Streitthema Hund in Berlin:"Ich laufe mit Hundekotaugen durch die Stadt"

Hund mit Pullover

Wenn sich an Vierbeinern die Geister scheiden: Der Berliner Senat hat den "Bello-Dialog" ins Leben gerufen, wo sich Hundebesitzer und Hundegegner austauschen sollen.

(Foto: dpa)

165.000 Hunde produzieren in der Hauptstadt 333.000 Häufchen. Täglich. Die Fronten zwischen Haltern und Gegnern der Vierbeiner sind verhärtet, deshalb hat der Berliner Senat die "Bello-Dialoge" ins Leben gerufen. Dort stellt sich die Frage: Wer ist hier eigentlich das Problem - Hunde oder Herrchen?

Von Thorsten Schmitz, Berlin

Im Türrahmen von Elena Kaschubats Büro ist ein Gitter befestigt, das Kinder vor Treppenstürzen bewahrt. Betritt man den Raum, rennt Lucy auf einen zu. Lucy liebt Zweibeiner. Sie ist eineinhalb Jahre alt, eine Mischung aus Boxer "und noch irgendwas", sagt Elena Kaschubat. Lucy kann nicht genug gestreichelt werden. Manchmal nimmt Kaschubat Besuchshunde wie Lucy mit in Altersheime zu Menschen, die von niemandem mehr berührt werden und sich freuen, dass die Tränen kommen, wenn ein Hund wie Lucy ihnen die Hände schleckt.

Elena Kaschubat ist amtliche Tierärztin für Mitte, Wedding und Tiergarten. Unerzogene Hunde kann sie nicht ausstehen. Lucy gehorcht ihr aufs Wort. Kaschubat zischt einmal und Lucy bleibt wie angewurzelt stehen. Dann bedeutet ihr Kaschubat mit den Händen, Platz zu nehmen. "Hunde", sagt die Veterinärin, "brauchen und wollen Grenzen." Kaschubat lehrt an der FU Berlin über Hundeverhalten und schreibt darüber gerade ihre Doktorarbeit. Sie hat auch schon mal mit einem Rudel gelebt, mit 65 Hunden, ein Jahr lang in South Carolina. Kein einziges Mal sei sie gebissen worden, obwohl sie auch Kämpfe geschlichtet habe. Alles eine Frage der Autorität und der Grenzen, sagt sie.

In Berlin hat sie es öfter mit Menschen zu tun, die ihren Hunden keine Grenzen setzen. Dann ruft man sie an, lässt Hundebesitzer und Hunde kommen, wie jüngst erst einen 40-Jährigen, dessen französische Bulldogge ein Kind gebissen hatte. Der Mann hatte keine einzige Grenze gesetzt, fand Kaschubat heraus, "der Hund war schnell frustriert und hat dann gebissen". Der Hund ist jetzt im Tierheim.

"Ich schäme mich, wie verwahrlost unsere Stadt ist"

Kaschubat muss sich an diesem Montagnachmittag sputen, denn sie wird am Abend einen Vortrag über die Hunde-Gesetzeslage in Berlin halten. Sie möchte Lucy noch nach Hause bringen. Kaschubat sitzt mit im "Bello-Dialog", den der Berliner Senat erfunden hat. Hier reden Hundegegner und Hundebesitzer darüber, wem Berlin gehört, die Parks und Trottoirs. Den Vier- oder den Zweibeinern? Zum dritten Mal diskutierten am Montag Hundegegner und Hundebesitzer über die Frage: "Wie kann das Zusammenleben von Mensch und Hund in Berlin möglichst konfliktfrei gestaltet werden?"

Auffallend an diesem Abend im Sozialsenatsgebäude ist: Dass nur Menschen gekommen sind, keiner mit seinem Hund. Da ist zum Beispiel Manfred Gresens, 78 Jahre alt, der, wenn man ihn fragt, warum er jetzt schon zum dritten Mal am Runden Tisch Platz nimmt, sagt: "Ich wohne in Neubritz, einem der dreckigsten Stadtteile in Berlin." Der frühere Elektroingenieur gibt zu: "Ich laufe mit Hundekotaugen durch die Stadt." Er sagt auch: "Ich schäme mich, wie verwahrlost unsere Stadt ist." Als Hauptstadt habe Berlin doch Vorbildcharakter! Seine philippinische Frau wiederum schämt sich, sagt er, wenn er Hundehaufen als Beweismittel fotografiert. Wie es mit Hunden und Kacke sei auf den Philippinen? "Schmutzig ist es da. Die haben auch Hunde. Manche essen die ja auch."

330.000 Hundehaufen am Tag

In Berlin leben 3,5 Millionen Menschen und schätzungsweise 165.000 Hunde. Die produzieren 333.000 Haufen - jeden Tag. Wie man der täglich 55 Tonnen Hundescheiße Herr wird, ob Hundehalter eine Hundehalterführerscheinprüfung ablegen müssen, wie man verhindern kann, dass Hunde fremde Kinder anspringen - darum geht es beim hundefreien "Bello-Dialog".

Die gut 30 Anwesenden schieben Ideen hin und her. Die einen wollen, dass alle Hunde immer an der Leine sind, die anderen regen sich über Hundepolizisten auf. Anette Butscher zum Beispiel. In einer Pause erzählt die 38 Jahre alte Angestellte, dass sie vor kurzem mit ihrer Tochter auf einer "riesigen Grünfläche in Reinickendorf" spazieren war und die Tochter mit dem Hund gespielt habe. Plötzlich seien Männer vom Ordnungsamt vor ihr aufgetaucht und hätten 70 Euro Strafe verlangt - weil ihr Hund nicht an der Leine hing.

Die Ergebnisse des Bello-Dialogs werden nach zwei weiteren Sitzungen im Frühjahr im Berliner Verbraucherschutzsenat beraten. Dort wird dann entschieden, ob Berlin ein neues Hundegesetz bekommt oder das alte bestehen bleibt. Berlin will aus den Fehlern von Stuttgart 21 lernen und die Bürger beteiligen. Deshalb der Runde Tisch.

Deutschland, einig Reglementierungsland. Die Teilnehmer des Dialogs zerbrechen sich in Gruppen den Kopf darüber, wie Hundegegner und Hundeliebhaber versöhnt werden können. Eine Gruppe hat die Idee: Hunde dürften nur zu bestimmten Zeiten ausgeführt werden. Carola Schubert, deren Tochter von einem Hund gebissen wurde, will wissen: "Wir reden hier über Freiflächen für Hunde. Ich frage: Wo sind die Freiflächen für Menschen?" Eine andere Frau findet, jeder, der sich einen Hund kauft, müsse eine Prüfung ablegen. Ein Wort dafür hat sie auch schon: "Sachkundenachweis".

Am frischsten argumentiert dann doch Sophie Schwab, die selbst einen Hund besitzt, ihn aber auch wie Tierärztin Kaschubat vorsichtshalber zu Hause gelassen hat: "Kann das nicht alles ohne Reglementierung und Zwang gehen?"

Japanische Übersetzungs-App für Hundegebell

Am längsten wird an diesem Abend über Hundekot debattiert. Draußen schneit es seit Stunden, das heißt auch: Die Hundehaufen verschwinden unter einer Schneeschicht. Die Gruppe "Hundehaufen" stellt Ideen vor, wie Hundescheiße garantiert in Berlins Mülltonnen landen könnte.

Zum Beispiel könne die Hundefutterindustrie doch in Hundefutterpackungen Plastiktüten mit hineingeben. Denn wie oft hört Herr Gresens, von dem diese Idee übrigens stammt, "dass, wenn ich einen anspreche, er solle den Haufen gefälligst wegmachen: Och, hab grad keene Tüte dabei". Herr Gresens lässt es jetzt, Leute anzusprechen, sie mögen doch bitte die Hundehinterlassenschaften wegmachen. "Was ich mir da schon für Beschimpfungen habe anhören müssen!"

Auch nach drei Stunden in dem Besprechungsraum des Gesundheits- und Sozialamtes wird nicht klar, wer das Problem ist: Der Mensch oder der Hund? Der Halter oder sein Tier? Elena Kaschubat sagt: "Die Persönlichkeit eines Menschen kann ich auch durch Gesetze nicht ändern."

Gerne hätte man gewusst, was Hunde von so einer Diskussion halten. In Japan geht das. Letztens war ein Fernsehteam aus Tokio in Berlin und hat Kaschubat einen Tag lang begleitet. Am Ende seien sie überrascht gewesen, "wie viel ich von Hunden verstehe", sagt sie. Der Hit sei in Japan im Moment eine Übersetzungs-App für Smartphones, die Hunde zum Sprechen bringt. Wie die funktioniert? "Man nimmt das Bellen der Hunde auf", sagt Elena Kaschubat und lacht, "und die App übersetzt dann ins Japanische, was der Hund gerade gesagt hat."

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