Stärke von Winterstürmen:"Niklas" vs. "Kyrill"

Stärke von Winterstürmen: Herrsching bei München: Der Wind tobt. Die Frisur auch.

Herrsching bei München: Der Wind tobt. Die Frisur auch.

(Foto: AFP)
  • Schwächer als Kyrill im Jahr 2007, ungefähr so stark wie Emma 2008 - so schätzen Meteorologen die Stärke des Sturms Niklas ein.
  • Niklas war zwar ein heftiger Sturm, aber noch kein Orkan, sagen die Experten. Die Schäden hätten sich auch deshalb in Grenzen gehalten, weil rechtzeitig gewarnt worden sei, so der Deutsche Wetterdienst.
  • Experten bei den großen Rückversicherungen arbeiten jetzt daran, die Schäden zu beziffern.

Von Oliver Klasen und Matthias Huber

Bei der Frage, wo Niklas einzusortieren sei, in der langen Liste der größten Stürme, die über Deutschland in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hinweggefegt sind, zögert Thomas Sävert kurz. "Am ehesten würde ich Niklas mit Emma vergleichen", sagt der Meteorologe, der beim in Bochum ansässigen privaten Wetterdienst Meteomedia tätig ist.

Emma war ein Sturm, der Ende Februar und Anfang März 2008 über Deutschland zog. Auf dem Wendelstein in den bayerischen Alpen wurde damals ein Spitzenwert von 222 Kilometer in der Stunde gemessen, im Flachland gab es verbreitet Windböen von 100 bis 130 Kilometern pro Stunde. 14 Menschen kamen ums Leben und die Versicherungen mussten einen Gesamtschaden von etwa einer Milliarde Euro regulieren.

Auch wenn es noch zu früh ist, eine richtige Bilanz zu ziehen: Was die Zahl der Opfer, die Windgeschwindigkeiten und vermutlich auch, was die Höhe der Schäden angeht, war Niklas ähnlich dramatisch wie Emma. Am Dienstag war die Karte der Unwetterzentrale zum ersten Mal seit Jahren komplett rot gefärbt. Im Bayerischen Wald, im Schwarzwald und an der Nordseeküste gab es auch einige violette Stellen. Damit wirkt Niklas sogar stärker als Emma: Im Jahr 2008 gab es auch Gebiete, die kaum vom Sturm erfasst wurden. "Ein solches Bild wie nun gab es seit Kyrill nicht mehr", sagt Sävert. Damals, im Jahr 2007, seien noch ein paar mehr Stellen violett gewesen.

Auf der Unwetterkarte steht rot für die zweithöchste Warnstufe, bei der im Flachland Windgeschwindigkeiten zwischen 100 und 130 Kilometer in der Stunde, auf dem Bergen sogar zwischen 120 und 150 Kilometer herrschen. Oberhalb dieser Werte gilt die Stufe violett, die ein extremes Unwetter anzeigt - wie bei Kyrill. (Die Kriterien der Warnstufen finden Sie hier, wenn Sie nach unten scrollen).

"Kyrill spielt in einer anderen Liga"

"Wir gehen davon aus, dass der Sturm Niklas deutlich weniger Schäden verursacht hat als der Sturm Kyrill", sagte ein Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft in Berlin. Damals mussten die Versicherer mehr als zwei Milliarden Euro bezahlen. Auch wenn viele Schadensmeldungen erst nach dem Osterferien eintreffen dürften, meldet die Much Re, der Marktführer unter den deutschen Rückversicherungen, in einer ersten vorsichtigen Einschätzung, dass Niklas "kein sehr ungewöhnliches Ereignis" war.

"Die Lage ist vermutlich nicht so dramatisch", sagt auch Konrad Prielmeier von den bayerischen Staatsforsten. Zwar habe es in Südbayern größere Schäden gegeben als im Norden des Landes. Der Windbruch, also die Zahl der umgestürtzten Bäume, sei jedoch in keinem Fall so stark wie bei Lothar im Jahr 1999 oder wie bei Kyrill.

"Kyrill spielt schon in einer anderen Liga", sagt auch Meteomedia-Wetterexperte Sävert. Ein Indikator dafür, wie stark ein Sturm ist, sind auch die Unwetterkarten, die der Wetterdienst seit 2003 herausgibt. Mit einem Farbsystem warnen die Experten der Unwetterzentrale vor Starkregen, Schneefall, Glatteis, Gewitter, Hitze, Kälte - und wie im Fall von Niklas - vor Sturm.

Niklas als verspäteter Wintersturm

Ungewöhnlich an Niklas ist - neben der Tatsache, dass er flächendeckend Schäden anrichtete - das späte Auftreten. "Ein solches Sturmtief am 31. März ist selten", sagt Sävert. Trotzdem findet er die Bezeichnung "Orkan Niklas" etwas übertrieben. Er spricht lieber von einem orkanartigen Sturm. Ein Orkan liegt nämlich nach gängiger Definition erst ab Windstärke zwölf vor, also ab 118 Kilometer in der Stunde. "Diese Geschwindigkeit gab es zwar in Böen, aber im Mittel wurden zum Beispiel in München etwas mehr als 100 km/h gemessen", so der Meteorologe.

Unwetter - Sturm - Hagen

Niklas sorgte für große Behinderungen auf den Straßen: Zahlreiche lkw, wie hier bei Hagen in Nordrhein-Westfalen wurden durch den Wind zur Seite gedrückt und gerieten ins Schleudern.

(Foto: dpa)

Niklas ist nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) dennoch einer der stärksten Stürme der vergangenen 30 Jahre, das gelte sowohl für die Spitzen- als auch für die Durchschnittswerte. Dass sich die Schäden trotzdem in Grenzen halten, liegt dem DWD zufolge daran, dass die betroffenen Krisenstäbe und Katastrophenschutz-Verantwortlichen rechtzeitig benachrichtigt worden seien, Bereits am Samstag, 72 Stunden vor Niklas' Eintreffen, seien Warnungen vor einer "schweren Sturmlage" herausgegeben worden, sagt Andreas Friedrich, der Tornadobeauftragte des DWD. "Die genaue Zugbahn war zu diesem Zeitpunkt zwar noch unklar", so der Meteorologe, "aber bereits am Montagvormittag konnten wir betroffene Regionen abgrenzen, am Abend auch einzelne Landkreise."

Der Zeitpunkt und die Genauigkeit der Warnungen habe sich im üblichen Rahmen bewegt. Wenn sich ein Orkantief über dem Festland bilde, sei die Zugbahn etwas schwerer vorauszusagen als auf dem Meer, wo es keine Berge und Täler gibt, die den Wetterverlauf noch schwer vorhersehbar beeinflussen können. Deshalb seien aufziehende Hurrikane beispielsweise in den USA manchmal schon Tage vorher zu erkennen. Aber auch dort funktioniert die Vorhersage nicht immer einwandfrei. "Denken Sie an den Blizzard, der vor einigen Monaten New York treffen sollte und die Stadt schon im Vorfeld lahmgelegt hatte", sagte Friedrich. "Der Sturm braute sich tagelang über dem Meer zusammen - und zog dann knapp an der Stadt vorbei."

Der "Fußabdruck" eines Wintersturms

Für die Experten bei der Munich Re geht es in den kommenden Tagen darum, die Schäden genauer zu beziffern. "Für eine erste, schnelle Schadenseinschätzung kurz nach einem Sturm brauchen wir einen sogenannten Footprint. In diesen fließen Wetterdaten aus ganz Europa ein. Allerdings rechnen wir Werte von hohen Bergen wie etwa von der Zugspitze heraus. Sie würden das Ergebnis verzerren, weil wir dort ohnehin so gut wie keine Haftungen haben", sagt Diplom-Meterologe Thomas Hofherr, der bei dem Rückversicherer in der Abteilung Georisks arbeitet und Winterstürme, tropische Stürme sowie Frost- und Hagelschäden abschätzt.

Dieser "Footprint", also das Schadenspotential eines Sturms, wird dann mit computergestützten Modellen für Winterstürme verglichen. In diese Modelle, die von speziellen Agenturen kommen, fließen auch historische Daten und numerische Wettermodelle ein. Die Experten können damit beurteilen, wie hoch die Schäden bei vergleichbaren Ereignissen in der Vergangenheit waren. Natürlich wird auch die Steigerung der Sachadensumme, die sich durch die Inflation ergibt, mitberücksichtigt.

Für die Rückversicherer sind bei ihrer Schadensabschätzung vor allem drei Fragen wichtig: Wieviele Stunden oder Tage zog der Sturm übers Land? Fegte der Wind über Berge und dünn besiedelte Gebiete oder waren Großstädte betroffen? Und: Gab es zusätzlich zum Sturm noch andere Unwetterphänomene?

"Solche Ereignisse beeinflussen die Schadenshöhe", sagt Munich Re-Experte Hofherr. "Wichtig ist, ob in einer bestimmten Region zusätzlich zum Sturm noch Starkregen niedergegangen ist. Bei Kyrill war das zum Beispiel in Düsseldorf der Fall. Deshalb waren die Schäden damals vergleichsweise hoch."

Kyrill hat die deutschen Versicherer im Jahr 2008 mehr als zwei Milliarden Euro gekostet. Die Munich Re will derzeit noch nicht sagen, in welcher Größenordnung sich die Zahlungen für Niklas bewegen. Doch eines steht fest: So teuer wie bei Kyrill wird es sicher nicht werden.

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