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Wildschwein in Rinderherde

Jahrtausendealte Ressentiments zwischen Rindern und Wildschweinen scheinen aufzuweichen. Und nicht nur diese.

(Foto: Markus Scholz/dpa)

Wildschweine schließen sich Rindern an, Tiger befreunden sich mit Ziegen, Löwen mit Antilopen: Das rätselhafte Phänomen der Tieradoption greift um sich.

Von Martin Zips

Immer mehr Wildschweine lassen sich von Rinderherden adoptieren. Los ging es mit Frischling "Friederike". Die kleine Sau nahm 2010 im Landkreis Göttingen überraschend Kontakt zu einer Galloway-Rinder-Herde auf. Als vor zwei Monaten wenige Kilometer weiter der Frischling "Johann" in Friederikes Huf-Stapfen trat, wunderten sich selbst Experten über die rätselhafte Häufung "alloparentaler Pflege" (Brutfürsorge von Individuen, die nicht die Eltern sind) im Göttinger Landkreis. Jetzt wurde ein Fall in Mörel (Schleswig-Holstein) bekannt, wo sich das Wildschwein "Banana" seit zwei Monaten derart gut in eine Herde von acht Ochsen integriert haben soll, dass es ihnen bis auf den Hof folgt.

Während die Menschenwelt immer animalischer zu werden scheint, während der Vernunft geschuldete Friedensbündnisse und Solidargemeinschaften auf erschreckende Weise ins Wanken geraten, scheinen zumindest jahrtausendealte Ressentiments zwischen Rindern und Wildschweinen aufzuweichen. Und nicht nur die.

Im russischen Tierpark Primorje nahe Wladiwostok trauten die Wärter jüngst ihren Augen nicht, als Tiger "Amur" den ihm zum Fraß vorgesetzten Ziegenbock "Timur" als Nahrung verschmähte und stattdessen eine intensive Freundschaft mit ihm begann. Nach Angaben des Zoodirektors Dmitri Mesenzew sind die beiden mittlerweile "unzertrennlich" und schreiten das Territorium des Tigers gemeinsam ab. Eine Folge des Klimawandels? In Kenia war bereits im Jahr 2002 eine Löwin aufgefallen, weil sie sich nacheinander in gleich mehrere Antilopen verliebte. Blöd nur, dass eine nach der anderen der gefräßigen Verwandtschaft der Großkatze zum Opfer fiel. Insgesamt sind mehr als 120 Säugetier- und 150 Vogelarten bekannt, die entfernten Arten mindestens so nahe kommen wie einst Nilpferd "Mzee" der 130 Jahre alten Schildkröte "Owen" in Mombasa. Klar, auch das war eher platonisch.

Die Deutungen der Verhaltensforschung sind vielfältig. Von Fehlprägung ist ebenso die Rede wie vom möglichen Prestigegewinn bei der eigenen Art. Und wer weiß: Wenn es mit der offenbar immer verrückter werdenden und um sich schießenden Menschheit so weitergeht, dürfte es am Ende gar nicht schaden, in seinem Umkreis ein paar nette Affen zu haben, so wie einst Tarzan oder Mowgli. Auch eine frischmilchspendende Patchwork-Wölfin wie bei Romulus und Remus könnte irgendwann hilfreich sein. Wie dichtete Christian Morgenstern? "Kinder, Tiere, Pflanzen - da liegt die Welt noch im Ganzen."

Ebenso wie bei Menschen gilt aber auch bei Vierbeinern: Freunde sollte man sich gut aussuchen. Sonst könnte es einem ergehen wie den Gnu-Kindern, die in Kenia gerade von einem Horror-Hippo (Pflanzenfresser!) verspeist wurden. Wahrscheinlich wollten sich die kleinen Gnus einfach nur adoptieren lassen.

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