Syrien:Verblassende Sterne

Die Regierung wollte ihn eigentlich nicht, aber in den Tests übertrumpfte er alle. So flog Muhammed Faris vor fast 30 Jahren ins All, als bislang einziger Syrer. Die Geschichte eines Traumes - und der harten Landung danach.

Von Mike Szymanski

Im Teehaus im Istanbuler Stadtteil Fatih läuft der Fernseher, man sieht Aufnahmen, wie in Madrid Fußballfans eine Bettlerin für eine paar Cent Liegestütze machen lassen. Andere werfen Münzen in eine Gruppe, so als ob sie Tauben füttern würden. Unter den Bildern liefert der Sender die Interpretationshilfe gleich mit: "Europa: Wo die Menschlichkeit endet." Ist dies das Schicksal, das Flüchtlinge in Europa erwartet? Will Muhammed Faris deshalb hier nicht weg?

Das Telefon klingelt: Faris hat nun Zeit. In einem abgelebten Istanbuler Geschäftshaus auf der anderen Straßenseite betreibt sein Sohn Houzayfa im fünften Stock eine Sprachschule, Faris trifft sich lieber hier als zu Hause, weil seine Familienwohnung ein paar Straßen weiter nur zwei Zimmer hat. Er setzt sich an den Schreibtisch seines Sohnes, als ob er der Direktor der Schule wäre. Zum dunkelblauen Anzug trägt er eine unaufdringliche Krawatte.

Muhammed Faris kommt aus Syrien. 2012 hat er sein Land verlassen und ist in die Türkei geflüchtet. Die letzten Meter ging er zu Fuß über die Grenze bei Kilis, wo heute immer noch Tausende seiner Landsleute auf Einlass warten. Faris will überhaupt nicht nach Europa, eigentlich will er nur zurück in sein Land. Aber das geht nicht, wegen des Krieges. Es bleibt ihm also nur noch ein Sehnsuchtsort, wo die Erinnerungen ihn gerne hintragen. Man braucht ihn nur zu fragen: Wie ist es dort? Schon bricht er in Gedanken auf, ohne ein Wort des Abschieds zu verlieren.

Seine Hände krallen sich an die Tischplatte. Er drückt seinen Oberkörper fest gegen die Lehne seines Schreibtischstuhls, bis sie langsam nach hinten nachgibt. Den Kopf legt er in den Nacken. Seine wachen, dunklen Augen schließt er. Der Stuhl bewegt sich ein Stück weit nach hinten. Als er die Augen wieder öffnet, sieht er sehr glücklich aus. Muhammed Faris war kurz im All, und jetzt ist er wieder zurück.

Der 64-Jährige weiß, wie es dort aussieht. Er ist der erste und wohl auch noch für sehr lange Zeit der einzige Syrer, der den Weltraum gesehen hat.

Soyuz tm-3, syrian cosmonaut mohammed faris undergoing tests aboard the mir space station, 1987.

1987: Muhammed Faris aus Aleppo, ausgebildet von den Russen, auf der Raumstation Mir im Weltall.

(Foto: Universal Images Group/Getty Ima)

Es war das Jahr 1987. Sieben Tage, 23 Stunden und acht Minuten war er in einer Sojus-Raumfähre unterwegs. Muhammed Faris funkte zur Erde: "Verehrter Präsident. Ich kann die schönen Küsten sehen, die großartigen Berge, unser Land. Es ist unglaublich schön."

An der Wand in der Schule seines Sohnes hängt ein Gemälde, das Faris als jungen Mann im Raumanzug zeigt. Das Haar war voller als heute, der Schnurrbart kräftiger und noch satt schwarz. Er hat immer noch den Körper eines Mannes, der sich einmal sehr fit halten musste. Der Blick: damals so erfüllt wie eben nach dem Weltraumstart vom Schreibtisch aus.

2016, im sechsten Jahr des Bürgerkriegs, liegt Syrien in Trümmern. Mehr als 250 000 Menschen sind in diesem Konflikt gestorben, zwei Millionen verletzt worden, und die Hälfte der Bevölkerung ist auf der Flucht. Wer erinnert sich heute noch daran, dass dieses Land einmal Träume hatte? Und seine eigenen Helden? Nach Faris sind in Syrien immerhin Straßen benannt und ein Flughafen. Er ist auf Sonderbriefmarken zu sehen: der Astronaut aus Aleppo, der die Farben Syriens auf dem Oberarm seines Weltraumanzuges trägt. Kinder wollten werden wie er. Eine ganze Generation richtete sich an seinem Abenteuer auf. Ein Syrer im All - musste dann nicht alles möglich sein?

Die Regierung wollte ihn nicht. Aber in den Tests konnte keiner mit Faris mithalten

Die Russen hatten Faris als Teilnehmer einer Gastmannschaft zum Kosmonauten ausgebildet und ihn mit auf die Raumstation Mir genommen. Der Assad-Gewaltherrscherclan pflegte gute Kontakte zu den Russen, lange bevor Wladimir Putin mit seiner Luftwaffe Diktator Baschar al-Assad zurück ins Endspiel um Syrien bombte. Schon Assads Vater, Hafez al-Assad, setzte auf die Hilfe der Russen. 1971 öffnete sein Land den Mittelmeerhafen Tartus für die Flotte der Sowjetunion. Freundschafts- und Kooperationsverträge wurden unterzeichnet. So kam es, dass die Syrer 1985 im Zuge des Interkosmos-Weltraumprogramms einen ihrer Landsleute auf diese Reise schicken durften.

Faris war Kampfpilot der syrischen Luftwaffe und einer von 155 Bewerbern für diese Mission. Vier schafften es in die engere Auswahl für die zweijährige Ausbildung in der Sternenstadt, dem Trainingszentrum für Kosmonauten nahe Moskau. Zwei von ihnen waren Alawiten, Anhänger der religiösen Minderheit, deren prominentester Vertreter Assad selbst war. Faris ist Sunnit, so wie die meisten Syrer. "Assads engster Zirkel wollte nicht, dass ich fliege", erzählt Faris. Aber in den Tests konnte keiner mit Faris mithalten. Die Russen wollten ihn.

Muhammad Faris

2016: Faris, inzwischen 64 Jahre alt, neben einem Gemälde in Istanbul.

(Foto: Lefteris Pitarakis/AP)

Für Faris war die Reise in den Weltraum die erste Flucht, nur hat er das erst sehr viel später begriffen, als er wieder die Erde unter den Füßen hatte. "Wenn man vom Weltraum auf die Erde schaut, dann sieht man keine Grenzen, keine Religionen. Kein Ihr und kein Ich. Alle Unterschiede heben sich auf", sagt Faris.

Als Faris nach einer Woche wieder auf der Erde landete, wollte er sein Wissen weitergeben. Ginge es nach ihm, dann hätte der Staat ein Forschungsinstitut aufgebaut und syrische Wissenschaftler den Weltraum ergründen lassen. Dann wäre vielleicht nicht nur für ihn ein Traum in Erfüllung gegangen, sondern auch für andere Syrer. Aber der Assad-Clan wollte nicht. Nach seiner Landung bekam Faris zwar Auszeichnungen, nicht nur von den Russen. Auch sein Land ernannte ihn zum Helden - nur bewegen sollte er als solcher nichts mehr. Für ihn ging es zurück zur Luftwaffe, Piloten unterrichten. Er fühlte sich aus dem Verkehr gezogen, nachdem die Regierung mit der Mission glänzen konnte. "Diktatoren dulden niemanden neben sich, der mehr verehrt wird", sagt Faris,"kein Stern soll heller strahlen."

Bald strahlte gar nichts mehr. Der Bürgerkrieg begann. Faris musste miterleben, wie die jungen Leute, die er ausgebildet hatte, Assad dabei assistierten, brutal gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen. Faris schloss sich der Opposition an - und wurde zum Staatsfeind. Seine Flucht in die Türkei mit seiner sechsköpfigen Familie war eine fast schon gefährlichere Mission als der Flug ins All. Ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Geheimpolizei. Vier Anläufe hatte er unternommen. Beim fünften Mal gelang die Flucht. In Istanbul führt er nun sein neues Leben, eben als Flüchtling. Er hätte auch zu den Russen gehen können, sagt Faris. Angebote gab es. "Ich hatte nur eine Bedingung: Sie müssten ihre Unterstützung für Assad einstellen." Also blieb er in der Türkei.

Hier ist keine Straße nach ihm benannt, kein Flughafen. Ab und zu bekommt er Einladungen, Vorträge zu halten. Vor drei Jahren sprach er bei den Tagen der Raumfahrt in Neubrandenburg. Er erzählte seinen Zuhörern, dass Syrien in Flammen steht. Und dass die syrische Tragödie doch alle etwas angehe: "Die Welt ist eine große Raumstation. Er gibt keinen Platz, wo wir sonst leben können." Wenn er die Chance bekäme, würde er gerne wieder ins All fliegen. Noch lieber will er aber nach Hause.

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