Steinlawine in den Dolomiten:Immer häufiger, immer größer

Nach der gigantischen Steinlawine in Südtirol hat die Diskussion über die möglichen Ursachen begonnen. Die SZ sprach mit Ludwig Nössing vom Bozener Amt für Geologie.

Tanja Rest

SZ: Herr Nössing, wie kam es Ihrer Ansicht nach zum Felssturz am Einser?

Steinlawine in den Dolomiten: Eine Webcam eines italienischen Fernsehsenders zeigt die Steinlawine, die vom Gipfel des Einserkogels ins Tal gestürzt ist.

Eine Webcam eines italienischen Fernsehsenders zeigt die Steinlawine, die vom Gipfel des Einserkogels ins Tal gestürzt ist.

(Foto: Foto: dpa)

Nössing: Es handelt sich um eine Erosion in Folge von atmosphärischen Einflüssen - Wasser, Frost und Tau. Der Dolomitenfels ist ja kein homogener Block, sondern in seinem Inneren porös und zerklüftet. Wenn Wasser in die Hohlräume eindringt, durch Temperaturschwankungen gefriert und wieder auftaut, lockert sich das Gestein. Die mögliche Folge ist ein Felssturz, wie wir ihn erlebt haben.

SZ: Reinhold Messner macht den Klimawandel verantwortlich: In Folge der Erderwärmung würden die Permafrostareale schmelzen, die im Fels als eine Art Klebstoff wirken.

Nössing: Das ist im Prinzip schon richtig, weil der Klimawandel für die stärkeren Temperaturschwankungen verantwortlich ist. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das in diesem Fall eine entscheidende Rolle gespielt hat. Der Felssturz ereignete sich auf einer Höhe zwischen 2400 und 2600 Meter, die Permafrostareale aber liegen in der Regel etwas höher.

SZ: Ist beim Stichwort Klimawandel nicht ohnehin Vorsicht angebracht? Felsstürze hat es in den Dolomiten doch schon immer gegeben.

Nössing: Es stimmt, wenn Sie vor einer hohen Dolomitenwand stehen, dann haben Sie am Fuß immer eine Geröllhalde, ein sogenanntes Kar, das sich durch herabfallendes Gestein gebildet hat. Kleinere Felsstürze sind bei Carbonatgestein normal. Es steht allerdings noch eine Studie aus, inwiefern die Häufigkeit in den letzten Jahren doch zugenommen hat.

SZ: Ihr eigener Eindruck?

Nössing: Meine geologische Laufbahn dauert nun schon mehr als drei Jahrzehnte, und die Felsstürze der letzten Jahre, von 2004 bis jetzt, sind die größten, die ich in dieser Zeit erlebt habe. Im August 2004 hatten wir eine Steinlawine am Thurwieser in der Ortlergruppe, im selben Jahr ist eine Felsnadel der Cinque Torri in den Dolomiten zusammengebrochen (bei Cortina d'Ampezzo, d. Red.), und im vergangenen Sommer hatten wir den Felssturz an der Eiger-Ostflanke. Da liegt ein Zusammenhang mit dem Klimawandel natürlich nahe.

SZ: Messner hat außerdem gesagt, die Folgen seien in den Bergen nicht mehr aufzuhalten - egal, welche Maßnahmen zum Klimaschutz man ergreifen werde. Sehen Sie das ähnlich pessimistisch?

Nössing: Die Klimatologen sagen ja, dass der Grundstein der heute spürbaren Klimaveränderungen vor 30 Jahren gelegt wurde. Es spielen aber natürlich viele Ursachen eine Rolle. Dass in 30 Jahren alle Gletscher geschmolzen und die Permafrostareale verschwunden sind, halte ich für eine gewagte These.

SZ: Erhalten Sie Warnsignale von Messstationen, dass ein Felssturz möglicherweise bevorsteht?

Nössing: Im Fischleintal hat es frühe Warnsignale meines Wissens nicht gegeben. Natürlich gibt es zahlreiche Messstationen, aber diese Systeme sind noch in der Entwicklung, die Auswertung der Daten ist schwierig. Man muss sehr genau wissen, wie sich welches Gestein unter bestimmten Bedingungen verhält, und so weit sind wir noch nicht. Wir haben eine Permafroststudie in Auftrag gegeben, die im nächsten Jahr fertig wird - von ihr erhoffen wir uns nähere Erkenntnisse. Glücklicherweise hat der Hüttenwirt der Talschlusshütte am Freitag genau richtig reagiert: Er hat gesehen, dass es am Einser zu vermehrtem Steinschlag kam und die Wanderer schon am Parkplatz aufgehalten.

SZ: Herrscht in den Sextener Dolomiten bis auf Weiteres Alarmstufe Gelb?

Nössing: Kleinere Steinlawinen sind seit Freitag noch heruntergekommen, die betroffenen Wanderwege bleiben vorerst gesperrt. Der Berg muss sich nach diesem Großereignis erst mal beruhigen.

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