Tierschutz in der Schweiz:Aus Liebe zum Meerschweinchen

Kurs für Hundehalter, Freigang für Kühe - die Schweiz hat die schärfsten Tierschutzgesetze der Welt erlassen.

Gerd Zitzelsberger

Schweizer müsste man sein, besser noch Schweizer Meerschweinchen. Die bekommen von Montag an per Regierungsdekret, was ihren Besitzern gelegentlich fehlt: ein Sozialleben.

Tierschutz in der Schweiz: Nur noch im Doppelpack zu haben: Damit Meerschweinchen sich nicht einsam fühlen, müssen sie in der Schweiz mindestens zu zweit gehalten werden.

Nur noch im Doppelpack zu haben: Damit Meerschweinchen sich nicht einsam fühlen, müssen sie in der Schweiz mindestens zu zweit gehalten werden.

(Foto: Foto: istock)

Denn mit Monatsbeginn tritt in der Eidgenossenschaft eine Tierschutzverordnung in Kraft, die so weit geht wie nirgendwo sonst in der Welt. Mancher Mensch mag neidisch werden, wenn er die neuen Regeln liest.

Falsch verstandene Meerschweinchen

Meerschweinchen gelten eigentlich auch in der Schweiz als pflegeleicht und robust genug, dass Kinder sie knuddeln und herumtragen können. "Falsch! Alles falsch!", klärt das Bundesamt für das Veterinärwesen in Bern jedoch inzwischen die Eidgenossen auf. Was ihre Besitzer für Zutraulichkeit hielten, sei in Wirklichkeit oft Schreckstarre oder depressive Lethargie.

Meerschweinchen seien von Natur aus vor allem gesellige Tiere, ohne aber den Menschen als Ersatz-Artgenossen zu akzeptieren. Deshalb schreibt die neue Tierschutzverordnung der Schweiz vor, dass Meerschweinchen künftig mindestens im Doppelpack zu halten sind.

Die gleiche Vorschrift gilt für Kaninchen, Vögel und andere Tierarten. Auch die Bauern müssen in das Sozialleben ihrer Vierbeiner investieren. So erstreckt sich das Gebot der Gruppenhaltung gleichfalls - zumindest im Grundsatz - auf Kälber.

Mindestwohnraum für tierische Mitbewohner

Vorgeschrieben ist auch die Mindestgröße der Boxen und Käfige, politisch korrekt Vivarium genannt: So muss einem Meerschweinchen-Paar mindestens ein halber Quadratmeter zur Verfügung stehen. Dem ausgewachsenen Huhn stehen auf der Legestange 14 Zentimeter und ein Luftraum von 30 Zentimetern zu.

Ein Pferd hat je nach Größe Anspruch auf eine bis zu zwölf Quadratmeter große Box. Auch den Zweibeiner haben die Tierschützer nicht ganz vergessen. Sieben Menschen im Land werden pro Tag durch Hundebisse verletzt; vor allem Pitbull Terrier, Dobermänner und Rottweiler gelten nach der jüngsten Statistik als potentiell gefährlich.

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Aus Liebe zum Meerschweinchen

Deshalb gibt es künftig ein "Hunde-Obligatorium": Tier und Herrchen müssen einen zehnstündigen Erziehungskurs absolvieren; für den Halter kommen noch ein paar Theorie-Stunden dazu. Betagte Damen, die sich einen Pudel als Lebensgefährten anschaffen, sind von der Kurspflicht keineswegs ausgenommen.

Freigang für Kühe

Glücklicher werden sollen auch die Kühe. Sie dürfen künftig nicht länger als zwei Wochen ununterbrochen im Stall stehen und müssen pro Jahr mindestens 90 Tage Freigang bekommen, davon 30 Tage im Winter.

Ähnlich ins Detail geht die Regelung bei den Meerschweinchen: Als Nager müssen sie nicht nur etwas zum Fressen, sondern auch etwas zum Nagen bekommen und Streu dazu. "Achtung und Respekt schulden wir auch kleinen Tieren", begründen die Staats-Veterinäre die Vorschriften. Sogar in die Verfassung haben die Eidgenossen die "Würde der Kreatur" aufgenommen.

Kein Herz für Spinnen, Läuse und Fliegen

Ein paar Schranken des Respekts kennt allerdings auch die Schweiz: Bei Spinnen oder Läusen darf auf artgerechte Haltung und die Sorge um deren Wohlergehen verzichtet werden. Denn die Tierschutzverordnung gilt nur für Wirbeltiere, Kopffüßler und Panzerkrebse.

"Fliegen können Sie ebenfalls erschlagen", sagt eine Tierlobbyistin, die sich mit diesem Satz aber keinesfalls zitiert sehen will. Auch Marcel Falk vom staatlichen Veterinäramt wiegelt inzwischen ab: "Stubenkontrollen bei Meerschweinchen-Besitzern sind nicht vorgesehen."

Wenn der Amtsschimmel durchgeht...

Dass ihnen der Staat so stark in ihr Leben hineinregiert, sind die Schweizer ganz und gar nicht gewohnt. Entsprechend spöttisch reagieren Teile der Öffentlichkeit: Von "bürokratischem Aktivismus" ist die Rede, "Regulierungswahn" diagnostiziert die Neue Zürcher Zeitung, und der Tages-Anzeiger hört den "Amtsschimmel im Meerschweinchen-Käfig wiehern".

Die Schweizer mögen Tiere, jede zweite Familie hat mindestens eines. Mit den neuen Vorschriften dürften Haustiere aber an Popularität verlieren. Den Tierschützern ist das nur recht: "Wir hoffen, dass es sich die Leute dreimal überlegen, ob sie sich einen Hund zulegen", sagt Alexandra Spring von der "Stiftung für das Tier im Recht". "Besser gar kein Tier im Haus als eines, das nicht artgerecht gehalten wird."

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