Suche nach Gastro-Tester:Ein Vermisster zum Dessert

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Der Schweizer Pascal Henry wollte alle 68 Drei-Sterne-Restaurants der Welt in 68 Tagen bereisen - im spanischen "El Bulli" verliert sich seine Spur.

J. Cáceres

Das letzte Abendmahl, von dem man gesicherte Kenntnis hat, nahm Pascal Henry im "El Bulli" ein, einem der besten Restaurants der Welt, und es umfasste 32 Kreationen. Der Meister der Molekularküche höchstpersönlich, Ferran Adrià, kredenzte es ihm, und Adrià erinnert sich noch gut daran, wie er zuvor in der Küche mit dem Gast aus der Schweiz parliert hatte.

Paul Bocuse schlug Alarm, als er nichts mehr von seinem ehemaligen Gast hörte. (Foto: Foto: oh)

Henry, so erzählte es Adrià der Zeitung La Vanguardia, habe ihm ein rotes Büchlein mit dem weißen Schweizerkreuz gezeigt - die Dokumentation einer schwerverdaulichen Weltreise: Henry wollte an 68 Tagen alle 68 Restaurants besuchen, denen der Guide Michelin mit drei Sternen die höchste Auszeichnung verliehen hat.

"El Bulli" war Station Nummer 40. "Ich habe ihm gesagt, dass ich neidisch bin", sagt Adrià, der unverhoffte Komparse eines kulinarischen Mysteriums, das jeden Carvalho- oder Poirot-Krimi in den Schatten stellt. Denn seit jenem 12. Juni ist Henry weg, verschwunden, als habe er sich in Luft aufgelöst. Seit dieser Woche ist er auch ein Fall für Interpol.

Die Vanguardia-Journalistin Cristina Joloch hat als Letzte mit dem 46-Jährigen geredet. Sie speiste zufällig am selben Abend im "Bulli", erfuhr über einen Kellner von Henrys Plan, setzte sich an seinen Tisch und verabredete ein Interview für den Tag, an dem er seine Tour beendet haben würde. Als er ihr vor dem Dessert eine Visitenkarte geben wollte, habe er gemerkt, dass er seine Brieftasche vergessen hatte, erinnert sich Joloch. "Ich komme gleich wieder", habe er gesagt.

Entführt oder von den Klippen gestürzt?

Zurückgelassen habe er: einen Hut, eine Aktenmappe - und das rotweiße Büchlein, das eine Kostbarkeit ist: Alle Chefs haben darin ihre Menüs handschriftlich verewigt. Bis um fünf Uhr morgens suchte Adriàs Partner Juli Soler nach Henry. Ohne Erfolg.

Dass er sich den Magen verdorben hat, gilt als unwahrscheinlich; ebenso, dass er die Zeche prellen wollte, auch wenn sich keiner erklären kann, wie er die von ihm selbst auf den Neuwert eines Autos taxierte Tour finanzieren konnte. Angeblich war er Motorradkurier, Interpol hat aber keine Spur seiner Firma finden können.

Geklärt ist zumindest, wie Henry die titanische Aufgabe löste, Tische in den begehrten Restaurants zu reservieren. Seine Reise, die ihn auch in sieben deutsche Lokale führte, startete er am 5. Mai bei Paul Bocuse in Frankreich, dem Dekan aller Drei-Sterne-Köche. Dieser hatte ihm ein Referenzschreiben gegeben. Bocuse war es auch, der Alarm schlug und sich öffentlich fragte, ob Henry wohl "Opfer eines Unfalls, einer Entführung" wurde. Andere mutmaßen, dass er von den Klippen fiel, die in der Nähe des "Bulli" liegen.

Am Sonntag wiederum wartete die Zeitung El Periódico damit auf, dass "der kulinarische Phileas Fogg" nach seinem Verschwinden beim französischen Gastropapst Marc Veyrat einen Tisch bestätigt habe, dann aber nicht aufgetaucht sei. Henrys Onkel soll wiederum berichtet haben, dass sein Neffe schon mal als Jugendlicher spurlos verschwunden war. Eine Vermisstenanzeige gab er zur Sicherheit dennoch auf. Die Fahndung läuft.

© SZ vom 04.08.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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