Terror in Deutschland:Dschihad im Sauerland

Ein Albtraum deutscher Ermittler ist wahr geworden: Bei der Festnahme von drei verdächtigen Islamisten musste die Polizei erkennen: Nicht nur in Großbritannien, sondern auch in der Bundesrepublik gibt es inzwischen "homegrown terrorists".

Annette Ramelsberger

Es ist einer jener Tage, die Polizei und Geheimdienste an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen. Ein Verfassungsschützer folgt einem jungen Mann aus dem Saarland. Der Junge mit den langen, dunklen Haaren steigt in den Zug nach Stuttgart. Auch der Beamte steigt ein. Der Bahnsteig ist leer, die Türen gehen zu. Da springt der Mann aus dem anfahrenden Zug, läuft über die Gleise und steigt in einen anderen Zug.

Terrorverdächtiger, dpa

Einer der drei Terrorverdächtigen wird am 5. September zur Haftprüfung zum BGH nach Karlsruhe gebracht.

(Foto: Foto: dpa)

Der Mann vom Verfassungsschutz kann ihn nicht verfolgen, ohne entdeckt zu werden. Auch die Freunde des jungen Mannes verstehen sich darauf, Verfolger abzuschütteln. Wenn sie sich treffen, überprüfen sie, ob ihre Wohnungen observiert werden. Wenn sie im Auto sitzen und sichergehen wollen, nicht verfolgt zu werden, beschleunigen sie mitten in der Stadt auf Tempo 140 und brausen über die Ausfallstraßen. Einer sticht sogar auf die Reifen eines Fahrzeugs ein, von dem aus er observiert wird.

Perfekt ausgebildet in Pakistan

"Die kannten alle Schüttelmaßnahmen, die man nur kennen kann", sagt ein Ermittler. "Schütteln" - so nennen die Geheimdienstler die Methoden, lästigen Verfolgern zu entwischen: "Das war professionelles nachrichtendienstliches Wissen."

Die Männer hatten ja auch geübt: in einem Terrorausbildungslager in Pakistan. Dort waren sie gewesen, monatelang, im Jahr 2006. Und die Fahnder sind sicher: Sie waren in ihre Heimat zurückgekehrt, um dieses Wissen anzuwenden. Im Herbst 2006 hatten die Amerikaner E-Mails abgefangen, E-Mails von und nach Pakistan. Die Drahtzieher einer bisher unbekannten Gruppe namens "Islamic Dschihad Union" kontaktierten da ihre Gefolgsleute in Deutschland. Die Amerikaner alarmierten die deutschen Dienste.

Und die nahmen drei Männer ins Visier: Adem Y. einen jungen, in Deutschland aufgewachsenen Türken aus dem hessischen Langen. Fritz G., einen 29 Jahre alten Deutschen aus Ulm, der zum Islam konvertiert ist. Und Daniel S. aus dem Saarland, erst 22 Jahre alt, auch er ein Konvertit. Die drei verhalten sich hoch konspirativ.

Fritz G. ruft nicht einfach seine Freunde an. Er fährt in ein Internetcafé nach Ulm, um Kontakt aufzunehmen. Dann geht es weiter nach Stuttgart, in ein anderes Internetcafé. Doch was der Verdächtige dort tut, macht die Fahnder ratlos. Sie können nicht jeden Laden überwachen. Doch sie wissen: Es ist etwas im Gange. Doch was, wissen sie nicht. Als sie Fritz G. auf seinen Fahrten folgen, erkennen sie: Der Mann fährt nach Hannover, regelmäßig. Und er holt jeweils Kanister voller Chemikalien ab.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der Bombenbau, die Ziele und List der Fahnder

Dschihad im Sauerland

Der Bombenbau

Und was haben Sie erlebt?

Bevor Sie es vergessen: Schreiben Sie Ihren eigenen Jahresrückblick auf memoloop! mehr...


Wasserstoffperoxid, 35-prozentig, geeignet zum Bombenbau. Er hat eine Garage im Schwarzwald angemietet, um die Kanister dort zu deponieren. Es ist der 20. Juli 2007, ein Freitag. Fritz G. fährt nach Hannover, wieder einmal. Auf der Fahrt zurück steigt sein Freund Adem Y. zu. Gemeinsam fahren sie in den Schwarzwald, um ihre Fässer zu verstecken.

Es ist während dieser Fahrt, als die Fahnder hören, dass die beiden nun in die konkrete Phase eintreten. Fritz G. und Adem Y. haben die Absicht, Autobomben zu bauen, das ist klar. Und sie wollen Amerikaner treffen. Viele.

In Hanau ist Fritz G. schon rund um die Kasernen gefahren, vor Monaten, am Silvesterabend 2006. Damals ist er auch den Amerikanern aufgefallen. Die Kasernen erscheinen den beiden Freunden zu stark gesichert. Lieber wollen sie ihre Bomben anderswo zünden: vor Pubs, in der Nähe der US-Luftwaffenbasis Ramstein, vor einem Supermarkt.

Der wahr gewordene Alptraum

In einem Supermarkt seien zu viele Frauen mit Kindern, wendet Fritz G. ein. Bei anderen Orten, anderen Frauen haben sie weniger Bedenken. Eine Disco finden sie als Ziel geeignet, eine "Disco mit amerikanischen Schlampen".

Im September 2007 bewahrheitet sich, was deutsche Sicherheitsbehörden schon seit einigen Jahren befürchten: dass es nicht nur "homegrown terrorists" in Großbritannien und den Niederlanden gibt, sondern auch in Deutschland: Junge Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind und dennoch den Heiligen Krieg als Sinn ihres Lebens begreifen.

Ende Juli ist der Plan weit gediehen. Die BKA-Fahnder greifen zu einer kühnen List, öffnen unbemerkt die Garage im Schwarzwald, tauschen die Kanister gegen gleiche Behälter mit nur dreiprozentigem Wasserstoffperoxid aus. Daraus lässt sich auch beim besten Willen keine Bombe mehr bauen. Fritz und seine Freunde schöpfen keinen Verdacht. Am 17. August mieten sie im kleinen Dorf Oberschlehdorn im Sauerland eine Ferienwohnung an, weit weg von jeder Großstadt.

Auf der nächsten Seite: Der Plan, die Falle, die Festnahme

Dschihad im Sauerland

Zum Abschied einen Koran

Es ist eine Wohnung mit Scheibengardinen und Rüschenvorhängen, mit einer Edeltanne im Vorgarten. Niemand denkt an Terroristen, wenn er in dieser 900-Einwohner-Gemeinde durch den Wald joggt. Dort wollen sie das Wasserstoffperoxid so stark einkochen und mit anderen Chemikalien versetzen, dass es explosiv wird. In ihren Mails nennen sie das "eine Torte backen".

Daniel S., der jüngste im Bunde, verabschiedet sich am 1. September von seiner Mutter. Er schenkt ihr einen Koran, mit einer Widmung, er solle ihr Trost in schweren Stunden sein. Am Sonntag, dem 2. September, holen die Verschwörer das Wasserstoffperoxid aus der Garage im Schwarzwald, dann fahren sie ins Sauerland, in ihre Ferienwohnung.

Am 4. September liegen 300 Polizisten in den Wäldern rund um Oberschlehdorf versteckt. Sie haben einen Ring um das Ferienhaus am Eichenweg gezogen. Es kann keiner unbemerkt heraus.

Am Nachmittag wollen die drei noch einmal zum Baumarkt, um letzte Zutaten zu besorgen. Die Polizei hört mit - auch die Wohnung ist verwanzt. Als die drei die Tür aufmachen, greift die Antiterrortruppe GSG 9 zu. Vermummte Polizisten stürmen das Haus. In der Küche liegt alles bereit, das Mehl, die Töpfe. Auch militärische Sprengzünder haben sie bereits besorgt, wie, das ist den Fahndern entgangen. Später erfahren sie: Ein 15-Jähriger hat sie von Istanbul im Bus nach Deutschland gebracht, eingebaut in Stiefelabsätzen. Auch Platinen für die Bomben liegen da.

Fritz G. und Adem Y. lassen sich widerstandslos festnehmen. Der Jüngste, Daniel S., flüchtet. Er springt durch ein Badezimmerfenster, hechtet durch den Garten, will in den Wald. Dort rennt er auf einen Polizisten zu, der hier versteckt liegt. Daniel S. entreißt ihm die Dienstpistole, die beiden kämpfen, ein Schuss fällt, der Beamte wird an der Hand verletzt, Daniel hat eine Platzwunde an der Stirn. Mehrere Polizisten ringen ihn nieder.

Am Tag darauf sagt in Karlsruhe Generalbundesanwältin Monika Harms: "Wir haben eine der schwerwiegendsten terroristischen Anschlagsplanungen vereitelt, die bisher in der Bundesrepublik angestrengt worden sind." Wie hatte Daniel S. bei seiner Festnahme gesagt? "Allah hat noch viel mit mir vor."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: