Südafrika:Er wollte töten

Nachdem Oscar Pistorius seine Freundin erschossen hatte, sprach das Gericht erst ein mildes Urteil. Nun droht doch eine harte Strafe.

Von Tobias Zick, Kapstadt

Er ist reich, er ist weiß und deshalb werde er mit Samthandschuhen angefasst: Das war der Tenor in Südafrika, als Oscar Pistorius im Oktober, früher als erwartet, wegen guter Führung aus dem Gefängnis in den Hausarrest entlassen wurde. Der beidseitig beinamputierte Sportler war im Februar 2013 verhaftet worden, nachdem er seine Freundin, das 29 Jahre alte Model Reeva Steenkamp, durch die Badezimmertür seines eigenen Hauses erschossen hatte.

Schon nach der Urteilsverkündung im Oktober 2014, als ihn die Richterin Thokozile Masipa zu fünf Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung statt wegen Totschlags verurteilte, hatte es bittere Kritik gehagelt: Wer betucht genug sei, um sich Staranwälte zu leisten - und das sind in Südafrika auch zwei Jahrzehnte nach Ende der Apartheid mehrheitlich Weiße -, komme glimpflich davon. Der Prozess hatte vielen als Testfall für die Justiz der politisch freien, aber gesellschaftlich und wirtschaftlich noch immer tief gespaltenen "Regenbogennation" gegolten. Vor allem in den Augen vieler schwarzer Südafrikaner war klar: Das Land hatte den Test nicht bestanden.

FILE - Verdict Expected As Oscar Pistorius Trial Resumes Tomorrow

Von Projektilen durchlöchert: Spurensuche am Tatort, an dem in der Nacht auf den Valtentinstag 2013 die tödlichen Schüsse fielen.

(Foto: Antoine de Ras/Getty Images)

Ein Berufungsgericht sprach nun von "grundlegenden Irrtümern" beim Urteil der ersten Instanz

Rassistische Voreingenommenheit allerdings hatte man der Richterin nicht ernsthaft vorwerfen können: Thokozile Masipa, geboren in Soweto, der bekanntesten Township des Landes, war 1998 als eine der ersten schwarzen Frauen zur Richterin berufen worden. Das war vier Jahre nach dem Ende der Apartheid. In anderen Fällen von Gewalt durch (weiße) männliche Täter war sie nicht gerade durch zimperliche Urteile aufgefallen.

Unterstützer hielten ihr im Fall des Pistorius-Urteils zugute, dass sie nach dem alten Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" entschieden habe: In ihren Augen war Pistorius nicht zweifelsfrei nachzuweisen, dass er mit dem Vorsatz gehandelt hatte, seine Freundin zu töten. Der Sprintstar selbst hatte beteuert, er sei in der Tatnacht irrtümlich davon ausgegangen, dass sich hinter der Tür ein bewaffneter Einbrecher verschanzt habe, während Reeva Steenkamp im Bett liege und schlafe. Die Tötung seiner Lebensgefährtin sei ein tragisches Versehen gewesen. Die Staatsanwaltschaft vermutete hingegen Vorsatz, da die beiden sich vor der Tat gestritten haben sollen.

Oscar Pistorius, Reeva Steenkamp

Ein vermeintliches Traumpaar: Das Model Reeva Steenkamp und der Sportstar Oscar Pistorius.

(Foto: Lucky Nxumalo/AP)

Kritiker aber warfen Masipa nach der Urteilsverkündung vor gut einem Jahr vor, das Strafrecht falsch ausgelegt zu haben: Pistorius habe zweifellos in dem vollen Bewusstsein gehandelt, dass seine vier Schüsse tödlich sein würden; es liege ein sogenannter Dolus eventualis vor, ein Eventualvorsatz.

Genauso argumentierte jetzt auch ein Berufungsgericht in der Stadt Bloemfontein - und verurteilte Pistorius wegen "murder", was im deutschen Strafrecht in etwa dem Tatbestand des Totschlags entspricht.

Der Richter Eric Leach erklärte, das Urteil der ersten Instanz habe "grundlegende Irrtümer" enthalten. Der Eventualvorsatz sei eindeutig gegeben; es sei nicht entscheidend, ob Pistorius gewusst habe, dass sich seine Freundin hinter der Badezimmertür befand - sondern es gehe darum, ob er sich im Klaren darüber war, dass die Person dahinter durch sein Handeln getötet werden könnte. "Ich habe keinen Zweifel", sagte Leach, "dass der Angeklagte, als er die tödlichen Schüsse abgab, notwendigerweise vorhersehen musste und vorhergesehen hat, dass die Person hinter der Tür, wer auch immer sie war, zu sterben drohte." Die Identität des Opfers sei "nicht ausschlaggebend für die Beurteilung der Schuld". Kein rationaler Menschen würde annehmen, er dürfe mehrmals auf eine Person schießen, ohne einen Warnschuss abzugeben. "Eine Person, die auf einem belebten Platz eine Bombe zündet, wird die Identität ihrer Opfer wahrscheinlich nicht kennen, aber sie wird trotzdem die Absicht haben, mit der Explosion zu töten."

Oscar Pistorius

"Eine Tragödie vom Ausmaß eines Shakespeare-Stückes", so nannte Richter Eric Leach den Fall.

(Foto: Themba Hadebe/AP)

Pistorius galt bis zu jener verhängnisvollen Nacht auf den Valentinstag 2013 als Nationalheld. Obwohl ihm als Kind wegen eines Gen-Defekts beide Unterschenkel amputiert worden waren, wurde der Sportler dank zweier Carbon-Prothesen ein erfolgreicher Sprinter: 2012 startete er als erster beinamputierter Sportler der Geschichte bei den Olympischen Spielen. Er wurde Achter mit der Staffel über 4 x 400 Meter und kam als Einzelstarter bis ins 400-Meter-Halbfinale. Bei den Paralympics holte er zwei Mal Gold.

"Er wird ein internationaler Star. Er trifft eine junge Frau, die wunderschön und ein Model ist. Die Romanze erblüht, bis er, ironischerweise am Valentinstag, ihr Leben nimmt", fasste Leach den Fall zusammen, der "eine Tragödie vom Ausmaß eines Shakespeare-Stückes" sei.

Nun muss die Vorinstanz ein neues Strafmaß festlegen - auf Totschlag stehen in Südafrika mindestens 15 Jahre Haft. Die Entscheidung wird für Anfang des kommenden Jahres erwartet.

Pistorius, heute 29 Jahre alt, war bei der Verlesung des Urteils in Bloemfontein nicht im Gerichtssaal. Seine Familie gab in einer Mitteilung bekannt, sie habe das Urteil zur Kenntnis genommen, wolle es aber nicht weiter kommentieren. Bis zur Verhängung des neuen Strafmaßes dürfte der Verurteilte zunächst weiter unter Hausarrest in der Villa seines Onkels in Pretoria bleiben.

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