Termin-Pannen am Champions-League-Abend:"Wir machen einfach das Licht aus"

Mudhoney

Rocken wegen Champions League schon um 18 Uhr: Mudhoney.

(Foto: oh)

Die Rocker der US-Band Mudhoney müssen in Leipzig schon um sechs Uhr auf die Bühne, eine Braut wehrt sich gegen die Leinwand bei der Hochzeitsfeier und ein Kollege zittert am Gepäckband: Eine Sammlung tragischer Planungspannen am Abend des Champions-League-Finales.

Protokolle: Lena Jakat

Die Grunge-Band aus Seattle

Unser Konzert in Leipzig wurde auf sechs Uhr vorverlegt. Im Anschluss wird das Spiel in der Halle übertragen, das soll so eine Fußball-Rock-'n'-Roll-Party werden. Ich persönlich interessiere mich überhaupt nicht für Fußball. Mir ist Skateboarden lieber, oder Surfen. Aber unser Bassist Guy Maddison, der ist ein richtiger Fan von europäischem Fußball. Wie schon sein Vorgänger. Irgendwas scheinen die Bassisten da an sich zu haben.

Um sechs mag es zwar noch heller Tag sein, aber wir machen das Licht aus, dann merkt das keiner. Und auch für Grunge ist es nie zu früh. Kürzlich sind wir in Los Angeles um kurz nach sieben Uhr abends aufgetreten. Es waren viele alte Freunde von uns da, die ihre Kinder mitgebracht haben. Die Kids sind mit Ohrenschützern rumgesaust und die Eltern konnten das Konzert sehen - und am nächsten Tag problemlos in die Arbeit gehen.

2006 hatten wir einen Gig in Paris, während dort Arsenal gegen Barcelona spielte. Da waren lauter grobschlächtige, englische Fans auf den Straßen - und nicht besonders viele Leute bei unserem Konzert. Es macht mir zwar ein wenig Hoffnung, dass wir in Leipzig spielen - und nicht in München oder Dortmund. Vielleicht geht den Leuten dort das Spiel ohnehin am Arsch vorbei.

Aber es macht einfach keinen Sinn, mit so einem wichtigen Spiel konkurrieren zu wollen. Dann würden am Ende alle nur auf ihre Smartphones starren. Während des Konzerts in Amsterdam neulich hat jemand eine SMS geschrieben. Ich habe gesagt: "Wir spielen erst weiter, wenn du deine SMS fertiggeschrieben hast!" Das war ihm schon peinlich. Manche Leute posten auch noch während eines Konzertes Fotos von dem Konzert. Das verstehe ich nicht. Aber ich verstehe vieles nicht, was Menschen machen.

So wie ich das verstanden habe, ist Bayern München so ein Dauer-Erfolgsklub wie Manchester United, richtig? Wenn Dortmund dann eher der Underdog ist, dann bin ich für Dortmund.

Mark Arm, 51, seit 1988 Sänger der Band Mudhoney, die als Begründer des Grunge gilt.

Die Braut

Wir waren so froh, als wir einen Termin für unsere Hochzeit gefunden hatten. Als mein Freund im September dann feststellte, dass es der Tag des Champions-League-Finals ist, dachte ich: Irgendwas ist immer. Aber als klar wurde, dass Bayern gegen Dortmund spielt - "eine Sensation!" "Eine nie dagewesene Begegnung!" "Ausnahmezustand!" - da war ich zwischenzeitlich ziemlich genervt. Ein paar Gäste haben über den Trauzeugen angefragt, ob das Spiel auf der Feier gezeigt wird. Mein Schwiegervater wollte sogar Beamer und Leinwand sponsern. Wenn die Leute auf ihre Smartphones schauen wollen und sich damit wohlfühlen, kann ich ihnen das nicht verbieten. Aber es wird keine Leinwand geben - schließlich ist jedes Jahr irgendein Fußballspiel. Meine Hochzeit ist nur einmal. Und deswegen soll es an dem Abend auch um mich gehen.

Eva Gock, 31, Diplom-Pädagogin

Der Reisende

Woher ich denn komme, fragt der Taxifahrer in Tel Aviv. Kaum habe ich geantwortet - "Germany" - schießt er schon die nächste Frage hinterher: "Bayern or Dortmund?" Seine Zähne blitzen, der Blick fast herausfordernd. Das Spiel, es ist auch in Israel ein Thema. Er werde es sich natürlich auch anschauen, sagt der Taxifahrer. Auch? Auch??? Ich habe einen Fehler gemacht. Habe beim Buchen der Reise den Termin für das Spiel der Spiele nicht berücksichtigt. Und so landet mein Flieger aus Tel Aviv via Wien laut Plan um 20:50 Uhr in München. Das Spiel läuft da bereits seit fünf Minuten.

Was in fünf Minuten schon alles passiert sein kann! Und mit fünf ist es ja nicht getan: Die Minuten, bis nach der Landung die Türen des Flugzeugs aufgehen, sind immer lang. Am Samstag ganz besonders. Auch die Zeit, bis der Koffer auf dem Gepäckband landet, zieht sich nach jeder Reise. Diesmal wird sie mir vorkommen wie eine Ewigkeit. Ich werde wohl zur zweiten Halbzeit im Airbräu-Biergarten am Flughafen sein. Das immerhin versöhnt mich ein klein wenig mit meiner Fehlplanung. Mit Menschen aus aller Herren Länder den Bayern-Sieg zu bejubeln, das ist sicherlich ein Erlebnis. Wenn auch ein um 45 Minuten zu kurzes.

Sebastian Gierke, 35, Regional-Redaktion von Süddeutsche.de

Leidgeprüfte Hobby-DJs und hoffnungsvolle Nachwuchsmusiker

Die Enkelin

Es ist der 50. Hochzeitstag meiner Großeltern. Sie feiern groß mit der ganzen Familie, 70 Leute sind ins Dorfgemeinschaftshaus ins Siegerland eingeladen. Und bei einer Goldenen Hochzeit sagt man als Gast nicht einfach ab. Wenn in London das Spiel läuft, läuft bei uns das Abendprogramm: Reden, Sketche, Fotopräsentationen. Ich singe zusammen mit anderen ein paar Lieder vor. Meine Großeltern haben inzwischen auch mitbekommen, dass das Spiel ist. Und, dass es ihren Enkeln zum Teil recht arg ist. Einer meiner Cousins hat sogar eine Dauerkarte für den BVB. Uns wird aber nichts übrig bleiben, als auf die Handys zu schauen und nebenbei den Dortmundern die Daumen zu drücken - hoffentlich gibt es da wenigstens Netz! Für meinen Mann ist die ganze Sache noch verzwickter. Er würde das Spiel schrecklich gern sehen - er ist noch neu in der Familie und kann sich viel weniger als wir Enkelkinder beschweren.

Lisa Hochhaus, 28, Juristin

Der DJ

Ich lege bei der Hochzeit von Freunden als DJ auf - die größten Indie-Hits der letzten 20, 30 Jahre. Sonst säße ich wohl in einer Kneipe in München und würde die Bayern anfeuern. Nach dem Halbfinale hab' ich in den Kalender geschaut und erkannt: daraus wird nichts. Das ist zwar unglücklich, aber Freundschaft geht eindeutig über Fußball. So ein Hardcore-Fan bin ich außerdem auch nicht - Freunde würden mich vielleicht sogar einen Erfolgsfan schimpfen. Und das Fest ist in der Nähe von Stuttgart, so dass auch gar nicht so viele verhinderte Bayern- oder Fußballfans da sein werden. Ich werde jedenfalls keine Fußballsongs auflegen, das Spiel soll schließlich nicht zum bestimmenden Thema des Abends werden. Ich schau einfach ab und zu diskret auf Twitter oder einen Live-Ticker. Das hat auch vergangenes Jahr beim Finale schon funktioniert - das hab ich auf einem 50. Geburtstag verbracht.

Heiko Bielinski, 38, Online-Producer

Die hoffnungsvolle Nachwuchsband

Unsere Band We are Rinah könnte heute Abend einen Auftritt beim Southside-Festival gewinnen, wir spielen im Finale eines Bandwettbewerbs in Biberach. Verglichen mit dieser Chance hat das Finale für uns keine große Bedeutung. Das Problem sind die Leute, die zu dem Konzert kommen und für uns abstimmen sollen. Zu 50 Prozent entscheidet nämlich das Publikum über den Gewinner. Da war schon ein größerer Aufwand nötig, Unterstützer zu rekrutieren. Es hat nicht einfach gereicht, die Veranstaltung bei Facebook einzustellen. Aber wir haben einen Reisebus vollbekommen. Manche unserer Fans haben sich fest vorgenommen, sich bis nach unserem Auftritt von allen Handys und Radios fernzuhalten, um erst dann mitzukriegen, wie das Spiel ausgegangen ist. Dem Busfahrer haben wir schon verboten, das Radio einzuschalten und stattdessen ein paar CDs gebrannt. Und während des Konzerts hoffe ich, dass wir die Zuhörer so mit unserer Musik erreichen, dass keiner ständig schauen muss, ob Arjen Robben gerade ein Tor geschossen hat.

Christopher Berlin, 25, Student und Sänger von We are Rinah

Die Jubilarin

Ich werde heute 68. Zwar kein runder Geburtstag, aber nachdem ich auch zu den 68ern gehöre, dachte ich: ein idealer Anlass, zu feiern. Im doppelten Sinne. Und dann fällt mein Geburtstag auch noch auf einen Samstag, wie praktisch! Ich wollte etwa 20 Leute einladen, eine kleine Feier im Garten veranstalten. Doch dann sagte mir mein Sohn, das geht nicht - es ist doch Fußball! Da hab' ich das erst realisiert. Ich wollte niemanden unter Druck setzen, es nicht so weit kommen lassen, dass jemand murrt. Also habe ich meinen Gästen zur Wahl gestellt, ob sie Samstag kommen oder Sonntag mit mir nachfeiern wollen. Die meisten wollten dann doch das Spiel sehen. So kommen die Kinder am nachmittag vorbei, am Abend allerdings wird meine Wohnung ausgestorben sein. Klar könnte ich ein bisschen beleidigt sein, aber das ist Quatsch. Ich versteh' das doch.

Irene Hofer, 68, Fotografin

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