Tom Cruise und der Nazi-Vergleich:Die Logik der Eskalation

Guido Knopp hat die Aufregung um Tom Cruise und seine Video-Predigt in einen sinnlosen Nazi-Vergleich eskalieren lassen. Warum der Scientologe und die Sekte von dieser Eskalations-Strategie profitieren werden.

Tobias Kniebe

Dies wird, so steht zu befürchten, das Jahr des Tom Cruise werden. Als ob 2007 nicht schon gereicht hätte, und als ob es nicht noch andere Verrückte auf der Erde gäbe.

Tom Cruise und der Nazi-Vergleich: Erleuchtet oder überbelichtet? An Tom Cruise scheiden sich die Geister.

Erleuchtet oder überbelichtet? An Tom Cruise scheiden sich die Geister.

(Foto: Foto: Reuters)

Die heimliche Hoffnung jedenfalls, die neue "Skandal"-Biographie von Andrew Morton und die neuen Sektenvideos aus dem Internet könnten sich als mediale Eintagsfliegen entpuppen, hat der ZDF-Historiker Guido Knopp am Wochenende gründlich zunichte gemacht. Als Einpeitscher für Bild am Sonntag kam er, sah er - und hob den Irrsinn gleich auf die nächste Stufe.

"Tom Cruise tritt auf wie Goebbels", verkündet er auf der Titelseite des Blattes, in dessen Auftrag er das vier Jahre alte, interne Video, das die Website www.gawker.com trotz Klageandrohung seitens Scientology veröffentlicht hat, analysiert.

Dort sieht man Cruise vor einem riesigen Erdkugel-Emblem, eine tellergroße Medaille um den Hals, links flankiert von Scientology-Chef David Miscavige, rechts von einem Porträt des Sektengründers L. Ron Hubbard. Er spricht zu den Eingeweihten: Über die Bedeutung der Tatsache, "dabei zu sein" und "etwas zu tun", und wie "sehr sehr sehr viel" ihm das alles bedeute. Dann fällt die entscheidende Frage: "So what do you say? We clean this place up?" Die Zuhörer brechen in laute "Yeah"-Rufe aus.

Nun ist das englische "place" ein dehnbarer Begriff, was den Satz interpretierbar macht - es könnte sich zum Beispiel um die Aufforderung handeln, nach dem Vortrag den Versammlungsraum aufzuräumen.

An diese Version glaubt natürlich niemand, die Übersetzung des Guido Knopp ist aber ebenfalls eine Interpretation: "Sollen wir die Welt säubern?" meint er herausgehört zu haben, und die Bild-Reporter wiederum berichten, der Star habe diese Worte geschrieen - obwohl er gerade in diesem Moment ziemlich leise spricht. Die "Menge", die in ihrer Darstellung "fanatisch-begeistert brüllt", erreicht auch eher den Geräuschpegel einer inspirierten Kleintierzüchterversammlung.

Die Welt säubern?

Natürlich ist es trotzdem aufschlussreich, Tom Cruise einmal so reden zu hören, wie er vor den Mitgliedern seiner bizarren Weltanschauung spricht, und fanatisch und beunruhigend wirkt der Auftritt durchaus.

Der Erkenntnisgehalt liegt jedoch eher im Bizarr-Atmosphärischen, der Neuigkeitswert ist gering: Dass sich Cruise sehr zur Rettung der Welt berufen fühlt und intern wie extern zu den führenden Propagandisten von Scientology zählt, ist seit Jahren bekannt und durch zahllose Auftritte belegt - ebenso wie die Behauptung der Sekte, dank ihres angeblich überlegenen Wissens die Menschen von Problemen wie Drogensucht, Depressionen und psychischen Krankheiten heilen zu können. Der Begriff der "Reinigung" ist dabei von zentraler Bedeutung als selbst auferlegte Verpflichtung - "Purification Rundown" heißt eine der wichtigsten Techniken der Sekte.

Das weiß offenbar auch Knopp. "Es mag ja sein, dass Cruises Sprechweise bei vielen Erweckungsbewegungen in den USA üblich ist", beginnt er seinen Nazi-Vergleich, aber dann kann er doch nicht stoppen: "Die Szene, in der fragt, ob die Scientologen die Welt säubern sollen, und alle Ja rufen, erinnert zwangsläufig jeden Deutschen, der sich für Geschichte interessiert, an die berüchtigte Sportpalast-Rede von Goebbels."

Nun ja, vielleicht - wenn es den besagten Deutschen nicht doch eher an eine interne Motivationsveranstaltung von Microsoft gemahnt ("Sollen wir die Idioten von Google fertigmachten?" "Yeah!") sowie an alle Arten von öffentlicher Darbietung, in denen ein gefallsüchtiger Mensch auf der Bühne eine Reaktion des Publikums provozieren will: "Are we having fun yet?" "Uuaaahhhh!"

Doch im Ernst: Was könnte der Grund sein, die Rassen- und Vernichtungsideologie der Nationalsozialisten, die zum Zeitpunkt von Goebbels' "Wollt ihr den totalen Krieg?"-Frage schon Millionen Menschen den Tod gebracht hat, mit dem Missionseifer einer Hollywood-Sekte gleichzusetzen, die, wie es im deutschen Verfassungsschutzbericht heißt, "vor allem dem Gewinnstreben" dient?

Die totalitären Tendenzen, die sich aus den Schriften des L. Ron Hubbard herauslesen lassen, reichen gerade dafür, Scientology in Deutschland als "verfassungsfeindlich" einzustufen - zu mehr aber auch nicht. Die Sekte steht weltweit unter schärfster Beobachtung und muss schon deshalb alles daransetzen, sich gesetzeskonform zu verhalten. Anweisungen zum Mord an Andersdenkenden sind jedenfalls nicht bekannt - und jeder Staatsanwalt würde Scientology bei solchen Aktivitäten auch freudig vom Gesicht des Erdbodens klagen.

Tatsächlich folgt Knopp hier einer Rhetorik der Eskalation um jeden Preis, die man unter umgekehrten Vorzeichen auch von Scientology selbst kennt. Vor über zehn Jahren, im Januar 1997, kochten die Gefühle zwischen Deutschland und Tom Cruise schon einmal in ähnlicher Weise hoch. Die Junge Union hatte damals dazu aufgerufen, seine Film "Mission: Impossible" zu boykottieren, woraufhin sich eine ganze Reihe von Hollywood-Prominenten in einem offenen Brief an Bundeskanzler Kohl wandten, der in der International Herald Tribune abgedruckt wurde.

"In den dreißiger Jahren hat Hitler religiöse Intoleranz zur offiziellen Staatsdoktrin erklärt", schrieben Unterzeichner wie Dustin Hoffman, Goldie Hawn, Oliver Stone und Gore Vidal. "Damals waren es die Juden, heute sind es die Scientologen." Die Protestler, die von Cruises damaligem und heutigem Anwalt Bert Fields zusammengetrommelt wurden, waren nicht einmal selbst Scientology-Mitglieder, sondern nur Freunde des Stars. Der Aufschrei der Deutschen war dennoch gewaltig, das Echo dieses anderen Nazi-Vergleichs groß. Nur Kohl selbst blieb gelassen und wischte die ganze Aktion knapp als "Unsinn" beseite.

Eine ähnlich schelle und schmerzlose Erledigung der Debatte würde man sich auch diesmal wieder wünschen - aber leider ist damit nicht zu rechnen. Scientology und seine Unterstützer in Hollywood, die Deutschland noch immer von Nazi-Ideologie durchdrungen wähnen, werden aufheulen - und dann können Sektenexperten, Politiker und Boulevard-Medien umso lauter zurückheulen.

Sie alle haben in diesem durchschaubaren Spiel zu gewinnen: Mehr Geld, mehr Planstellen, höhere Auflagen. Der größte Profiteur aber wird, da führt kein Weg daran vorbei, am Ende Tom Cruise und seine Sekte selbst sein - weshalb die verbliebenen Kräfte der Vernunft in diesem Moment einfach beschließen sollten, dass 2008 dann lieber doch nicht sein Jahr werden wird.

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