Tourismus:Umbuchen!

In Urlaubshochburgen wehren sich Einheimische gegen Besuchermassen. Da hilft nur: ausweichen. Das SZ-Panorama hätte da ein paar Vorschläge.

Von Laura Hertreiter, Michaela Schwinn, Hannes Vollmuth, Martin Zips

Chioggia statt Venedig

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(Foto: mauritius images, Stefano Rellandini/Reuters)

20 Millionen Besucher pro Jahr und viele steigen nur für ein paar Stunden vom Kreuzfahrtschiff - das macht Venedig kaputt. Kein Wunder, dass gerade erst wieder ein paar Hundert Venezianer gegen die Auswüchse des Tourismus am Canal Grande demonstrierten. Die touristische Alternative ist so nah: Chioggia liegt 54 Kilometer von Venedig entfernt, hier gibt es zwar nur einen Kanal (statt 175 in Venedig) und neun Brücken (statt 398), aber das ist ja gerade das Beruhigende. Der Ponte Vigo erinnert an den Ponte di Rialto, nur finden sich auf ihm keine nervigen Touristenmassen. Und die Strände, herrlich! Gut, es wird in Italien immer mal wieder diskutiert, ausgerechnet nahe Chioggia ein neues Atomkraftwerk zu errichten. Außerdem gibt es dort einen faschistischen Strandbad-Betreiber, der seine 650 Sonnenliegen über Lautsprecher mit Sprüchen wie "Die Demokratie ekelt mich an" beschallt. Trotzdem: Da sollte man hin! Besuchen Sie Chioggia, solange es noch steht.

Martin Zips

Beeskow statt Berlin

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(Foto: gemeinfrei, Maurizio Gambarini/dpa)

Die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg hat Berlin kürzlich als "eine Art Disneyland" bezeichnet, in dem die Einheimischen nur noch Statisten sind. Der Widerstand brodelt bereits auf kleiner Flamme, Experten warnen schon davor, dass die Stimmung kippen könnte. Knapp 90 Kilometer entfernt hingegen, im brandenburgischen Beeskow, sind Besucher herzlich willkommen. Spreefahrten gibt es auch hier, und wer, bitte schön, braucht schon das weltberüchtigte Berliner Nachtleben, wenn er eine "Bierstube zur Sense" haben kann? Auch die Auswahl an Museen ist entspannend übersichtlich: Das 2016 eröffnete Musik-Museum zeigt Instrumente. Beeskow entschleunigt und erholt. Und war das nicht mal das oberste Urlaubsziel? Doch statt mit diesem Vorteil zu protzen, gibt man sich in der Kreisstadt ganz bescheiden. Die stadteigene Webseite zitiert Theodor Fontanes Tagebuchnotiz: "Beeskow ist nicht so schlimm als es klingt".

Laura Hertreiter

Lelystad statt Amsterdam

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(Foto: Niederländisches Büro für Tourismus, gemeinfrei)

Manchmal liegt das Naheliegende wirklich nah, zum Beispiel Lelystad, das von Amsterdam aus in 65 Minuten zu erreichen ist, per "Snelbus", vier Mal pro Stunde. Amsterdam? Ist das nicht die Touri-Hochburg, wo inzwischen so viele schrottreife Mieträder aufeinanderliegen, dass man die Haufen schon für moderne Kunst halten könnte? Richtig. Dabei steht die wirklich aufsehenerregende Kunst dieses Landes im Hafen von Lelystad. Was haben sich die Niederländer die Köpfe orange geredet. Selbst die Chef-Kunstkritikerin des Guardian schrieb über "de Hurkende Man", eine Pylonen-Figur, 26 Meter hoch, 60 Tonnen schwer, offiziell sitzt sie in der Hocke, was für die meisten aber so aussieht, als habe man einen Stahl-Titanen dabei erwischt, wie er vor dem Horizont seine Notdurft verrichtet. Experimentierfreude muss belohnt werden. Deshalb, liebe Amsterdam-Flüchtlinge, fahrt hin, hockt euch nieder und genießt die Aussicht im futuristischen Lelystad.

Hannes Vollmuth

Pilsen statt Prag

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(Foto: gemeinfrei, dpa)

Prag hatte Franz Kafka. Aber Pilsen hat die Marionetten Spejbl und Hurvínek! Prag hat die Karlsbrücke und den Hradschin. Aber Pilsen hat die Brauerei Plzeňský Prazdroj, in der das Pilsener Bier erfunden wurde! Und es hat einen der größten und schönsten historischen Stadtplätze Europas. Nahe dem "Platz der Republik" befindet sich ein fantastischer Spielzeugladen, in dem es Spejbl und Hurvínek zu kaufen gibt. Gleich neben Marionetten- und Gespenstermuseum. Und es gibt dort Krtek! So heißt "Der kleine Maulwurf" im tschechischen Original. Von dem gibt es zwar auch in Prag einige Exemplare zu kaufen. Aber Pilsen - 95 Kilometer von Prag entfernt - ist liebenswerter und ruhiger, das Steak im "Angusfarm"-Restaurant ist saftiger und günstiger als in vielen Prager Nobelschuppen. Spejbl und Hurvínek mussten 1945 übrigens nach Prag umziehen. Die Nazis hatten ihr Pilsener Theater geschlossen. Saublöde Nazis, wirklich. Für immer ins Gespenstermuseum mit ihnen!

Martin Zips

Färöer statt Island

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(Foto: gemeinfrei, Matt Cardy/getty)

"Hu!", brüllte die isländische Fußballnationalmannschaft 2016, und schon kamen die Touristen. Sie wollten die Heimat der wilden bärtigen Männer sehen. Die Wasserfälle, die heißen Quellen, die unberührte Natur. Unberührt ist nach 1,5 Millionen Besuchern im Jahr aber nichts mehr. Rücken an Rücken badet man in der Blauen Lagune, Islands Super-Therme. Vor den Geysiren steht man Schlange. Raue Landschaft und Meer, das gibt es auch auf den Färöern: 18 Inseln zwischen Island und Norwegen. "Hier sind mehr Schafe als Menschen, das ist toll", sagt Christian Johansen, ein Hotelmitarbeiter aus der Hauptstadt. Seine Lieblingsinsel ist Mykines: sechs Einwohner, ein Leuchtturm, Klippen. Was man auf den Färöern unternehmen könne? "Absolut nichts", sagt er. Es gebe keine Actionsport-Anbieter, keine Souvenir-Läden, nur Ruhe und Natur. Und das wird vermutlich so bleiben - zumindest schied die Nationalmannschaft der Färöer schon bei der EM-Qualifikation aus.

Michaela Schwinn

Ponza statt Mallorca

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(Foto: Alamy/mauritius, Sean Gallup/Getty)

In Palma kleben Plakate an Hauswänden, da steht, dass Touristen Terroristen sind. Die Bewohner protestieren, weil die Mieten steigen, die Läden Souvenirshops weichen, der Ballermann nachts die Hölle und morgens ein Parcours aus Sangríabechern und Erbrochenem ist. Nachvollziehbar. Nicht aber, warum es Urlauber noch immer in Massen auf die Insel schwemmt, auf die sich im Sommer zwei Millionen Leute quetschen. Strand und Natur, jaja. Gibt es beides auch auf Ponza. Und Gastfreundschaft obendrauf. Spanisch- gegen Italienisch-Wörterbuch tauschen und 800 Kilometer weiter östlich buchen! Auf der sieben Quadratkilometer kleinen Insel gibt es Postkartenbuchten, Berge, Strände, pastellfarbene Häuser, einen malerischen Hafen. Und Wirt Gerardo Mazzella, der sagt: "Deutsche Urlauber sind hier Exoten. Wir haben fast nur Besucher aus Rom." Außerdem serviert er das Lieblingsgericht der Inselbewohner, bei dem man sich sofort zu Hause fühlt: Linsensuppe.

Laura Hertreiter

Tarragona statt Barcelona

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(Foto: Josep Lago/AFP,Tim Langlotz/ mauritius images / Travel Collection)

Man ist als Barcelona-Tourist ja so einiges gewöhnt. Dass einem aber die Reifen der Räder zerstochen werden und von der Windschutzscheibe der Touristenbusse Farbe tropft, das ist neu. Eineinviertel Stunden entfernt liegt Tarragona, über das Tourismus-Office-Mitarbeiterin Tània Melich ganz selbstbewusst sagt, es sei hier wie in Barcelona, "nur viel familiärer", very beautiful. Für den Einstieg empfiehlt Melich die römischen Monumente, darunter ein herrliches Amphitheater mit Meerblick. Von den drei anderen ist zwar eines derzeit gesperrt, aber egal. Tarragona hat ja den Plaça de la Font, wo man echte (!) Tarragoner angucken kann, die an den Café-Tischen genauso nach Erfrischung lechzen wie die Sandalen-Touris. Pflicht: sich an einen der Calas (Sandstrände) legen, von denen Cala Jovera (Buslinie 12, Ausstieg Blauet) der schönste sein soll - golden, fein und leer. Und abends? "Gehen Sie in den Irish Pub, ins Highland", sagt Melich, "da gehe ich auch immer hin."

Hannes Vollmuth

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