Tiertherapie:Heilende Hunde

Auf vier Pfoten zurück ins Leben - in einer oberbayerischen Klinik werden Hunde zur Behandlung von kleinen Koma-Patienten eingesetzt.

Heiner Effern

Jason ist zwei Jahre alt, er kann seinen kleinen Körper kaum bewegen. Ulrike Kiermeier, seine Physiotherapeutin, hat den Buben auf ihren Schoß gesetzt und stützt ihn mit den Armen, doch die Behandlung übernimmt nun Franny.

Kind spielt mit Hund

Aus dem Koma wieder laufen lernen - Tiertherapie zeigt Erfolge bei Kindern.

(Foto: Foto: AP)

Der elf Jahre alte Collie mit der mächtigen Mähne und dem dünnen Körper tappt vorsichtig an das Kind heran, schnüffelt und holt sich die Leckereien, die Tiertrainerin Clarissa von Reinhardt Jason in die Handfläche des gelähmten Armes gelegt hat.

Das Rückenmark des Buben ist zu 90 Prozent beschädigt, er kann nur den Kopf bewegen und mit den Händen ganz leicht wippen und ein wenig fühlen. Der Hund soll durch das Ablecken der Handfläche diese Fähigkeiten stärken und eventuell sogar ausbauen.

Neben all den üblichen Therapieformen wie Physio-, Ergo- oder Musiktherapie, erhält Jason im Behandlungszentrum Vogtareuth (Kreis Rosenheim) Hundetherapie.

In der Klinik für Neuropädiatrie und Neurologische Rehabilitation für Kinder und Jugendliche, die größte Einrichtung dieser Art in Europa, wird dieses Konzept jetzt seit zweieinhalb Jahren angeboten. Mehr als 100 neurologisch schwerst erkrankte Kinder, meistens im Wachkoma, wurden behandelt.

Und sogar der anfangs äußerst skeptische Leitende Arzt der Klinik, Gerhard Kluger, hat seine Einstellung angesichts der Erfolge grundlegend geändert: "Ich bin begeistert. Das ist etwas Einmaliges." Ähnliche Therapien kennt man bisher vom Reiten oder vom Schwimmen mit Delphinen.

Kein Haustier aber kann offenbar so intelligent auf den Menschen eingehen wie ein Hund. Der besitzt Möglichkeiten, mit Patienten im Wachkoma zu kommunizieren, über die Menschen nicht verfügen - über Blicke, Geräusche, Anstubsen.

Aus dem Koma aufwachen

Ein erster Erfolg ist es schon, wenn sich Kinder durch den Hund entspannen. "Auch das Fixieren und das erstmalige Verfolgen des Hundes mit den Augen sind gute Zeichen, dass die Kinder aus dem Koma aufwachen", sagt Kluger. Zudem entkrampfen Hunde oftmals die Situation im Zimmer, weil sie die Erwartungen der Eltern nicht spüren und den schwerstkranken Kindern völlig unbefangen begegnen.

"Niemand hätte geglaubt, dass wir so etwas erleben. Aber häufige Reaktionen der Patienten, eine Entspannung mit Seufzen oder Ausatmen, genau das kennen Hunde auch", sagt Tiertrainerin Clarissa von Reinhardt.

Die Erfolge ihrer Therapie stellten die Vogtareuther am vergangenen Wochenende auf einem Kongress der Öffentlichkeit vor. Mit großem Erfolg: Statt der erwarteten 50 kamen etwa 300 Ärzte, Psychologen, Therapeuten und Tierbesitzer.

Mit dabei war auch Ellen Romain, leitende Ergotherapeutin an der Klinik, die die neuartige Therapie durchgeboxt hat. "Eineinhalb Jahre habe ich gebraucht, bis ich die Widerstände in allen Bereichen der Klinik gebrochen habe." Anfangs hielt sie mit ihren Kollegen die Stunden in ihrer Freizeit ab, mittlerweile schießt der Förderverein Silberstreifen Geld zu.

Doch wegen der knappen Spendenmittel kann jedes Kind nur vier bis fünf Mal mit Hunden behandelt werden. Das Konzept, das die Standardbehandlungen nicht ersetzen, sondern ergänzen soll, hat Ellen Romain mit Kollegen entwickelt.

Es geht weit über die bekannten Besuchsdienste mit Haustieren hinaus: Zur Behandlung werden die Kinder in einen Therapieraum gebracht, der mit dem Klettergerüst und den Bodenmatten aussieht wie das Turnzimmer eines Kindergartens.

Dazu kommt zu jeder der etwa 20 bis 30 Minuten dauernden Einheiten ein Physio- oder Ergotherapeut. Von ihm werden vor der Therapie schriftlich Ziele festgehalten, deren Erreichen nachher genau überprüft und dokumentiert wird. "Wir suchen den kleinen Faden zum Bewusstsein. Eine Möglichkeit kann der Hund sein", sagt Ellen Romain. In 85 Prozent der Therapien mit Hunden wird das vorher gesetzte Ziel erreicht.

Anstrengung für die Hunde

Die hohe Quote ist auch ein Verdienst der Hundeschule animal learn aus Bernau (Kreis Rosenheim), die als Partner der Klinik die Tiere ausbildet. Ein erfahrener Hund kann wegen der hohen Anspannung maximal zwei Einheiten am Tag durchführen.

Im besten Falle verläuft eine Therapie wie bei der vierjährigen Thais aus Nizza: Sie hat bei einer Sitzung mit dem Hund Ronja und Ellen Romain zum ersten Mal nach vier Wochen im Wachkoma gelächelt. Wenige Wochen später konnte Thais wieder alleine laufen. Sie war darüber so begeistert, dass sie sogar das Interesse an den Hunden verloren hat.

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