Kommentar zur Hundeattacke:Vom Menschen zum Monster gemacht

Hundeattacke in Hannover

Der Staffordshire-Terrier-Mischling "Chico", der zwei Menschen totgebissen hat, in einem Gehege im Tierheim Hannover.

(Foto: dpa)

Was soll mit einem Hund geschehen, der seinen Halter getötet hat? Er kann nicht "Schuld tragen" im menschlichen Sinne, hat aber auch nicht die Rechte eines Menschen.

Kommentar von Matthias Drobinski

Chico ist ein armer Hund. Er kann nichts dafür, dass die Menschen den Staffordshire-Mischungen starke Muskeln und ein kräftiges Gebiss angezüchtet haben. Er kann auch nichts dafür, dass er zu Menschen kam, die nicht mit Hunden umgehen konnten. Und schon gar nicht lag es an ihm, dass das Veterinäramt der Stadt Hannover schon seit 2011 wusste, dass hier Hund und Halter auf gefährliche Weise nicht zusammenpassten - und trotzdem nicht handelte.

An all dem ist Chico unschuldig, schon allein, weil auf einen Hund die menschlichen Kategorien von Schuld und Verantwortung nicht zutreffen können. Aber er hat zwei Menschen totgebissen. Er ist und bleibt eine Gefahr für andere Menschen, die nun auch keine Schuld daran trifft, dass hier ein Hund zur Beißmaschine erzogen wurde. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus dem Tier, das schon vor sieben Jahren als gefährlich und aggressiv galt, ein netter Familienhund wird, ist äußerst gering.

Eine merkwürdige Vermenschlichung des Tiers

Der zum Monster erzogene Hund ist die eine Seite des in vieler Weise irrationalen Verhältnisses von Mensch und Tier. Die andere Seite der Irrationalität aber sind die mittlerweile mehr als 250 000 Unterzeichner einer Online-Petition, die verhindern wollen, dass Chico eingeschläfert wird, sind jene Hunderte Tierfreunde, die das gefährliche Tier adoptieren wollen, ist der Befreiungsversuch aus dem Tierheim Hannover - als sei Chico eine Art politischer Gefangener, dessen Einkerkerung ein Fanal für Recht und Freiheit erfordere: Er ist unschuldig! Gebt ihn frei!

Es steht hinter dem Aufschrei für Chico eine eigentümliche Vermenschlichung des Tiers, die weder Mensch noch Tier gerecht wird. Sie ist eine Projektion. Das unschuldige Tier ist im Grunde der bessere Mensch als der Homo sapiens am anderen Ende der Leine mit all seinen Abgründen. Seit im 18. Jahrhundert Jonathan Swift seinen Gulliver nach seinen Reisen ins Land der Zwerge und der Riesen ins Reich der Pferde kommen ließ, die in allem besser lebten als die Menschen, ist das ein gängiges Motiv der Gesellschaftskritik - nur war Jonathan Swift ein großer Ironiker, den Tierschützern aber ist es arg ernst.

Tiere als Tiere respektieren

Dieser Ernst ist überraschend empfindungslos gegenüber den Menschen, die ein gefährlicher Hund verletzen - oder, gerade Kinder, auch totbeißen kann. Und er lässt das Tier nicht Tier sein: Das arme Viech muss das verletzte Verhältnis zwischen Mensch und Natur heilen. Artgerecht ist das nicht.

Das Tier als Tier sehen und respektieren - damit wäre schon viel gewonnen, beim Kükenschreddern wie in der Schweinemast, der Hamsterhaltung im Kinderzimmer und der Hundeerziehung. Dafür einzutreten wäre ein lohnendes Ziel für jeden Tierschützer. Für Chico, den armen Hund, muss aber leider gelten: Kann er nicht dauerhaft irgendwo untergebracht werden, wo er sicher keinen Menschen gefährdet, muss er sterben. Und ja: Die Schande seines Todes trifft die Menschen.

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