"Super-Nanny":Das Monsterspiel

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Vielen Experten ist die schwarze Gehorsamspädagogik des RTL-Quotenbringers ein Gräuel. Die Zuschauer interessieren an der Serie aber vor allem die heimlichen Stars: Vitale Kinder.

Von Ada Brandes

Am Mittwoch wird bereits die 18. Folge der Super Nanny zu sehen sein, der Erziehungs-Doku-Soap, mit der RTL bisher enorm hohe Quoten zwischen 18 und über 25 Prozent bei der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen erreicht.

Die Handlung ist immer in etwa die gleiche. Eine der beiden RTL-Super Nannies - angeheuert wurden die Diplom-Pädagoginnen Katharina Saalfrank und Nadja Lydssan - zieht bei einer Familie mit Erziehungsschwierigkeiten ein. In der Regel sind hier die Eltern und Geschwister hilflos der Tyrannei eines verhaltensauffälligen Kindes ausgeliefert - oder sie wehren sich mit untauglichen oder verwerflichen Mitteln.

Die Nannies stellen strenge Regeln und Zeitpläne für die Erwachsenen und Kinder auf, verhängen "Aus-Zeiten" für den ungebärdigen Nachwuchs, führen den Eltern die Erziehungsfehler vor Augen, geben Verhaltens-Tipps. Das Happy End besteht meistens in einem innigeren Zusammenleben zwischen den geläuterten Eltern und ihren nun besser angepassten Kindern.

"Große Bedenken"

Eine Stunde, Werbung eingeschlossen, dauern jeweils die Folgen, mit deren Ausstrahlung RTL sofort eine riesige, kontroverse Diskussion ausgelöst hatte. Ihre "großen Bedenken sowohl an der Art als auch an den Inhalten dieser Sendung" drückten die Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF) und der Deutsche Kinderschutzbund aus.

Es werde eine schwarze Gehorsamspädagogik transportiert, die an das erinnere, was in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts in deutschen Familien geschah - mit allen langfristigen Folgen.

Bereits die Pilotfolge hatte es in sich: Zu den "erzieherischen Maßnahmen" der Erwachsenen gehörten der Einsatz ihrer körperlichen Überlegenheit. So wurde das Kind beispielsweise gewaltsam festgehalten, in ein "stilles Zimmer" gesperrt, die Tür wurde zwar nicht zugeschlossen, aber immerhin zugehalten - "schwarze Pädagogik" eben.

Warum lieben die Zuschauer eine Erziehungs-Soap? Die DGSF erklärte die große Resonanz mit der "tiefen Erziehungsverunsicherung vieler Eltern heutzutage" - und mit dem "voyeuristischen Aspekt und der Befriedigung darüber, dass es anderen noch schlechter geht".

Ist das so? Wendet sich die Serie tatsächlich an verunsicherte Väter und Mütter? Gibt es denn so viele Eltern, die ihrem zweieinhalb Jahre alten Sohn einen Videorekorder ins Zimmer stellen, damit er jeden Abend zum Einschlafen einen Film sehen kann? Die dem Vierjährigen erlauben, so viele Süßigkeiten zu verschlingen, wie er mag? Wie viele Mütter finden es normal, ihren Kindern immer wieder neue Fläschchen mit süßem Saft ins Schlafzimmer zu bringen - achtmal pro Nacht, bloß, damit sie im Bett bleiben?

Die ihre zwei und drei Jahre alten Buben völlig unbeaufsichtigt in der Badewanne herumtoben lassen, damit sie selbst ein paar Minuten Ruhe haben? Wie viele Väter finden es richtig, ausschließlich in einem Kasernenhof-Brüll-Ton ("Hinlegen!!") mit ihren Kindern zu kommunizieren (Vater René: "Die Zeit beim Bund, die hat mir sehr gut gefallen")?

Erziehung als Unterhaltung

Was sind das für Eltern, die nie etwas gemeinsam mit ihren Kindern unternehmen, die ihnen nie Zärtlichkeiten zuteil werden lassen, die aus Frust oder Wut oder Hilflosigkeit ihre Kinder einsperren oder sie schubsen und schlagen?

Und kommen diese Eltern wirklich nicht allein auf den Gedanken, dass sie selbst daran schuld sind, wenn ihre Kinder sich als kleine kreischende, beißende, spuckende Biester gebärden und nichts, aber auch gar nichts von dem tun, was Vater und Mutter von ihnen verlangen?

Klar, die Super Nanny-Serie setzt auf solche Extremfälle. Eine TV-Soap ist kein Abbild der durchschnittlichen Alltags-Welt, auch Erziehung ist hier in erster Linie Unterhaltung. Aber ist das legitim, wo doch die Akteure keine Schauspieler, sondern hilflose Eltern und ihre oft noch recht kleinen Kinder sind?

Die jetzigen Nanny-Folgen bringen für die, die wirklich danach suchen, schlichte und richtige Erziehungs-Hinweise. Etwa: Kinder benötigen klare Ansagen. Eltern müssen konsequent sein. Familie braucht Gemeinsamkeiten. Zuwendung und Wärme sind für Kinder lebenswichtig. Kinder brauchen Lob und Bestätigung. Und immer wieder: Kinder dürfen nicht angeschrieen und schon gar nicht geschlagen werden!

Über die Methoden der Nannies in ihrer 14-tägigen "Intensivtherapie" kann man streiten. Die an die Wand gepinnten schriftlich formulierten Regeln mögen manchem lächerlich erscheinen. Auch dass es wichtig sein soll, dass die Mittagsmahlzeit jeden Tag um dieselbe Minute auf dem Tisch steht, ist wenig einleuchtend.

Und was soll daran richtig sein, dass "die Regeln immer von den Eltern gemacht" werden müssen? Warum sollen nicht auch Kinder Regeln aufstellen dürfen? Aber in "schwarzer Pädagogik" geschult werden die Zuschauer durch diese Sendung mit Sicherheit nicht.

Allerdings wird ihnen auch nicht deutlich genug gesagt, dass in allen gezeigten Problemfällen das Fehlverhalten der Erwachsenen und die von ihnen an den Kindern verursachten Schäden nicht mit dem 14-tägigen Besuch einer Nanny, sondern - wenn überhaupt - nur in einer langwierigen Therapie behoben werden können.

Beim Sender RTL versichert man, nicht nur die Dreharbeiten würden von Psychologen begleitet, auch die gefilmten Familien kämen in den Genuss sorgfältiger Nachbetreuung. Manche hielten auch von sich aus mit dem Sender Kontakt und fragten von Fall zu Fall um Rat nach oder meldeten Erfolge.

Die am schwersten wiegenden Einwände werden durch eine solche Psycho-Fürsorge nicht gegenstandslos. Menschen, die sich für Geld oder auch nur für kurzzeitigen Fernseh-Ruhm bei laufenden Kameras die Brüste vergrößern oder Hüft-Fett absaugen lassen, die sich im Fernseh-Studio mit ihren ehemaligen Partnern fetzen oder hämisch lächelnden Moderatoren Auskunft über ihre Sexualpraktiken geben, die mögen bedenkenlos, zynisch oder auch nur bekloppt sein - eines sind sie immer: erwachsen, zumindest dem Alter nach.

Genuss in der Pfütze

Doch wer wahrt die Rechte derKinder? Ob sie nun als schwerbehinderte Babys für TV-Berichte vermarktet werden oder, wie in den Nanny-Episoden, als erschreckende Beispiele für missglückte Erziehung herhalten müssen - die Eltern entscheiden über den Fernseh-Auftritt, sie entscheiden selbst dann, wenn das Kind durchaus fähig ist, Entscheidungen für sich selbst zu treffen.

Es ist leider nicht so, dass immer und überall die Eltern die geeignete Lobby ihrer Kinder sind. Und schon von daher ist es gut, dass ein Kinderschutzbund sich mit allem ihm zu Verfügung stehenden Pathos für seine Klientel stark macht.

Übrigens: Wenn man Kinder grundsätzlich mag, dann sieht man auch während der Super-Nanny-Hausbesuche nicht nur erbarmungswürdige Familien, die schwer unter ihren kleinen, aber mächtigen Monstern leiden. Sicher, man möchte nicht unbedingt für den vierjährigen Nico rund um die Uhr verantwortlich sein, sich von ihm schlagen und bespucken lassen und dabei Fassung bewahren müssen.

Aber ist man nicht doch auch, wenn auch heimlich, begeistert, wie Nico es mit einer einzigen flinken Armbewegung schafft, ein Regal im Supermarkt leer zu räumen? Wie er genussvoll in eine Schlammpfütze springt? Wie Julian oder Dean oder Shanice oder wie sie alle heißen, ihre Eltern erfindungsreich austricksen? Diese Kinder sind, trotz aller ihnen zugefügten Beschädigungen, starke, liebenswerte Persönlichkeiten. Dass dies deutlich wird, ist eine der Stärken dieser Serie.

Kinder haben auch oft die besseren Erziehungsrezepte. Wo der große Bruder ("Nico gehört in die Klapse") und die Eltern ("Wir leiden unter Nico") von wiederhergestellter Familienharmonie als ihrem höchsten Ziel faseln, antwortet Nico auf die Frage nach seinem größten Wunsch: "Dass Mama und Papa mehr mit mir spielen."

© SZ vom 04.04.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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