Strafrecht:Warum Frederikes mutmaßlicher Mörder nicht angeklagt werden darf

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Hans von Möhlmann hält ein Foto seiner 1981 ermordeten Tochter Frederike in den Händen. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/DPA)
  • Der Vater der 1981 getöteten Frederike von Möhlmann fordert Schmerzensgeld.
  • Er will damit auf Ismet H. aufmerksam machen, der nach dem Mord an Frederike tatverdächtig war, aber aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde.
  • Ein Rechtsgrundsatz verhindert, dass er noch einmal angeklagt wird.

Von Hans Holzhaider

"Ne bis in idem"

Wenn Ismet H. heute wegen des Mordes an Frederike von Möhlmann angeklagt werden könnte, gäbe es nicht den Schatten eines Zweifels daran, dass ein Gericht ihn zu lebenslanger Haft verurteilen würde. Eine Sekretspur in der Unterwäsche des Opfers, die mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit dem mutmaßlichen Täter zugeordnet wird, wäre für jedes Gericht ein überzeugender Beweis von der Schuld des Angeklagten.

Aber Ismet H. kann wegen dieser Tat nicht mehr angeklagt werden, denn er wurde vor mehr als 30 Jahren vom Landgericht Stade von eben diesem Vorwurf rechtskräftig freigesprochen. In fast allen Rechtsstaaten der Welt gilt das Verbot der Doppel- oder Mehrfachbestrafung, das auf altes römisches Recht zurückgeht: "Ne bis in idem" - nicht zweimal für dasselbe. In Deutschland ist dieser Grundsatz im Artikel 103 Absatz drei des Grundgesetzes verankert: "Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden".

Dem Einwand, Ismet H. sei ja gerade nicht bestraft, sondern freigesprochen worden, begegnen die Juristen mit dem Hinweis auf die seit Jahrzehnten gefestigte Rechtsmeinung, dass der Grundsatz "Ne bis in idem" nicht nur die mehrmalige Bestrafung, sondern auch die mehrmalige Anklage wegen derselben Tat verbiete - man nennt das "Strafklageverbrauch".

Mögliche Ausnahmen

Die deutsche Strafprozessordnung (StPO) lässt jedoch einige Ausnahmen von diesem ehernen Rechtsgrundsatz zu. Der Paragraf 362 StPO regelt, dass ein Verfahren gegen einen rechtskräftig Freigesprochenen wieder aufgenommen werden kann, wenn

  • in dem Verfahren, das zum Freispruch führte, eine als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war
  • wenn ein Zeuge oder Sachverständiger vorsätzlich falsch ausgesagt oder einen fahrlässigen Falscheid geleistet hat
  • wenn ein Richter oder Schöffe eine strafbare Verletzung seiner Amtspflichten begangen hat
  • wenn der Freigesprochene ein glaubwürdiges Geständnis ablegt.

Neue Beweismittel, die dem freisprechenden Gericht noch nicht zur Verfügung standen, rechtfertigen nach dieser Regelung keine Wiederaufnahme des Verfahrens - anders als bei der Wiederaufnahme eines Verfahrens zugunsten eines Verurteilten.

Woran Änderungsversuche scheiterten

Die Länder Nordrhein-Westfalen und Hamburg haben 2007 im Bundesrat einen Versuch unternommen, das zu ändern. Anlass war ein Strafverfahren, das einige Parallelen zum Fall Frederike von Möhlmann aufweist. 1993 war bei einem Überfall auf eine Videothek in Düsseldorf eine Frau gestorben, nachdem die Täter ihr eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und mit Klebeband verklebt hatten. Ein mutmaßlicher Täter wurde wegen Mangel an Beweisen freigesprochen. 2006 konnte an dem Klebeband eine DNA-Spur gesichert werden, die dem Freigesprochenen zuzuordnen war. Aber ebenso wie Ismet H. im Fall Frederike konnte der Mann nicht mehr angeklagt werden.

Im März 2009 führte der Rechtsausschuss des Bundestages eine öffentliche Sachverständigenanhörung über den Gesetzentwurf der beiden Bundesländer durch; danach wurde die Idee einer Neuregelung des Paragrafen 362 StPO fallengelassen. Seither hat niemand mehr die Initiative zu einer Reform des Wiederaufnahmeverfahrens ergriffen, bis Frederikes Vater Hans von Möhlmann im Internet eine Online-Petition gestartet hat, der sich mittlerweile mehr als 55 000 Unterstützer angeschlossen haben.

Die Gegner einer Reform des Wiederaufnahmeverfahrens argumentieren vor allem mit der überragenden Bedeutung der Rechtssicherheit: Jedermann müsse sich darauf verlassen können, dass geltendes Recht durchgesetzt wird und rechtskräftige Entscheidungen der Gerichte Bestand haben. In einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts heißt es, die Rechtssicherheit sei "von so zentraler Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit, dass um ihretwillen die Möglichkeit einer im Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung in Kauf genommen werden muss".

Lesen Sie hier mit SZ Plus die Seite-3-Reportage zum Fall Frederike:

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