Sterbehilfe-Debatte in Frankreich:"Aufgefressen vom Schmerz"

Chantal Sébire, 52 Jahre alt, leidet so fürchterlich, dass sie nicht mehr leben will. Die Französin, um die die Sterbehilfe-Debatte in Frankreich wieder neu entbrannt ist, will sich vor Gericht das Recht auf einen selbstbestimmten Tod erstreiten - nachdem selbst ein Appell an Präsident Sarkozy nichts half.

Gerd Kröncke

Darf ein Mensch sterben, weil ihm sein Leben unerträglich ist? In Frankreich ist die Diskussion um die aktive Sterbehilfe neu entbrannt. Vor einem Gericht in Dijon will Chantal Sébire, 52 Jahre alt, ihr Recht auf einen selbstbestimmten Tod erstreiten. Von ihren Kindern ließ sie sich am Donnerstag zum Tribunal de Grande Instance in Dijon bringen.

Ihr Anblick ist herzzerreißend. Nicht weil ihr Gesicht so entstellt ist, das wäre für Chantal Sébire kein Grund zu sterben, sondern weil man die Schmerzen ahnt. Madame Sébire, 52 Jahre alt, leidet so fürchterlich, dass sie nicht mehr leben will.

In einem Appell hat sie Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy angefleht, dass ihr zum Tod verholfen werde. Sie hält es nicht mehr aus, selbst stärkste Medikamente bringen keine Linderung, unablässig wächst der Tumor. "Ich fühle mich buchstäblich aufgefressen vom Schmerz", sagt sie.

Auf früheren Fotos ist die ehemalige Lehrerin noch als fröhliche, lebensbejahende Frau zu sehen. Als vor sieben Jahren die extrem seltene Krebserkrankung - Esthesioneuroblastome - diagnostiziert wurde, ahnte sie nicht, was ihr bevorstand. Der Tumor in der Nasenhöhle ist nicht zu operieren. Er ist inzwischen größer als ein Tennisball, drückt Nase und Augen nach außen. Seit kurzem ist sie erblindet.

Die Rechtslage scheint klar zu sein, zumindest für Justizministerministerin Rachida Dati. Die Unantastbarkeit des Lebens lässt nach Meinung der Ministerin keinen Interpretationsspielraum. "Die Medizin ist dazu da, Leben zu erhalten, nicht, tödliche Substanzen zu verabreichen", sagt sie und verweist darauf, dass das französische Recht sich die Europäische Menschenrechtskonvention für das Recht auf Leben zu eigen macht.

Auch Wohnungsbauministerin Christine Boutin, die sich mehr als die meisten einer katholischen Ethik verpflichtet fühlt, äußert sich kategorisch. Werde das Tötungsverbot erst mal eingeschränkt, "dann beschreiten wir den Weg in eine barbarische Gesellschaft".

Aber für den Premierminister liegen die Dinge weniger klar. Spürbar bewegt warnte François Fillon vor fertigen Antworten. Die Affäre Sébire geht für ihn an die Grenze dessen, "was Gesetz und Gesellschaft beurteilen können".

Die bislang letzte Debatte um Sterbebeihilfe fand vor fünf Jahren anlässlich der Leiden des jungen Vincent Humbert statt, der hilf- und bewegungslos in seinem Bett lag und dem schließlich ein Arzt, illegal aber unbestraft, den Tod brachte, den er sich gewünscht hatte.

In der Folge wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach Mediziner in bestimmten Fällen das Sterben zulassen können, indem sie lebenserhaltende Maßnahmen einstellen. Auch Chantal Sébire bleibt die Möglichkeit, sich in ein künstliches Koma versetzen zu lassen. Danach würde ihr Körper sich selbst überlassen. Sie würde verdursten und verhungern.

Aber die Mutter liebt ihre drei Kinder, die immer zu ihr gestanden haben, und weigert sich, ihnen zuzumuten, ihr langsames Sterben zu erleben. Sie will bewusst die Schwelle zum Tod nehmen, sich verabschieden, zu einem Zeitpunkt ihrer eigenen Wahl.

Doch was sie verlangt, wäre aktive Beihilfe zum Selbstmord, den kein französischer Richter legitimieren wird. So deutet nichts darauf hin, dass das Tribunal in Dijon ihrem Wunsche entsprechen könnte. Am Ende wird Chantal Sébire nur die Reise über die Grenze bleiben. In der Schweiz oder in Belgien sind die Gesetze weniger strikt.

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