SZ-Streiflicht:Allein gegen die Bagger

Der Mensch hat eigentlich nur zwei Ziele Er will etwas gewinnen, etwa eine Frau oder genug Geld für ein Haus. Und wenn er das erreicht hat, muss er es verteidigen. In China kämpft ein Kung-Fu-Meister um sein Lebenswerk.

Im Grunde hat der Mensch immer nur zwei Ziele, sein Leben lang. Zum einen will er was gewinnen, eine Frau zum Beispiel oder eine Fußball-Meisterschaft oder genug Geld, um ein Haus bauen zu können, oder die Freiheit, jetzt, in der ersten warmen Woche des Jahres, sich auf die Wiese zu legen und dem Gras beim Wachsen zuzuschauen. Und das zweite Ziel? Na, er will das einmal Errungene oder ihm Zugeflogene nie wieder verlieren, will es auf Teufel komm raus verteidigen, das ist doch sonnenklar.

In dieser Phase befindet sich gerade ein Mann aus Chongqing in Südwestchina. Sein Name ist hier bei uns nicht bekannt, so weit liegt das weg, Südwestchina. Aber egal, jener Mann hat alles: eine Frau, die, das muss so sein, atemberaubend schön ist, denn es handelt sich bei ihm um einen großen Kung-Fu-Meister, und große Kung-Fu-Meister kriegen in China, seit sie nicht mehr im Kloster leben müssen, die schönsten Frauen.Und genügend Renminbi für ein anständiges Haus.

Das unseres Helden ist zweistöckig. Drumherum war mal eine kleine Wiese, aber jetzt ist sie weg. Damit ging es los: Dass der Meister zwar nicht die Freiheit verlor, seine Zeit aufs Herrlichste zu vergammeln, wohl aber das Land, auf dem er dies tun konnte. Und gleich war die Freiheit viel weniger wert. Statt des Rasens ist da nun eine Baugrube mit Baggern drin. Sie ist zehn Meter tief. Anders gesagt, das Haus thront auf einem Haufen Erde. Auf Bildern sieht es aus wie die Kapelle von Athos, nur dass dahinter kein Bergrücken abfällt, sondern Plattenbauten à la Marzahn aufragen.

Auch anstelle des Zweistöckers soll so ein Kasten hochgezogen werden, Gerichte haben es erlaubt. Alle Nachbarn, ganze 281 Familien, sind schon fort. Er aber weigert sich noch immer, seinen Flecken zu verlassen. Sowas geschieht da und dort auf der Welt, zuletzt in Horno, Ostdeutschland, wo die Menschen Anwälte engagierten, um ihre Häuser nicht an die Kohle zu verlieren; so wie eben jeder auf die Art kämpft, die ihm am erfolgversprechendsten erscheint.

Dem Kung-Fu-Mann fällt die Wahl seiner Waffen logischerweise nicht schwer. Hände, Füße, Kopf. Er stellt einen Fuß vor und stützt sich mit dem anderen ab, die ,,Pfeil-und-Bogen-Position''. Einst hatte sein Lehrer Weihrauchstäbchen angezündet, und er musste in dieser Stellung verharren, 25, 30 Minuten, bis alle verbrannt waren. So steht er nun, nach langem Üben, und wartet. Auch die Bagger stehen und warten.

Tradition kontra Moderne, was für ein Sinnbild. Irgendwann, bald, werden die Schaufeln beginnen, ihn anzugreifen. Er denkt jetzt noch nicht darüber nach, wie er ihnen begegnen wird. Muss er auch nicht. Im entscheidenden Moment wird sein Körper blitzschnell die richtige Bewegung vollführen; und wenn nicht alles täuscht, wird die Geschichte des Kung-Fu danach um einen Mythos reicher sein.

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