Wiedereröffnung des Fernsehturms:Stuttgart: Angst vor dem "schiefen Turm von Schwaben"

Der Stuttgarter Fernsehturm wird am 30 Januar wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sein Er wurde
(Foto: Lichtgut/imago)
  • An diesem Samstag wird der Stuttgarter Fernsehturm nach drei Jahren Renovierung wiedereröffnet.
  • Angeblich droht Gefahr: Die Kritiker von Stuttgart 21 haben entdeckt, dass einer der neuen Tunnel des Bahnhofs unter dem Fernsehturm hindurchläuft.
  • Jetzt schimpfen sie über die Risikobereitschaft der "Technokraten" und warnen vor einem schiefen Turm.

Von Max Hägler, Stuttgart

Das Kurioseste am Fernsehturm hoch über dem Stuttgarter Talkessel ist: Er ist gar kein Fernsehturm mehr. Mit der Umstellung auf Digital-Fernsehen hat der Südwestrundfunk das Ausstrahlen von Bildsignalen beendet. Ein bisschen analoges UKW-Radio senden sie noch von hier, etwa 500 Meter über dem tiefsten Punkt der Stadt, das war's aber auch. Er hat nicht mehr viel Funktion, wenn man es rein technisch betrachtet.

Aber der Stuttgarter Fernsehturm ist ja viel mehr als eine Versendungsanlage; der "Betonspargel", wie die Stuttgarter ihn selbst nennen, ist das einzige markante Wahrzeichen der schwäbischen Landeshauptstadt. Und wenn er nun an diesem Samstag nach drei Jahren Renovierung wiedereröffnet wird, dann natürlich standesgemäß, mit einem großen Fest, mit Buden unten und Reden oben.

Mit dem Fest sollte eigentlich eine für viele Stuttgarter schmerzhafte Zeit zu Ende gehen, aber die Geschichte des Stuttgarter Fernsehturms war schon immer für überraschende Wendungen gut. So ist das auch diesmal.

Kritiker schimpfen über die "Risikobereitschaft werteblinder Technokraten"

Begonnen hatte alles mit der Krönung von Königin Elisabeth II. am 2. Juni 1953. Es war eine der ersten großen weltweiten Fernsehdirektübertragungen, aber sie war so schlecht zu empfangen, dass klar war: Eine bessere Antenne muss her. Der Ingenieur Fritz Leonhardt schlug vor, ein Stahlbetonbauwerk zu errichten anstelle des geplanten Metallgerüstes.

So ließ der Rundfunk, damals noch der SDR, auf dem Bopser einen der allerersten Türme dieser Dimension in dieser Bautechnik aufstellen, für 4,2 Millionen Mark. Er wurde Vorbild für ähnliche Gebäude in aller Welt - und ein wichtiger Aussichtspunkt für Schwaben und Stuttgart-Besucher.

1965 kam die Queen dann persönlich auf den Turm. Auch mancher Münchner ward schon gesichtet, sich sehnsüchtig Richtung Süden reckend, auf der Suche nach seinen Alpen. Aber selbst wenn man die Augen zusammenkneift: Die Erdkrümmung ist zu stark, der Blick reicht nur zur Schwäbischen Alb oder zum Schwarzwald, das hat auch das Landesamt für Geoinformation bestätigt, nachdem Werbeleute Alpenblick versprochen hatten. Aber auch der Albblick ist schön. Beziehungsweise: war er. Bis zu jenem Märztag 2013, an dem der gerade gewählte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) mitteilte, der Turm sei gesperrt. Denn: "Der Turm darf nicht zu einer Todesfalle werden!"

"Schiefer Turm von Schwaben"

Die Stadtbeamten hatten ihrem neuen Chef gerade erklärt, dass der Brandschutz nicht mehr genüge. Zwar ist das mit Feuer in so einem Turm immer heikel, es gibt ja nur einen Weg rauf und runter, den durch die 150 Meter lange Röhre. Doch der neue Oberbürgermeister schätzte als eine seiner ersten Amtshandlungen das Risiko als besonders groß ein, sperrte den Zugang und wurde damit, nebenbei gesagt, seinem Ruf als extrem korrekter Schwabe gerecht.

Das Entsetzen der Stuttgarter war groß, sie haben zwar schöne Weinberge und eine Zahnradbahn mitten in der Stadt - aber Wahrzeichen? Da gibt es abgesehen von der Weißenhofsiedlung wenig mehr als das unelegante Mercedes-Museum, einen düsteren Bahnhofsturm oder als Ersatz die von den jungen Leuten herangezogene und in Grafiken gepackte Vorwahl "0711". Orte, an denen die Schwaben über den Dingen stehen können, gibt es dagegen kaum in dieser Stadt, in der sie immer einen Tick zu angestrengt entweder dem Geldzählen nachgehen oder dem Protestieren gegen irgendwas.

Angeblich dräut jetzt Gefahr unter der Erde

Der Turm beruhigt diese Gemüter, so wie er Identität gibt; das Hinauffahren und Umherschauen ist unverzichtbar für das Seelenheil. Also heckten der Eigentümer, der Südwestrundfunk und die Stadt, einen etwa zwei Millionen Euro teuren Lösungsplan aus: Mineralstoffmatten, Aluplatten und diverse andere Materialien sind in den vergangenen Monaten um alle Leitungen im Turminneren gelegt worden - und sollen so einen Brand verhindern.

Allerdings dräut jetzt angeblich andere Gefahr, unter der Erde. Die Kritiker des im Bau befindlichen Tiefbahnhofs haben entdeckt, dass einer der neuen Tunnel unter dem Fernsehturm hindurchläuft. Er liegt zwar 223 Meter unter dem 27 Meter breiten Turmsockel, aber: Dort ist Gipskeuper, Gestein, das aufquillt, wenn es feucht wird. Die "Fernsehturmfreunde" befürchten nicht das Einbrechen, sondern das Hochgehen des Turms.

Ein paar Zentimeter an der einen Seite würden ausreichen, um die Spitze um einen Meter aus dem Lot gehen zu lassen, haben die Kritiker ausgerechnet. Und schimpfen über die "unglaubliche Risikobereitschaft werteblinder Technokratenplaner" und von der rufschädigenden weltweiten Blamage eines demolierten "Schiefen Turms von Schwaben", allen Beschwichtigungsversuchen der Deutschen Bahn zum Trotz.

Wobei das vielleicht gar nicht schlecht wäre, aus Marketingsicht: Wenn schon kein Alpenblick und kein Fernsehen mehr, dann wenigstens ein bisschen schief.

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