Tierschutz:Unterlassene Hilfeleistung

Rewe will mehr Tierschutz bei Schweinehaltung durchsetzen

Arme Schweine: Weil es im Handel vor allem auf den niedrigen Preis ankommt, werden die Tiere meistens nicht artgerecht gehalten.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Eintagsküken, Töten überzähliger Ferkel, Massenkeulung, Antibiotikamissbrauch - bei einer Pressekonferenz kritisiert der Tierschutzbund die Bundesregierung scharf.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Als Thomas Schröder vor drei Jahren das "Tierschutzlabel" des Deutschen Tierschutzbundes vorstellte, bekam er häufig Pfiffe zu hören. Und manchmal, so sagt der Verbandspräsident, fürchtete er bei öffentlichen Auftritten sogar Prügel. Käufer von Hühner- oder Schweinefleisch mit dem Label darauf können erwarten, dass die Tiere zu Lebzeiten im Stall mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben und "Kontakt zum Außenklima" hatten. Dass ihre Gewichtszunahme ein verträgliches Maß nicht überstieg, dass sie, im Falle der Schweine, nicht ohne Betäubung kastriert und nicht allzu lang durch die Gegend kutschiert wurden. Die Liste der Regeln, für die das Label bürgt, ist noch viel länger. Kann das eine Zumutung sein? Offenbar ja. Schröder fühlte sich damals bedroht, aber nicht von Landwirten, sondern von vermeintlich Gleichgesinnten. Was er zu hören bekam: "Wie kann man als Tierschützer nur Tierfleisch auszeichnen?"

Der Niedersachse Thomas Schröder, 50, seit dem Jahr 2011 Chef des ältesten und größten deutschen Tierschutzverbandes, isst zwar selten, aber hin und wieder doch ein Stück Fleisch. Damit ist der Unterschied zu anderen, kompromisslosen Tierschutzorganisationen wie Peta gut beschrieben. Manche Tierschützer würden eben Kampagnen betreiben, was völlig legitim sei, sagt Schröder. Sein Verband kümmere sich lieber um Themen und lege Wert auf Nachhaltigkeit. Klar, Lobby-Arbeit bei Gesetzgebungsverfahren sei vergleichsweise "unsexy bei der Spendenwerbung". Und natürlich macht sich, wer Realpolitik betreibt, auch mal die Hände schmutzig.

Gemeinsam mit Handel, Wissenschaft und Konzernen wie Wiesenhof hat Schröders Verband das Tierschutzlabel entwickelt. 14,8 Millionen Hühner und Schweine werden derzeit von dem System erfasst. Immer wieder aber enthüllen andere Tierschützer süffisant, in den gelabelten Ställen gehe es auch nicht viel anders zu als in normalen Ställen. Doch Funktionär Schröder beharrt darauf, Reden und Kampagnen seien die eine Sache. "Aber das konkrete Tier im Stall braucht jetzt Hilfe."

Am Donnerstag, vor der Mitgliederversammlung in Stuttgart, beschuldigte Schröder die Bundesregierung auf einer Pressekonferenz der unterlassenen Hilfeleistung. SPD und Union hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, dringende Probleme im Tierschutz anzugehen. Die Liste ist lang: überlastete Tierheime, Eindämmung des Wildtierhandels, Verbot des gewerblichen Handels mit exotischen Tieren, Suche nach Alternativen zu Tierversuchen, verpflichtende Prüf- und Zulassungsverfahren für die Haltung von Tieren in der Landwirtschaft. Aber nichts davon, oder nur sehr wenig, habe der zuständige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt angepackt. Passend dazu veröffentlichte der Verband am Donnerstag sein neues "Schwarzbuch", um zu zeigen, wie wenig die Politik unternehme, um den seit 2002 im Grundgesetz als Staatsziel festgehaltenen Tierschutz zu befördern. Im Tierschutzgesetz steht: "Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen." Das ist die Messlatte für die Politik.

Auf mehr als siebzig Seiten führt das Schwarzbuch, garniert mit eindrücklichen Bildern, die Wahrheit der deutschen Tierwelt auf, wie der Tierschutzbund sie sieht: Eintagsküken, Töten überzähliger Ferkel, Massenkeulung, Antibiotikamissbrauch, Schlachtung von trächtigen Kühen, Schnabelkürzen, Kastration ohne Betäubung und vieles mehr, vom Leid der Zirkustiere bis zur verheerenden Sammelsucht mancher vermeintlicher Tierfreunde. Solche Zustände seien "gesellschaftlich nicht mehr toleriert", sagt Verbandspräsident Schröder streng. "Es gibt in Deutschland einen Wertewandel."

Umfragen zum Beispiel über die Akzeptanz der deutschen Nutztierhaltung geben ihm recht. Aber was helfen solche Zahlen? 80 Prozent der Verbraucher wollen angeblich Fleisch nach Tierschutz-Kriterien einkaufen. Aber die allermeisten richten sich an der Ladentheke dann doch nach dem Preis. Tierschutz soll nichts kosten. Auch die Landwirte seien da letztlich nur Opfer des Systems, findet Schröder. Wer könne sich schon, wenn die Milchpreise in den Keller gehen, Investitionen in den Tierschutz leisten? Ohne strenge staatliche Nachhilfe wird der Wertewandel in Sachen Tierschutz wohl so schnell keinen Eingang in das Alltagsverhalten von Konsumenten finden. Schröder fordert deshalb weniger freiwillige Selbstverpflichtungen und mehr gesetzlichen Zwang.

Auch ein offizielles staatliches Tierschutzlabel steht auf der Liste der Forderungen des Tierschutzbundes. Politiker verweisen in dem Zusammenhang gern nach Brüssel: Dies sei Sache der Europäischen Union. Aber irgendein Land müsse ja vorangehen, findet Schröder. Ein staatliches Label würde natürlich das entsprechende Siegel des Tierschutzbundes überflüssig machen, aber das könnte Präsident Schröder verschmerzen. Der Marktanteil des Verbands-Labels, das den Tierschutz aus der Nische holen sollte, liegt derzeit bei unter einem Prozent.

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