Südafrika:Pistorius zeigt seine "Verwundbarkeit"

  • Der unterschenkelamputierte Oscar Pistorius erschoss 2013 seine Freundin Reeva Steenkamp.
  • Der Prozess zieht sich seit drei Jahren hin. Nun wird das Strafmaß erneut verhandelt.
  • Auf Bitten seines Anwalts nimmt er die Prothesen im Gerichtssaal ab.

Von Tobias Zick, Kapstadt

Am Mittwoch nahm der beidseitig unterschenkelamputierte Oscar Pistorius im Gerichtssaal in Pretoria seine Prothesen ab und humpelte auf seinen Stümpfen hin und her, sein Anwalt wollte es so: Auf diese Weise sollte Pistorius demonstrieren, wie "verwundbar" er sei. Während seines schmerzhaften Schaulaufens schluchzte Pistorius, musste sich immer wieder an den Bänken festklammern. Auf den Fernsehbildern war gut zu sehen, wie einige der im Saal Anwesenden peinlich berührt zu Boden schauten. Je länger sich der Prozess um den früheren Sprinter Pistorius hinzieht, desto emotionaler wird er, und manchmal hat man das Gefühl, der Prozess dauert schon viel zu lange.

Still auf der Anklagebank

Pistorius, der am Valentinstag 2013 seine Freundin Reeva Steenkamp durch die geschlossene Badezimmertür seines Hauses in Pretoria erschossen hatte, saß ansonsten in den vergangenen Tagen eher still auf der Anklagebank. Im Oktober 2014 hatte ihn ein Gericht zu fünf Jahren Haft verurteilt - wegen fahrlässiger Tötung: Es sei ihm nicht zweifelsfrei nachzuweisen, erklärte damals die Vorsitzende Richterin Thokozile Masipa, dass er mit dem Vorsatz gehandelt habe, seine Freundin zu töten. Pistorius selbst hatte immer wieder beteuert, er sei davon ausgegangen, dass sich im Badezimmer ein bewaffneter Einbrecher verstecke. Die vier Schüsse durch die Tür habe er aus Angst um sein Leben und um das seiner Freundin abgefeuert, die er schlafend im Bett vermutet habe.

Nach einem Jahr Gefängnis durfte er ins Haus seines Onkels umziehen, um den Rest der Strafe dort unter Hausarrest abzubüßen. Die Staatsanwaltschaft jedoch ging gegen das Urteil der ersten Instanz in Berufung, und im Dezember 2015 urteilte ein höheres Gericht in Bloemfontein, Richterin Masipa habe den Begriff des Vorsatzes falsch interpretiert und außerdem wichtige Indizien nicht hinreichend berücksichtigt. Es sei nicht entscheidend gewesen, ob Pistorius gewusst habe, dass sich seine Freundin hinter der Tür befand - die Identität des Opfers sei "nicht ausschlaggebend für die Beurteilung der Schuld". Der Angeklagte habe zweifellos "vorhergesehen, dass die Person hinter der Tür, wer auch immer sie war, zu sterben drohte". Das Berufungsgericht verurteilte Pistorius, nicht nur in seinem Heimatland ein berühmter Sportler, wegen "murder", was im deutschen Strafrecht in etwa dem Tatbestand des Totschlags entspricht; darauf stehen in Südafrika mindestens 15 Jahre Haft. Das genaue Strafmaß muss jetzt die Richterin der ersten Instanz, Thokozile Masipa, festlegen: Darum geht es in der Anhörung dieser Woche, die eine Woche voller emotionaler Momente geworden ist.

Der Vater des Opfers, der 73-jährige Barry Steenkamp, sagte am Dienstagnachmittag, Pistorius müsse "für sein Verbrechen bezahlen". Er selbst, der unter Diabetes leidet und am Stock geht, habe eines Tages nachfühlen wollen, unter welchen Schmerzen seine Tochter gestorben war, und habe sich deshalb mit seiner Insulinspritze selbst verletzt: "Ich nahm die Nadel und rammte sie mir in den Bauch und in die Arme" - während er dies schluchzend schilderte, verbarg Pistorius sein Gesicht in den Händen, selbst unter Tränen.

"Da war keine Wut, da war nur ein gebrochener Vater"

"Da war keine Wut, da war kein Hass, da war nur ein gebrochener Vater", so fasste Staatsanwalt Gerrie Nel die Situation der Familie des Opfers zusammen - und forderte in seinem Schlussplädoyer am Mittwoch 15 Jahre Haft für Pistorius. Dessen Verteidiger Barry Roux hielt dagegen, der 29-jährige Pistorius sei ein "gebrochener Mann" und bereits jetzt "für den Rest seines Lebens gestraft". Seine Karriere als Sportler sei am Ende, er habe finanziell und sozial gebüßt - "von dem Moment an, als er geschossen hat". Roux beharrte darauf, dass sein Mandant die Schüsse "aus Angst" abgefeuert habe. Man möge sich die Situation aus dessen Sicht ausmalen: "Es ist drei Uhr morgens, es ist dunkel, er ist auf seinen Stümpfen. Sein Gleichgewicht ist ernsthaft beeinträchtigt, er wäre nicht in der Lage, sich zu verteidigen."

Ein von der Verteidigung bestellter psychologischer Gutachter hatte zuvor erklärt, Pistorius sei in Folge seiner Tat psychisch "am Ende"; er leide unter Depressionen und einem posttraumatischen Stress-Syndrom und gehöre deshalb nicht ins Gefängnis, sondern in klinische Behandlung: "Er hat fast aufgegeben, sein Kampfeswille scheint gebrochen." Aufgrund seines Zustands sei der Angeklagte zudem "nicht in der Lage, auszusagen". Staatsanwalt Nel erwiderte darauf spöttisch: Wie könne es sein, dass Pistorius in einem Fernsehinterview sehr wohl über den Fall reden könne, nicht aber vor Gericht?

Die Entscheidung über das Strafmaß soll am Freitag fallen. Beobachter erwarten, dass das Gericht die schon verbüßte Haft anrechnet - und Pistorius' Behinderung strafmildernd berücksichtigt.

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