Terror in Toulouse:Polizei setzt auf Zermürbungstaktik

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Hunderte Polizisten belagern ein Haus in Toulouse, in dem sich der mutmaßliche Attentäter Mohammed Merah verschanzt hat. Der Nervenkrieg geht in den zweiten Tag - und die Polizei hat den Druck auf den schwerbewaffneten Mann deutlich erhöht. Gas und Strom wurden abgeschaltet, mehr als zehn Explosionen sollten den Verdächtigen einschüchtern. Die Sicherheitskräfte setzen darauf, dass er von selbst aufgibt.

Die französische Polizei will den mutmaßlichen Serienkiller Mohammed Merah in Toulouse mit einer Zermürbungstaktik zum Aufgeben zwingen. Seit mehr als 24 Stunden belagern Hunderte schwer bewaffnete Polizisten das Haus, in dem sich der vermutliche Attentäter verschanzt hält. Sie haben Gas und Strom gekappt und mehrere Explosionen in der Nähe des Wohnhauses ausgelöst, um ihn einzuschüchtern. Auch die Straßenbeleuchtung wurde abgeschaltet, damit der Verdächtige im Falle eines Zugriffsversuchs für Polizisten mit Nachtsichtgeräten besser zu sehen ist.

Insgesamt wurden in der Nacht zum Donnerstag laut französischen Medienberichten mehr als zehn Detonationen ausgelöst. Bei den Explosionen sollen Tür und Fenster der Wohnung aufgesprengt worden sein, wie der französische Fernsehsender BMF-TV berichtete. Zu dem 23-Jährigen bestehe derzeit kein Kontakt mehr, hieß es in der Nacht.

Die nach den ersten drei Detonationen am späten Mittwochabend verbreiteten Spekulationen, dass die Erstürmung des Hauses begonnen habe, wurden vom französischen Innenministerium dementiert. Es gehe lediglich darum, den Verdächtigen einzuschüchtern, hatte ein Sprecher erklärt. Er habe offenbar seine Meinung geändert und wolle sich nicht ergeben.

Offensichtlich setzen die Elitepolizisten darauf, dass der Mann irgendwann erschöpft aufgibt oder mit wenig Risiko überwältigt werden kann. "So einfach ist das nicht", erklärte auch Staatsanwalt Michel Valet. "Wir warten." Verteidigungsminister Gerard Longuet hatte am Mittwochabend dem TV-Sender TF1 gesagt, man wolle den mutmaßlichen Attentäter lebend ergreifen, um ihn vor Gericht stellen zu können. "Wir wollen seine Beweggründe erfahren und hoffentlich herausbekommen, wer seine Komplizen sind, falls es welche gibt."

Auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Innenminister Guéant forderten, den Mann lebend zu fassen, damit er sich vor Gericht verantworte. Sarkozy warnte vor Rachegedanken und einer Vermengung von Religion und brutalem Extremismus.

Der Verdächtige soll al-Qaida nahe stehen

Bei dem Verdächtigen Mohammed Merah, den die Polizei über Spuren im Internet ausfindig gemacht hatte, soll es sich um einen al-Qaida nahe stehenden Extremisten handeln. Nach Angaben von Minister Guéant habe der Verdächtige selbst erklärt, er stehe dem Terrornetzwerk nahe. Er sei in Afghanistan und Pakistan gewesen und habe den gewaltsamen Tod palästinensischer Kinder rächen wollen. Er habe auch ein Zeichen gegen die französische Militär-Präsenz in Afghanistan setzen wollen.

Im Telefonkontakt mit der Polizei habe er zugegeben, dass er schon für Mittwoch einen weiteren Anschlag gegen einen Soldaten geplant hatte. Zudem habe er zwei Polizisten töten wollen. Er bedauerte, nicht noch mehr Menschen getötet zu haben, wie der zuständige leitende Staatsanwalt François Molins in Toulouse sagte. Er habe sich gerühmt, Frankreich in die Knie gezwungen zu haben. Den Ermittlern zufolge fand die Polizei einen Motorroller, mit dem der Verdächtige wohl zu den Orten seiner Verbrechen fuhr, sowie eine Kamera, mit der er seine Taten möglicherweise filmte. Noch gesucht wurde ein Auto, in dem Waffen und Sprengstoff vermutet wurden.

Der Mann, den Nachbarn als höflich und hilfsbereit schilderten, war nach Angaben der Ermittler zweimal in Afghanistan, zuletzt Ende 2011. Entgegen der Darstellung afghanischer Behörden saß er jedoch nicht in einem afghanischen Gefängnis. Der Anwalt des Verdächtigen, Christian Etelin, erklärte, sein Mandant habe vom Dezember 2007 bis September 2009 wegen bewaffneten Raubes in einem französischen Gefängnis gesessen. Damit könne er in der fraglichen Zeit nicht in Afghanistan inhaftiert gewesen sein. Auch das Büro des Gouverneurs von Kandahar wies die Darstellung einer Haft Merahs dort zurück.

Angehörige des Verdächtigen festgenommen

Mittlerweile wurden mehrere Personen aus seinem Umfeld festgenommen, darunter waren die beiden Schwestern und Brüder sowie die Mutter des Mannes. Ein Bruder sympathisiere mit den extremistischen Salafisten, die Mutter habe seit längerem wegen ihrer Nähe zu radikalen Salafisten unter Beobachtung gestanden, sagte Innenminister Claude Guéant. Er betonte jedoch, dass der Verdächtige bei seinen Taten allein gehandelt habe. Die Geheimdienste hätten ihn schon seit längerem beobachtet.

Guéant bestätigte, dass die Ermittler ihm kurz nach dem Anschlag auf eine jüdische Schule am Montag über das Internet auf die Spur kamen. Das erste Opfer - einen Soldaten - kontaktierte er über eine Internet-Verkaufs-Plattform, wo dieser sein Motorrad verkaufen wollte. Per Mail wurde ein Treffpunkt vereinbart. Die von Polizisten identifizierte IP-Adresse konnte den Angaben einem Computer zugeordnet werden, der der Mutter des Verdächtigen gehört. "Das hat bei den Ermittlungen die Wende eingeleitet", erläuterte der Minister.

In Jerusalem wurden inzwischen die vier Opfer des Mordanschlags auf die jüdische Schule bestattet - ein Lehrer und Rabbiner mit seinen zwei kleinen Söhnen sowie eine weitere Schülerin. Hunderte Trauergäste versammelten sich auf dem Friedhof, darunter der französische Außenminister Alain Juppé. Die Leichen waren in der Nacht per Flugzeug nach Israel gebracht worden. An einer ebenso bewegenden Trauerfeier für die drei Soldaten im südfranzösischen Montauban nahm Sarkozy teil. Er sprach von "terroristischen Exekutionen".

Die Ereignisse im Überblick:

[] Zu Beginn des Einsatzes feuert der Mann mit automatischen Waffen auf Polizisten, die sich der Wohnung näherten, und verletzt zwei von ihnen. Ein Beamter erleidet einen Knieschuss, einen zweiten getroffenen Polizisten bewahrt seine schusssichere Weste vor schweren Verletzungen.

[] Im Austausch gegen ein Telefon übergibt er der Polizei später einen Colt - die mögliche Tatwaffe bei den Morden an insgesamt sieben Menschen in Südfrankreich in den vergangenen Tagen.

[] Elitepolizisten versuchen mehrere Male vergeblich, in die Wohnung in einem Mehrfamilienhaus einzudringen. Jedes Mal drängt der mutmaßliche Attentäter er sie mit Schüssen aus schweren Waffen zurück.

[] Im Tagesverlauf bringt die Polizei alle Hausbewohner in Sicherheit, nachdem sie zuvor auf eine Evakuierung zunächst verzichtet hatte. Das umstellte Gebäude befindet sich in einem ruhigen Wohnviertel der südfranzösischen Stadt.

[] Die Polizei versucht den Verdächtigen mit Explosionen einzuschüchtern. Gas und Strom in Haus und auch die Straßenbeleuchtung werden abgeschaltet.

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