ: Kann man den Geiseln im aktuellen Fall einen Vorwurf machen?

Chrobog: Nein. Es gab ja keine konkreten Warnungen. Obwohl man sagen muss: Das Risiko, dass etwas passiert, ist in der Wüste ungleich höher als in besiedelten und touristisch erschlossenen Gebieten. Und eines ist auch klar: Es gibt in vielen Ländern der Erde keinen risikofreien Tourismus mehr.

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