Stilkritik:Waschbär

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(Foto: Lenhard Klimek/dpa)

Für die einen ist der Waschbär ein Raubtierchen mit putzigen Pfötchen, für die anderen ein Problembär mit Migrationshintergrund. Die Aufregung jedenfalls ist groß.

Von Michael Neudecker

Den Stil des Waschbären zu kritisieren ist einfach. Er heißt so, weil er bei der Nahrungssuche bisweilen schwimmend mit den Pfoten unter Wasser nach Essbarem tastet, während er den Kopf knapp über Wasser hält, um Feinde zu sehen. Das sieht erschütternd würdelos aus.

Aber halt, hier soll nun nicht der Waschbär verlacht werden, es gibt schließlich eine ernste Waschbär-Debatte, die schon länger läuft und der die Frage zugrunde liegt, ob der Waschbär eine der großen Plagen des 21. Jahrhunderts ist (frisst alles, auch Dachisolierung! Wirft Mülltonnen um! Kotet ungehemmt!). Die Gemüter schienen sich hier etwas beruhigt zu haben, die "So vertreiben Sie Waschbären"-Anleitungen diverser Gartengestaltungsmedien begegneten einem seltener, und die Sache mit "Alex", der in Berlin den Alexanderplatz als Lebensraum auserkor und von Anwohnern kontrovers bewertet wurde, ist schon fast vergessen. Doch vor ein paar Tagen veröffentlichte die EU, die zuletzt generell eher weniger durch das Beruhigen von Gemütern auffiel, eine Liste, auf der 37 Tierarten geführt werden, deren Vermehrung dringendst zu unterbinden sei. Schlimme Viecher wie der Kleine Mungo oder die Schwarzkopfruderente stehen drauf, aber auch: der einst aus Nordamerika eingewanderte Waschbär. Am Samstag meldete die Deutsche Presse-Agentur: "Tierparks empört über Waschbären-Beschluss!" Liste gemacht, Debatte neu entfacht, so ein Schlamassel.

Die einen halten den Waschbär für ein Raubtierchen mit putzigen Pfötchen; die anderen sehen in ihm einen Problembär mit Migrationshintergrund. Für alle aber gilt, und das ist wohl der Grund, warum Integration vs. Abschiebung des Waschbärs so emotional verhandelt wird: Einen Waschbär sehen, ist wie im ungünstigsten Moment in den Spiegel schauen. Zu den auffälligsten Eigenschaften des Waschbärs gehört neben seiner lustigen Schwimmerei, dass er oft schrullig wirkt, faul ist und am liebsten frisst, was er gerade zufällig vorfindet.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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