Tiger tötet Pflegerin:Im Vertrauen lauert die Gefahr

Im Kölner Zoo hat ein Tiger eine Mitarbeiterin angefallen und mit einem Biss in den Hals getötet. Doch wie konnte das der erfahrenen Pflegerin passieren? Der WWF kritisiert, dass die in Tierparks gehaltenen Tiger allesamt verhaltensgestört seien. Tierschützer fordern Konsequenzen.

Bernd Dörries, Köln

Seit einem Jahr kannten sie sich, schon seit mehreren Jahren machte Ruth K. das Gehege der Sibirischen Tiger sauber, das Revier von Altai. Immer waren die Gitter zwischen ihnen, bis am Samstag eine Tür offen stand, die nie offen sein sollte. Altai rannte los und biss Ruth K., 43, in den Hals. Sie war seine Beute.

Eine Kollegin findet die Revierpflegerin gegen Mittag, der Direktor des Kölner Zoos wird informiert, die Polizei rückt mit einem Sondereinsatzkommando an. Zoodirektor Theo Pagel holt sein großkalibriges Gewehr, klettert auf das Dach eines Stalls und schießt dem Tiger ins Herz. Jetzt sind beide tot, der Tiger und die Pflegerin. "Es ist der schwärzeste Tag meines Lebens", sagte der Direktor am Samstag.

Und er sagte auch, dass sich die Pflegerin nicht an jenem Ort im Gehege hätte aufhalten dürfen, wo sie nun gefunden wurde. Eine Schleuse war offen, die sonst immer geschlossen sein muss. "Eine Tür, die hätte zu sein sollen, war nicht zu", sagte der Direktor. "Wir können uns derzeit nicht erklären, wie einer so erfahrenen Kollegin ein so verhängnisvoller Fehler passieren konnte", sagte Pagel. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen aufgenommen.

Seit 1990 arbeitete Ruth K. im Zoo, seit einigen Jahren leitete sie das Katzengehege, im ZDF konnte man sie in der Doku-Soap "Tierisch Kölsch" sehen, mit der Universität Köln arbeitete sie für ein Forschungsprojekt zusammen. Die Raubkatzen seien ihr Leben gewesen, sagen Kollegen. Und sie haben es ihr auch genommen. Bereits 2005 wurde Ruth K. von einem Geparden angegriffen, auch damals am Hals, sie überlebte schwer verletzt. Ein Auszubildender konnte sie in letzter Minute aus dem Gehege ziehen.

Der getötete vierjährige Tiger Altai war erst seit 2011 im Kölner Zoo, er kam aus Howletts in England und sollte hier Nachwuchs zeugen, ein Projekt des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms. Der Sibirische Tiger ist selten, nur etwa 3000 leben noch in freier Wildbahn. Im Kölner Zoo vermehrte er sich aber, die Tigerdame Hanya brachte im Dezember 2011 drei Babys zur Welt, die in den folgenden Monaten das beliebteste Fotomotiv des Zoos wurden. Der Vater wurde erst getrennt von den Kindern, durfte dann aber wieder mit ins Gehege, was eigentlich artuntypisch ist - in freier Wildbahn verlassen die Männchen die Familie in der Regel, um das Revier zu verteidigen.

Kritik am Zoodirektor wird laut

Der Sprecher der Tierschutzorganisation WWF kritisierte nun, dass die in Zoos gehaltenen Tiger allesamt verhaltensgestört seien und in freier Wildnis nicht überleben würden. Die Tierrechtsorganisation Peta forderte, Großkatzen in Zoos schlichtweg zu verbieten. "Durch die artwidrige Haltung in viel zu kleinen Gehegen nutzen die Raubkatzen jede sich bietende Möglichkeit, ihrem Gefängnis zu entkommen", warnte Peta. "Ausbrüche und tödliche Unfälle sind programmiert." Anfang des Jahres war in Köln ein Gepard über eine Mauer gesprungen und wurde erst im Gelände der Flamingos wieder eingefangen.

Auf der Facebook-Seite des Kölner Zoos und in anderen Foren wurde der Direktor des Zoos am Wochenende für sein Vorgehen heftig angegriffen: Er hätte den Tiger doch auch nur betäuben können, lautete ein häufiger Vorwurf. Nach Darstellung des Zoos hat es aber keine Alternative zur Tötung gegeben. Es hatte ja keiner wissen können, wie genau es um die Frau stand. Da habe jede Sekunde gezählt, sagt der Direktor. Zum anderen habe die Gefahr bestanden, dass der Tiger durch ein geöffnetes Fenster in den Innenbereich des Zoos entkommt - und dort Besucher angreift. Auch die Polizei unterstützte das Vorgehen des Direktors, die Anweisung zur Tötung wurde von der Einsatzleitung der Polizei ausgesprochen. Sie selbst hätte mit den gängigen Dienstwaffen das Raubtier nicht töten können. "Das hätte den Tiger nicht gekratzt", sagte ein Sprecher.

Für Besucher habe zu keinem Zeitpunkt Gefahr bestanden, sagte der Direktor. Dennoch wurden sie per Lautsprecherdurchsage aufgefordert, den Zoo zu verlassen; ein Polizeihubschrauber kreiste über den Gehegen. Nach zwei Stunden wurde die Anlage wieder geöffnet. Die beliebte "Sommernacht im Zoo" wurde abgesagt. Aus Rücksicht auf die Gefühle der Angehörigen und Hinterbliebenen, schrieb der Tierpark in einer Mitteilung: "Der ganze Zoo trauert."

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