Hamburg:Abgebrannter Pudel-Club: "Unsere Ruine kriegt ihr nicht"

Schorsch Kamerun vor dem Golden Pudel Club

"Es geht um viel, viel mehr": Schorsch Kamerun 2010 vor dem noch intakten Golden Pudel Club.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Flammen und Löschwasser haben dem Golden Pudel Club - dem Zentrum der Alternativszene in Hamburg - schwer zugesetzt. Die Unterstützer kämpfen für den Erhalt des Klubs. Ein Treffen mit Schorsch Kamerun, einem Künstler in "Beunruhigung".

Von Peter Burghardt, Hamburg

Hamburg muss lustig gewesen sein, als einst der Pudel geboren wurde. Schorsch Kamerun zog Anfang der Achtzigerjahre vom spießigen Timmendorfer Strand in die Hansestadt, weg von Vorgartenrasenmähern und einem Altnazi als Deutschlehrer. "Wir kamen aus der Enge und suchten das Fremde", erzählt der Künstler, der 1963 als Thomas Sehl geboren worden war. Beim ersten Pudel Club im Schanzenviertel wurde damaligen Punks wie ihm und Rocko Schamoni ein Schlüssel in die Hand gedrückt, kostete keinen Pfennig. Der Golden Pudel Club entstand dann in den Neunzigerjahren am Fischmarkt, in einem denkmalgeschützten Holzhaus, das mal ein Schmugglergefängnis gewesen war und mit seinem Spitzgiebel als letztes Bauwerk dieser Art gilt. Und jetzt: Der Pudel - tot? Abgefackelt?

Traurig sieht er derzeit aus, das schon. Der Pudel ist oben verkohlt und unten nass, Flammen und Löschwasser haben ihm in der Nacht zum vergangenen Sonntag schwer zugesetzt. Der verletzte Pudel wurde außerdem eingezäunt - er ist bis auf Weiteres gefangen in einem Zwinger, hinter dem Ermittler, Statiker und Versicherungsleute zugange sind. Obwohl die Kultstätte auch deshalb so berühmt ist, weil der Pudel seinen kommerzlosen Freiraum mit Zähnen verteidigt. "Bau- und Brandsanierung", steht auf Schildern. "Betreten verboten!" Aber der Pudel will leben, und viele Menschen in St. Pauli und darüberhinaus wollen auch, dass er lebt.

Brand im ´Golden Pudel Club"

So sieht der "Golden Pudel Club" seit dem vergangenen Wochenende aus. Flammen und Löschwasser haben ihm extrem zugesetzt.

(Foto: dpa)

"Es geht um viel, viel mehr", sagt an einen kalten Februarnachmittag Schorsch Kamerun. Der Regisseur und Sänger der Band Die Goldenen Zitronen gehört zu denen, die um den Golden Pudel Club kämpfen wie um ein geliebtes, wildes, verwundetes, vom Aussterben bedrohtes Tier. "Es geht um einen großen Vorschlag. Das eine ist der Ort. Das andere ist die Haltung. Wir machen weiter, so oder so. Die Welt ist eine Pudel und wird eine bleiben." Eine Pudel. So sagen es Schorsch Kamerun und der "Verein für Gegenkultur", die ihren großen Vorschlag und ihre Haltung retten wollen.

Als das Feuer ausbricht, sind etwa hundert Leute im Club

Schorsch Kamerun sitzt in der Kantine des Hamburger Schauspielhauses gegenüber dem Hauptbahnhof. Er inszeniert ein Stück namens "Die disparate Stadt", das sich "den Ausschlägen gegenkultureller Widerspenstigkeit in Hamburg" widmet. Bald ist Premiere. Das Thema passt zum Kampf um den Club, aber die neue Dramaturgie konnte der Regisseur nicht ahnen. Er war in Frankfurt, als ihn morgens um fünf die Nachricht erreichte: Der Pudel brennt. Seitdem sei er "in Beunruhigung. Es fühlt sich schon auch nach Gewalt an, was da passiert ist."

Das legendäre Musiklokal an der Elbe war gegen drei Uhr morgens sogar mit einer Hundertschaft treuer Gäste gefüllt. Die verließen die Bude rasch, als der Brand ausbrach. Es gab keine Verletzten, ein Glück. Doch allein die Möglichkeit, dass es schlimmer hätte kommen können, verwandelt den Streit um ein Zentrum der deutschen Subkultur auch in einen Kriminalfall.

Der Täter, so man ihn findet, könnte angesichts der Schäden und der Gefährdung des Publikums ins Gefängnis wandern. Die Polizei sucht bisher vergeblich nach Spuren. Gelegt worden war das Feuer offenbar in einem Schuppen neben dem Golden Pudel Club. Dort schlief zuweilen ein Immigrant aus Ghana, der im Zuge der Ermittlungen auch gleich verhaftet wurde. Er steht allerdings nicht unter Verdacht, gezündelt zu haben. Nur entdeckten die Behörden, dass er keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt; bereits am Montag sollte er daraufhin abgeschoben werden, was mehrere Unterstützer auf dem Hamburger Flughafen verhinderten. Anschließend wurde der Mann auf dem Weg zur Ausweisung nach Brandenburg verlegt.

Im April soll der Golden Pudel Club zwangsversteigert werden

Im Netz machen derweil Theorien die Runde, wer denn Brandstifter und was das Motiv gewesen sein könnte. Ein möglicher Investor, der den Preis senken wollte? Versicherungsbetrug? Schorsch Kamerun sagt, er wolle nicht spekulieren, mache doch keinen Sinn: "Aber ich finde es natürlich irritierend, dass es jetzt passiert ist."

Am 20. April soll der Golden Pudel Club zwangsversteigert werden. Die Besitzer Wolf Richter und Rocko Schamoni sind zerstritten, ein Zwist um Geld und Konzept hat das Gesamtkunstwerk entzweit. Im Obergeschoss führte Richter eine zuletzt geschlossene Wirtschaft namens Oberstübchen, mit Karten und Festpreisen - in dieser Hälfte mit dem Dachstuhl hat das Feuer besonders gewütet. Im weniger ramponierten Erdgeschoss befand sich der Club. "Kulturschutzgebiet" steht an der Fassade und "unverkäuflich".

Mindestens 510 000 Euro soll die Immobilie kosten, sofern sich das durch die Verwüstung nicht ändert. Richter spricht vorläufig nicht mit Medien. Der Mitbesitzer, Musiker, Schriftsteller und Entertainer Schamoni lässt ausrichten: "Die polizeilichen Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, und wir müssen uns intern gerade sortieren." Jedenfalls: "Wir sind nicht zu kaufen, wir wehren uns gegen jedes Spekulantentum", sagt Schorsch Kamerun. "Wir akzeptieren nur eine Stiftungslösung. Wir kennen einen Stifter."

Das mit der Stiftungsidee wurde erst kürzlich bekannt. "Einen Tag später fängt es an zu brennen", sagt Schorsch Kamerun. "Aber das ist längst kein Beweis für irgendwas." Doch das, was seither folgt, ist ein Beweis dafür, wie viele Freunde der Pudel hat. "Liebe, Stärke, Wiederaufbau!", fordert etwa Oke Göttlich, Präsident des Fußballklubs FC St. Pauli. Und: "Kein St. Pauli ohne Pudel." Für Freitagabend ist eine Demo zugunsten des Projekts angesetzt, Motto: "Unsere Ruine kriegt ihr nicht!".

"Elbphilharmonie der Herzen"

Auch die Stadtverwaltung hat Unterstützung signalisiert. Der Ort solle als Treffpunkt für Musik und Off-Szene erhalten bleiben. Mit dem Kollektiv "Park Fiction" haben es die Pudel-Freunde bereits verhindert, dass das Areal oberhalb der Hafentreppe neben dem Club zugebaut wurde. Da schaut man nun stattdessen unter Metallpalmen sehr schön auf die Elbe mit ihren Kränen und Containerschiffen.

"Elbphilharmonie der Herzen" nennt sich der Golden Pudel Club, dieser Gegenentwurf zur verglasten Elbphilharmonie, die in zehn Jahren Bauzeit 800 Millionen Euro verschlungen hat. Das stickige Refugium war das Wohnzimmer von Bands wie Tocotronic, Blumfeld oder Schorsch Kameruns Die Goldenen Zitronen. "Die Kotze hat meine Jacke verklebt", heißt ein beliebtes Programm, und draußen klebt ein Aufkleber mit der Erkenntnis "Oh, schon hell!"

Der Pudel wehrt sich gegen die Gentrifizierung, die auch den Kiez heimsucht, zum Beispiel mit dem teuren Restaurant in den Hochhäusern "Tanzende Türme". Harley-Days, Astra-Tage, Schlager-Move? Durchgestylte Events verdrängen das andere, alte Hamburg. "Diese Idee vom Unentdeckten verschwindet", sagt Schorsch Kamerun. "Der Pudel ist Teil einer kollektiven Identität, unseres gemeinsamen Bewusstseins. Deswegen haben wir auch so einen immensen Zuspruch." Die Pudel-Website dankt "mit vom Rauch heiseren Kläffen", und Schorsch Kamerun schwärmt von den gelben Tulpen vor dem Club. Er findet es "berührend, dass die Leute Blumen niederlegen. Wie für einen guten Freund".

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