Hauptprozess im Fall Staufen:Eine Mutter, die ihr Kind verkaufte

  • Vor dem Freiburger Landgericht hat der Prozess gegen die Mutter eines Jungen begonnen, der von vielen Männern missbraucht wurde.
  • Die Mutter soll dem Lebensgefährten geholfen haben, den eigenen Sohn an Männer zu verkaufen.
  • Die Anklage der Staatsanwältinnen schildert die monströsen Details.

Von Ralf Wiegand, Freiburg

"Blinder Fleck". So haben die Behörden Michaela Berrin T. genannt, als sie gefragt wurden, warum sie denn diesen Jungen nicht früher haben retten können. Michaela Berrin T., 48, ist die Mutter jenes Jungen aus dem südbadischen Staufen, der von ihr selbst, ihrem Lebensgefährten und vielen Männern etliche Male missbraucht worden ist, vergewaltigt, verkauft, erniedrigt, geschlagen, gefilmt, gedemütigt.

Missbrauch von Kindern passiert häufiger, als man das wahrhaben möchte. Aber dass die Mutter aktiv mitwirkt, sich selbst an ihrem eigenen Kind vergeht, es für Kunden regelrecht vorbereitet, es animiert, alles mitzumachen - und dabei zusieht, wenn sie nicht sogar selbst Hand anlegt?

Es war den Behörden bekannt, dass Berrin T., 48, mit einem vorbestraften pädokriminellen Mann zusammenlebte, mit Christian L., neun Jahre jünger. Sie hatte ihren Sohn damals vorrübergehend abgeben müssen. Der leibliche Vater des Kindes ist schon lange tot. Dem neuen Freund traute man viel zu - aber dass sie, die leibliche Mutter, mitmachen würde, kam niemandem in den Sinn. Der "blinde Fleck". Nun stehen sie beide vor Gericht, Michaela Berrin T. und ihr Lebensgefährte Christian L.. Der galt als schwer rückfallgefährdet, ihm war der Umgang mit Jugendlichen und Kindern verboten, als er T. und deren Sohn kennenlernte und sogar zu ihnen zog. Das Familiengericht und später auch noch eine Berufungsinstanz gingen davon aus, dass diese Mutter ihr Kind schon beschützen würde, notfalls auch vor L..

Heute weiß man: Sie tat es nicht. Vor dem Landgericht in Freiburg geht es um schwerste Verbrechen, die T. und L. gemeinschaftlich begangen haben sollen. Schwerster sexueller Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung, Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie - um nur die gravierendsten Taten zu nennen. Vor dem Justizgebäude bildet sich schon morgens um sieben, zwei Stunden vor Verhandlungsbeginn, eine kleine Menschentraube. Später stellt sich auf dem Gehweg gegenüber eine Mahnwache auf, fordert "Schutz vor Wiederholungstätern".

Die Dimension der Taten, die L. und T. vorgeworfen werden, ist längst bekannt. Zwei Urteile gegen Kunden dieses Paares sind schon ergangen. Sie mussten für zehn beziehungsweise acht Jahre in Haft. Christian L. hat in diesen Verfahren ausgesagt und gestanden. Vier weiteren Männern, die auf das Angebot im Darknet eingegangen sind, wird ebenfalls der Prozess gemacht. Ein Verfahren in Freiburg gegen einen 37-jährigen Schweizer läuft bereits, ein weiteres gegen einen 44-Jährigen aus Schleswig-Holstein hat ebenfalls an diesem Montag in Karlsruhe begonnen.

Und nun: der blinde Fleck. Michaela Berrin T. nimmt ihren Weg in den Saal des Freiburger Landgerichts durch ein Spalier von Kameras, sie blickt zu Boden, das Haar ist schütter, an manchen Stellen ist der Kopf beinahe kahl, die Haut ist fahl, die kleine, stämmige Frau sieht deutlich älter aus als sie ist. Während Christian L. gepflegt, mit Ziegenbärtchen und akkurater Frisur, modern gekleidet und selbstbewusst auf der Anklagebank Platz nimmt, sackt seine mutmaßliche Mittäterin mehr zusammen, als dass sie sich setzt. Kauert, so lange sie fotografiert werden darf, immer noch gesenkten Blickes auf dem Stuhl, während L. offensiv in die Kameras blickt, den Saal abscannt, womöglich nach bekannten Gesichtern.

Das Entsetzen in der Region ist noch immer groß. Die Umgebung von Freiburg ist eher ländlich, viele Menschen fragen sich, ob sie nicht hätten etwas mitbekommen müssen, wenn sich solch ein Riss in ihrer Idylle auftat.

Zwei Staatsanwältinnen die Anklage verlesen, sie wechseln sich mehrmals ab. Michaela Berrin T. liest ungerührt mit, sie hat wie L. den Text vor sich. Auch L. folgt dem Stand der Anklage mit Hilfe einer Lesebrille. Tat um Tat schildern die Anklägerinnen, was sie ermittelt haben, in dem sie all den gefilmten Dreck anschauen und protokollieren mussten. Zunächst von Februar 2015 an die Missbräuche eines damals dreijährigen Mädchens. Die Frau hat laut Anklage aktiv mitgemacht, wenn Videos vom Missbrauch dieses Kindes angefertigt wurden. Sie hat auch mitgemacht bei im Frühsommer 2015 beginnenden Missbräuchen ihres eigenen Sohnes durch L., genauso wie bei den vielfachen Missbräuchen des Jungen durch die fremden Männer, die L. aus dem Darknet anschleppte. Auf manchen Filmen ist sie selbst als Handelnde zu sehen.

Michaela Berrin T., so schildert es die Anklage, habe von ihrem Lebensgefährten regelrechte Regieanweisungen bekommen und diese auch umgesetzt. Die Einzelheiten der insgesamt festgestellten 58 Einzeltaten sind kaum zu ertragen. Sie vorzulesen, dauert mehr als 100 Minuten, sie rechtlich zu würdigen, fast zwei weitere Stunden. Allein ein Mann aus Spanien hat den Jungen, der heute neun Jahre alt ist, nachweislich 15 Mal schwer missbraucht, alle Fälle werden erwähnt. Der Spanier zahlte gut, grob überschlagen mehr als 60 000 Euro insgesamt.

Er war offenbar die treibende Kraft, sie zog bereitwillig mit

Das Bild, das die beiden Staatsanwältinnen von Michaela Berrin T. entwerfen, ist nicht das Bild einer Mutter. Es ist das Bild einer Täterin, die sich entschlossen hat, ihr Kind aufzugeben, zu brechen und zu verkaufen. Für Geld? Für die Liebe dieses jüngeren Mannes? Für die eigene, perverse Lust? Das müsste Michaela Berrin T. selbst erklären, bislang hilft sie aber offenbar wenig bei der Aufklärung.

Sie sei ihm hörig gewesen, hatte L. in einem anderen Verfahren gesagt, sie habe getan, was er verlangte. Sie billigte laut Staatsanwaltschaft alles, was L. tat, sie manipulierte aber auch selbst und oft an den Kindern. Ihrem eigenen Kind drohte sie mit L. gemeinsam, es käme ins Heim, wenn es nicht täte, was die beiden verlangten.

Auch an diesem Montag sagt L. aus, öffentlich. Er schildert T. als starke Frau, sie sich von niemandem ewas habe sagen lassen. Er habe sie auch ein Stück weit unter Druck gesetzt. Dem Missbrauch des Jungen habe sie unter der Bedingung zugestimmt "dass ich ihm auf keinen Fall wehmachen darf". L. sagt, er sei schon die treibende Kraft gewesen. Sie habe zwar auch mal gesagt, dass sie sexuelles Interesse an Kindern hätte und das mal ausprobieren wollte, aber er - Christian L. - glaubt, dass sie das gesagt hat, um ihm zu gefallen. Damit er sie nicht verlasse.

Die Missbräuche dauerten bis kurz vor der Festnahme des Paares am 16. September vergangenen Jahres. Ein anonymer Tippgeber hatte sich zum Schein auf ein Treffen mit dem Jungen eingelassen. Als das Paar mit dem Jungen am Bahnhof in dem nahe Freiburg gelegenen Ort Münstertal auf den Zug mit dem neuen Kunden wartete, der um 14.30 Uhr eintreffen sollte, kamen stattdessen Beamte des Landeskriminalamts. Das Paar ging in U-Haft, der Junge in eine Pflegefamilie.

Die Männer zahlten im Einzelfall bis zu 10 000 Euro

Von Anfang an habe Berrin T. gewusst, so schildert es die Anklage, auf wen sie sich da eingelassen hatte: Christian L. war vorbestraft wegen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen in 23 Fällen und eines Kindes in einem Fall, er war vier Jahre und drei Monate im Gefängnis gewesen, er stand unter Führungsaufsicht, sein Umgang mit Kindern war nur sehr eingeschränkt erlaubt.

Das alles habe Berrin T. gewusst. Christian L. hatte ihr angeblich seine ganze pädophile Voreschichte erzählt und ihr auch gesagt, dass er Interesse an ihrem Sohn habe. Nur wenn sie das akzeptiere, würde er eine Beziehung eingehen. "Nach kurzer Überlegung", so die Staatsanwaltschaft, habe sie das akzeptiert.

Die Videos, die beide von den Kindern erstellten, nutzen Christian L . und Berrin T., um im Darknet - ähnlich wie das vor Kurzem aufgeflogene Kinderporno-Netzwerk "Elysium" - wiederum neues kinderpornografisches Material zu tauschen. Zusätzlich machten sie auf Initiative von Christian L. den Jungen auf andere, unfassbare Weise zur Ware: Sie verkauften ihn, im Einzelfall für bis zu 10 000 Euro, in anderen Fällen auch mal für nur 200 Euro, an Männer. Die reisten aus Spanien, aus der Schweiz, aus Schleswig-Holstein an und missbrauchten das Kind - entweder in der Wohnung von T. oder irgendwo im Freien.

Christian L. firmierte im Darknet unter den Namen "Papa mit Sohn" oder "Geiler Daddy". All das, so die Staatsanwaltschaft, wusste, billigte und unterstützte Michaela Berrin T. Sie bereitete demnach ihr Kind auf die Treffen mit den Männern sogar vor, stellte etwa Fesselmaterial bereit - und war auch bei den Vergewaltigungen dabei. .

Christian L. hatte seine spätere Freundin und deren Sohn Ende 2014 oder Anfang 2015 bei der Tafel in Staufen kennengelernt, einer Essensausgabe für arme Menschen. Beide waren arbeitslos, beide lebten in prekären Verhältnissen. Die alleinerziehende T. musste oft die Wohnung wechseln, der leibliche Vater ihres Sohnes war gestorben, als dieser erst drei Monate alt war. Christian L. war zuletzt in einem Männerwohnheim gemeldet. Nachdem er mit Berrin T. zusammengekommen war, nahm er schnell die Rolle des Familienoberhaupts ein, er ließ sich von ihrem Sohn Papa nennen. Auf einem der Videos, auf denen der Junge zu sehen ist, sagt dieser allerdings zu einem Mann: "Das ist nicht mein Vater. Mein Vater ist gestorben." .

Michaela Berrin T., die bleich, ungepflegt, stumpf im Gericht sitzt, war früher offenbar eine andere Person. Es ist ja nicht so, dass ihr Verhältnis zu dem pädokriminellen Mann nicht aufgefallen wäre. Ihr Sohn war sogar vorübergehend aus der Familie genommen worden - doch T. ging rechtlich dagegen vor. Sie muss so überzeugend gewesen sein, dass Jugendamt und zwei Familiengerichte letztlich der Ansicht waren, sie würde ihr Kind vor dem als gefährlich eingestuften Mann beschützen wollen und können. Was für ein fataler Irrtum.

Fragen an die Behörden müssen neu gestellt werden

Wenn man die Frau im Gericht erlebt, wenn man hört, wie primitiv sie ihr Kind beleidigt haben soll, in welcher brutalen, ordinären Sprache, und wenn man liest, was jene Anwältin, die das missbrauchte Kind vor Gericht vertritt, über Michaela Berrin T. sagt, müssen alle Fragen an die Behörden neu gestellt werden. "Sie ist sicher nicht besonders klug, sie kann sich schlecht ausdrücken", sagte die Opfervertreterin Katja Ravat vor dem Prozess dem Stern. Die Mutter trage bisher so gut wie nichts zur Aufklärung der Taten bei.

Diese Frau soll "wie eine Löwin" um ihr Kind gekämpft haben und "sehr überzeugend" gewesen sein, wie es auch in Gesprächen der SZ gegenüber stets geheißen hatte? Dieser Frau hatte das Familiengericht Freiburg vertraut, das Berufungsgericht in Karlsruhe auch? Die Lügen, mit denen sie ihren unter Beobachtung stehenden Freund zu schützen versuchte, sind in diesem Verfahren ebenfalls Teil der Anklage.

Vielleicht fällt an den zehn Verhandlungstagen doch noch Licht auf diesen "blinden Fleck". Michaela Berrin T. kündigte an, aussagen zu wollen - allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Staatsanwaltschaft strebt lange Haftstrafen und bei beiden Angeklagten die Unterbringung in Sicherungsverwahrung an. Ein Urteil könnte Ende Juli fallen.

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