Stalking:Dein Leben, mein Leben

Lesezeit: 3 min

Prominente wie Veronica Ferres leiden ebenso unter Stalkern wie der nette Herr Kisker aus der Nachbarschaft - und das Gesetz hilft ihnen bisher nur ungenügend. Das soll sich nun ändern.

Von Oliver Klasen

Uwe Kiskers Handynummer steht einfach so im Internet, auf seiner Homepage sofort zu finden. "Aber dat geht nich' anders", sagt Kisker, dem man seine Herkunft aus dem Ruhrgebiet auch am Telefon anhört. Kisker, 55, moderiert Schlagerpartys, dreht Industriefilme für einen Bagger-Hersteller, außerdem berichtet er für das lokale Fernsehen über Kreisliga-Fußballspiele; in Dortmund sei er überall bekannt und für Anfragen müsse er ständig erreichbar sein, sagt er.

Nur: Uwe Kisker ist Stalking-Opfer. Er kennt seinen Stalker, er ist sicher, dass es ein Mann ist, der ganz in der Nähe wohnt und ihn seit mehr als 25 Jahren terrorisiert. Kisker hat belastendes Material gesammelt: Droh-Faxe, Droh-Mails, außerdem eine Auswertung der Telekom, die ergeben hat, dass in drei Wochen 3100 Anrufe eingingen von demselben Anschluss.

Anfangs wollte der Stalker Kisker die Frau ausspannen, doch mit der Zeit konzentrierte er sich auf ihn. Kisker hat getan, was Experten in solchen Fällen raten: Er hat alles dokumentiert, er hat seiner Frau und den Kindern Geheimnummern besorgt, er hat sich mit seinem Anwalt beraten, Anzeige erstattet und sich manchmal so gefühlt, als mache er die Arbeit, für die eigentlich die Polizei zuständig wäre. Er hat den Aktenordner mit dem Material zur Staatsanwaltschaft geschleppt, doch eines hat er nicht getan: sein Leben aufgegeben. Weil er nicht wollte, dass der Stalker die Macht über sein Leben gewinnt, hat er seinen Job behalten und ist nicht weggezogen aus dem Dortmunder Stadtteil, in dem er lebt. Und möglicherweise war genau das ein Grund dafür, dass der Stalker bisher nicht ins Gefängnis musste.

Zwar ist Nachstellen bereits jetzt eine Straftat, allerdings greift das Gesetz nur, wenn es dem Täter tatsächlich "gelingt", sein Opfer derart mürbe zu machen, dass es zum Beispiel den Wohnort wechselt. Opferverbände sehen darin eine gefährliche Gesetzeslücke. An diesem Mittwoch will die Regierung deshalb eine Verschärfung des Stalking-Gesetzes beschließen.

"Zum ersten Mal seit Langem sehe ich ein bisschen Licht am Horizont und hoffe, dass es endlich eine Möglichkeit gibt, dass der Kerl einen auf den Deckel bekommt", sagt Kisker. In den vergangenen Monaten habe er "einigermaßen Ruhe gehabt". Nur drei Anrufe in Abwesenheit seien nachts eingegangen. Noch immer wisse er aber nicht, was bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft herausgekommen ist, die seit anderthalb Jahren laufen.

19 000 Stalking-Fälle verzeichnet die Kriminalstatistik für das Jahr 2015, die Dunkelziffer liegt weit höher. Mit der Thematik nicht vertraute Polizisten tun das Nachstellen im Gespräch mit Betroffenen als privaten Konflikt ab. "Der will Ihnen nur Angst machen", das war ein Satz, den auch die Journalistin und Autorin Silvia Meixner hörte, als sie ihren Fall zur Anzeige brachte. Der Mann, der ihr seit mehr als vier Jahren nachstellt, legte unter anderem eine Webseite an, auf der sie als Prostituierte präsentiert wurde - mit Angabe von Adresse und Telefonnummer. Obwohl sie, genau wie Uwe Kisker, nach kurzer Nachforschung herausfand, wer hinter den Anrufen, Verleumdungen und Drohungen steckte, wurde der Mann bis heute nicht bestraft. Über ihre Erfahrungen hat Meixner ein Buch geschrieben, das anderen Stalking-Opfern Hilfe bieten soll.

Enttäuschte Liebe und eine als ungerecht erlebte Zurückweisung sind die wohl häufigsten Motive beim Stalking. In einigen Fällen gab es zuvor tatsächlich eine Beziehung, in anderen Fällen bestand sie nur in der Wunschvorstellung des Stalkers. Es gibt Menschen, die ihrem Anwalt oder Arzt nachstellen, weil sie sich falsch vertreten oder behandelt fühlen. Eine weitere Form ist Stalking, bei dem die Nähe eines Prominenten gesucht wird. So wurden zum Beispiel die Schauspielerinnen Franka Potente und Veronica Ferres bereits von aufdringlichen Fans bedrängt. "Stalker verfügen über ein sehr geringes Selbstwertgefühl und eine leichte Kränkbarkeit. Sie können ihre Impulse nicht kontrollieren und sind oft von Rachegedanken geleitet", sagt Wolf Ortiz-Müller von der Berliner Beratungsstelle "Stop Stalking", die sich sowohl an Opfer als auch an Täter richtet.

Die Gesetzesänderung sehen Betroffene und Experten grundsätzlich positiv, allerdings müsse der Opferschutz besser werden. "Es ist völlig sinnlos, dort anzusetzen, wo ein Opfer schon in höchster Verzweiflung leben muss und sich nicht mehr aus dem Haus traut", sagt Autorin Meixner. "Allein auf Strafverschärfung zu setzen ist nicht klug", glaubt auch Ortiz-Müller. Nötig seien ein gutes Betreuungsnetzwerk und eine frühzeitige Täteransprache, wie das zum Beispiel in Bremen der Fall ist. Dort werden sofort professionelle Beratungsstellen eingeschaltet, sobald ein Stalking-Fall angezeigt wird. Täter und Opfer werden zu getrennten Gesprächen eingeladen. "Das signalisiert beiden, hier kümmert sich jemand um den Fall. Das Opfer fühlt sich in seiner Angst ernst genommen, und der Täter merkt, dass er nicht unbehelligt agieren kann", sagt Ortiz-Müller. Außerdem bekommt der Tatverdächtige in jedem Fall Besuch von der Polizei, auch, wenn es noch nicht zu einer Straftat gekommen ist. Die sogenannte Gefährderansprache gilt als sehr erfolgreich, weil sie einen Großteil der Stalker zumindest vorübergehend abschreckt.

Wie aber definiert der Gesetzgeber nun Stalking genau? Bisher sind Auflauern, Telefonterror, Datenmissbrauch und Drohungen explizit genannt. Smartphones und soziale Medien aber verschärfen das Problem. "In Zeiten des Cyber-Stalkings ist es mit einem Wohnortwechsel nicht getan", sagt Buchautorin Meixner. "Da haben die Täter ganz andere Möglichkeiten, ihrem Opfer das Leben zur Hölle zu machen." Sie sagt das auch aus eigener Erfahrung.

© SZ vom 13.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: