Studie zur "Achtsamkeit":Ich hab' dich lieb!

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Alltag in deutschen Familien. Schlimm? Oder nicht so schlimm? (Foto: Corbis/Getty Images)

"Kommen unsere Kinder zu kurz?", fragt der Pharmakonzern Bayer in einer neuen Studie, für die Kinder und deren Eltern befragt wurden. Warum finanziert der Medikamentenhersteller solche Untersuchungen?

Von Martin Zips

"Das Trendthema Achtsamkeit ist in der Wirtschaft angekommen", schrieb vor wenigen Tagen die Wirtschaftswoche. "Immer mehr Unternehmen bieten Workshops für ihre Führungskräfte an und stellen fest: Die Mitarbeiter werden produktiver und kreativer." Toll. Jetzt ist Achtsamkeit also ein Trend. Dringend mal ausprobieren. Aber schnell, sonst macht ein anderer Karriere.

Die "Bepanthen-Kinderförderung, eine Initiative der Bayer Vital GmbH" hat jetzt in Berlin eine neue Studie vorgestellt. Das Thema: "Achtsamkeit in Deutschland. Kommen unsere Kinder zu kurz?" In ähnlichen Studien geht es mal um Fahrräder, mal um Rentner, mal um Margarine. Das interessiert immer.

Für die Bayer-Studie zeichnet Holger Ziegler, Erziehungswissenschaftler an der Universität Bielefeld als Studienleiter verantwortlich. Befragt wurden 721 Kinder im Alter von sechs bis elf Jahren und deren Eltern, sowie 362 Jugendliche und Eltern im Alter von zwölf bis 16 Jahren. "Ich kriege die Daten, Bayer finanziert die Befragung. Für uns eine Win-Win-Situation", sagt Ziegler.

Heraus kam, dass sich mehr als zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen von ihren Eltern "beachtet" fühlen. Und Einzelkinder sowie Kinder von Alleinerziehenden fühlen sich meist ein bisschen mehr beachtet als Mitglieder von kinderreichen Familien. "Beachtet", das ist natürlich ein weiter Begriff. Auch Hunde oder Teppiche finden schließlich Beachtung. Jedenfalls kam die Studie zu dem Ergebnis, dass fast jedes dritte Kind und jeder fünfte Jugendliche sich von seinen Eltern "wenig bis gar nicht beachtet" fühlt, was "Lebenszufriedenheit, Empathiefähigkeit und Selbstvertrauen" schade. Das Papier legt den Schluss nahe, dass von Eltern geäußerte Sätze wie "Was denkst du?", "Wie fühlst du dich?" oder "Ich hab dich lieb!" hier weiterhelfen könnten. Auch die "grundsätzliche Versorgung von Ernährung, Kleidung und Schulmaterialien" sowie der "gemeinsame Hausputz inklusive Gesangseinlage" sei sehr sinnvoll. Die weitere Deutung wurde dem Publikum überlassen. "Diese Studie provoziert nicht, da haben Sie ja recht", sagt Bernd Siggelkow, Gründer und Vorstand des christlichen Kinder- und Jugendwerks Die Arche. Auch er war bei der Pressekonferenz zur Bayer-Studie zugegen. "Solche Studien lösen auch nicht die Probleme, die ich habe. Aber ich bemühe mich schon zu provozieren und Probleme zu lösen. Und: Ich brauche Spender."

Der Weltkonzern Bayer war schon im Zusammenhang mit HIV-kontaminierten Blutprodukten im Gespräch, wegen lebensgefährlicher Nebenwirkungen eines Cholesterinsenkers, wegen Preisabsprachen, Emissionen, Medikamentenversuchen, der Behinderung von Entwicklungsländern bei der Herstellung lebenswichtiger Medikamente, wegen Pflanzengiften, Ausbeutung und Kinderarbeit. Da kommt jede Nennung im Zusammenhang mit Kindeswohl und "Achtsamkeit" gar nicht schlecht.

Mutig wäre die Studie freilich nur gewesen, wenn sie ein paar provokante Thesen aufgestellt hätte. Etwa: "Mütter sollten wieder mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen können." Oder: "Literatur, Musik und Philosophie sollten an deutschen Schulen künftig wieder eine viel größere Rolle spielen." Oder: "Herzensbildung ist nichts, was es im Öko-Regal zu kaufen gibt." Oder wenigstens: "Nicht mehr als eine Stunde Smartphone pro Tag! Für Erwachsene wie für Jugendliche. Für Kinder überhaupt kein Smartphone." Das wäre mal eine schöne Diskussionsgrundlage gewesen.

Der Mensch müsse sich "bei der Betrachtung des Laufs der Geschichte" endlich wieder bewusst werden, "dass wir achtsam mit allem umgehen müssen", schreibt der Theologe Leonardo Boff in seinem Buch "Achtsamkeit". "Mit dem Leben und mit der Erde, aber vor allem mit unserer Spiritualität." Und Papst Franziskus schreibt in der Enzyklika "Laudato si" (als Lied übrigens eine prima Gesangseinlage für den Hausputz): Wer seinem Schöpfer mal etwas zurückgeben möchte, der solle sich einfach in "universeller Geschwisterlichkeit" und einer "Kultur der Achtsamkeit" fürs Gemeinwohl einsetzen. Aber gut, da könnte man auch selbst drauf kommen.

© SZ vom 28.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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