Todesschütze in Dossenheim:"Ich bring euch alle um"

Dossenheim Schießerei

Nach den Todesschüssen in Dossenheim waren die Einsatzkräfte schnell am Tatort, doch für zwei Menschen kam jede Hilfe zu spät.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Mehr als 30 Jahre wohnte der Schütze von Dossenheim im selben Haus. Immer wieder kam es zu Streitereien mit Nachbarn. Mal ging es um die Höhe einer Hecke, mal um die Lautstärke eines Fernsehers. Am Dienstagabend hat sich das alles entladen.

Von Roman Deininger, Dossenheim

Die Hausnummer Eins liegt gleich an den Straßenbahnschienen mitten in Dossenheim, sie versteckt sich hinter einer großen Tanne, so gut sich ein Achtfamilienhaus halt verstecken kann. Genau wie die Tanne hat auch das Haus schon bessere Tage gesehen, das dunkle Holz der Balkone ist brüchig. Im Garten hat jemand ein Vogelhäuschen mit einem Fahrradschloss an den Zaun gekettet. Fast alle Rollladen sind hinuntergelassen, das kann natürlich Zufall sein. In einem der Postkästen steckt die Lokalzeitung vom Tage, noch nicht abgeholt um die Mittagszeit. Das dürfte kein Zufall sein. Die Schlagzeile lautet: "Blutbad bei Eigentümerversammlung".

1979 ist der Industriearbeiter Filip N. in das Haus an den Schienen gezogen. Über die Jahre muss das Misstrauen gewachsen sein bei ihm, der Ärger, irgendwann wohl der Hass. Es habe öfter Streit gegeben unter den Bewohnern, das sagt die Polizei, das erzählen die Nachbarn. Oder genauer: Streit zwischen Filip N. und allen anderen. Mal ging es um die Höhe einer Hecke, mal um die Lautstärke eines Fernsehers.

Am Dienstagabend hat sich das alles entladen. Bei einer Eigentümerversammlung in einer Sportgaststätte, zu Fuß nur ein paar Minuten von hier. Filip N., 71 Jahre alt, hat zwei Menschen erschossen, fünf verletzt und sich am Ende selbst gerichtet mit einer Kugel in die rechte Schläfe.

Am Mittwochnachmittag ringt Siegfried Kollmar in einem Konferenzraum der Polizeidirektion Heidelberg um Worte, eigentlich: um ein Wort. Experten, sagt der Heidelberger Kripo-Chef, könnten jetzt sicher trefflich darüber debattieren, ob der Begriff auf das Verbrechen von Dossenheim juristisch wirklich passe: Amoklauf. Aber ein besserer Ausdruck, einer, der dem Grauen im Sportheim auch nur annähernd gerecht, falle ihm auch nicht ein.

Was im Vereinslokal geschah

"Ambiente" heißt das Vereinslokal der TSG Germania 1889 Dossenheim, es ist etwas schicker, als Vereinslokale in 12.000-Einwohner-Städtchen üblicherweise sind. Es gibt ein Hallenbad hier in der Nähe, eine Mehrzweckhalle, einen Reitparcours, ein Schützenheim, Tennisplätze. Auf Platz Nummer elf hat sich nach Augenzeugenberichten eine der Verletzten am Dienstagabend gerettet, ist auf der kleinen Bank niedergesunken wie ein erschöpfter Spieler in der Pause.

Ein anderer Verwundeter hat sich bis zur Pferdekoppel geschleppt. Um 18 Uhr 51 war bei der Polizei der Alarm eingegangen, Schüsse bei der TSG Germania. Um 18 Uhr 57 waren die ersten Einsatzkräfte vor Ort. Scharfschützen bezogen Position, ein Hubschrauber kreiste über dem abgesperrten Areal. Die Polizisten wussten ja nicht, dass der Horror da schon vorüber war.

Als die Beamten die Gaststätte betraten, fanden sie zuerst Filip N., im Eingangsbereich in seinem eigenen Blut. Reanimationsversuche blieben erfolglos. Neben N. lag seine Waffe, eine Česká Modell 75 (CZ 75), neun Millimeter. Sie war legal in seinem Besitz, er hat sie 1992 gekauft in einem Heidelberger Geschäft, das heute nicht mehr existiert. Noch sechs weitere Schusswaffen sind auf seinen Namen registriert. Der Polizei aufgefallen ist er allerdings nie.

Eine Nachricht, die niemanden mehr überrascht

Es ist eine Nachricht, die niemanden mehr überrascht bei solchen Gewaltverbrechen, egal ob man sie nun Amoklauf nennt oder nicht: Der Täter war Sportschütze. In seiner Wohnung fand die Polizei zahlreiche Pokale und Medaillen von Wettbewerben. Filip N. müsse ein ziemlich guter Schütze gewesen sein, sagt Kripochef Kollmar. Der politische Donner erhob sich kurz danach: Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) forderte genau wie die Grünen das Verbot großkalibriger Waffen wie der Česká 75. Solche würden Sportschützen schlicht nicht brauchen.

Die Eigentümerversammlung des Hauses an den Straßenbahnschienen hatte am Dienstag um 18 Uhr in einem Nebenzimmer des "Ambiente" begonnen. Nur ein paar Meter weiter war in einem anderen Raum gerade eine CDU-Wahlkampfveranstaltung zu Ende gegangen, Maria Böhmer war da, die Staatsministerin im Kanzleramt. Was dann in dem Nebenzimmer geschah, haben Polizei und Staatsanwaltschaft schon rekonstruiert.

Acht Personen sitzen in U-Form beisammen, sieben Eigentümer und der Hausverwalter. Wie schon einige Male zuvor kommt es zu Wortgefechten zwischen Filip N. und dem Hausverwalter, diesmal geht es um die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2012. N. wirft dem Verwalter Betrug vor; in ähnlicher Sache hatte er schon Ende 2011 ergebnislos Strafanzeige gegen die verantwortliche Gesellschaft gestellt.

Als N. auf eine Miteigentümerin losgeht, verweist ihn der Verwalter des Raumes. Er verlässt die Gaststätte, seine Frau bleibt aber im Raum. Vermutlich fährt er nach Hause und holt die Česká. Eine Viertelstunde später kehrt er zurück, er geht zur Theke und trinkt eine Cola, er wirkt nervös. Dann betritt er das Nebenzimmer, er ruft: "Ich bring euch alle um." Und eröffnet das Feuer, aus nächster Nähe, 17 Schüsse in wenigen Minuten.

"Dir tu ich nichts"

Zwei Männer werden tödlich in den Oberkörper getroffen, der eine 82, der andere 54 Jahre alt. Vier weitere Versammlungsteilnehmer werden verletzt, darunter der Verwalter, darunter die Frau des Täters. Ein Sprung unter den Tisch rettet sie wohl vor dem Mord durch den eigenen Mann. Ein Schuss trifft eine unbeteiligte Frau draußen auf der Terrasse. Am Mittwochnachmittag meldet die Polizei: Alle Verletzten sind außer Lebensgefahr.

Als Filip N. ins Treppenhaus eilt, kommt ihm ein Kellner entgegen. "Dir tu ich nichts", ruft N. Es sind die letzten Worte, bevor er sich das Leben nimmt.

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