Stilkritik:Siesta

Weg mit dem institutionalisierten Mittagsschlaf, her mit dem frühen Feierabend: Die Spanier wollen ihren Schlafrhythmus umkrempeln.

Von Martin Zips

Diese Meldung raubt uns gerade den Mittagsschlaf: Laut einer von der Nachrichtenagentur dpa verbreiteten Statistik der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) arbeitet der spanische Arbeitnehmer jährlich 300 Stunden mehr als der deutsche. Da wird doch nicht jemand noch fleißiger sein? Nö, wird behauptet, der Spanier sei zwar länger arbeitspräsent, seine Wirtschaftsleistung aber geringer. Ob das mit der Siesta zusammenhängt, der in Spanien geradezu gesellschaftlich verordneten, auf drei Stunden ausdehnbaren Mittagspause? Siesta. Das klingt so toll. Zwischen neun und zwölf Uhr schuften, danach üppig ausruhen und ab 15 Uhr noch mal kurz ins Büro. Doch Vorsicht: Der mittagsruhelose Deutsche kann sich ab 18 Uhr Freizeitvergnügen wie Blindverkostungen, Nacktwanderungen oder dem Mies-van-der-Rohe-Vortrag an der Volkshochschule Nürtingen hingeben. Fiesta statt Siesta. In Spanien hingegen MUSS das Unerledigte auch am Spätnachmittag noch erledigt werden - und das dauert. Erst danach können die Kinder abgeholt und ins Bett gebracht werden. Bis Mitternacht bleibt da höchstens noch Zeit für eine einsame Cerveza vor dem Flachbildschirm. Die Siesta, zumal die gesellschaftlich verordnete, ist also eigentlich ein rechter Mist. Die heimlich ins uferlose verlängerte Mittagspause hingegen sollte gerade unter deutschen Arbeitnehmern als reinigender Akt persönlicher Freiheit verstanden werden. Und nichts schützt besser vor Herzinfarkt.

© SZ vom 16.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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