Staatsgewalt auf Social Media:Hier spricht die @Polizei

24-Stunden- Twitter zu allen Einsätzen

So gut sind natürlich nicht alle Social-Media-Teams ausgestattet: Polizisten im Leitstand im Berliner Polizeipräsidium

(Foto: dpa)

Hundefotos, Fahndungsaufrufe, Krisenkommunikation: Polizeiwachen twittern und posten zunehmend auf Facebook, nicht immer mit optimalem Ergebnis. Wie ernst nehmen sie ihren Online-Auftritt?

Von Jana Anzlinger

Vor einem Jahr trug sie noch Uniform und Waffe. Jetzt steht Nadine Hofmann in Kleid und Birkenstock-Sandalen im Ingolstädter Polizeipräsidium und probiert ein neues Smartphone-Stativ aus. Die 24-Jährige ist Polizistin. Sie betreibt mit drei Kollegen die Accounts der Polizei Oberbayern Nord. 1532 Follower hat die Dienststelle auf Twitter, 5813 Abonnenten auf Facebook.

Dass Hofmann jetzt viel vor ihrem Computer sitzt und nicht im Streifenwagen, hat mit Joachim Herrmann zu tun. Bayerns Innenminister ordnete nach dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum an, dass alle zehn Präsidien des Freistaats Social-Media-Teams einrichten.

Seit dem Amoklauf ist mehr als ein Jahr vergangen. In Internetzeit fühlt es sich wie ein Jahrhundert an. Damals war es noch außergewöhnlich, dass die Polizei Social Media nutzt, um eine Krisensituation live an die Bürger zu kommunizieren. Die Münchner Polizei bekam für ihren Twitter-Auftritt viel Lob, die Informations-Strategie insgesamt galt als vorbildlich. Klar, dass andere das nachmachen wollten: Deutschlandweit gingen nach dem Amoklauf Polizeiwachen online. Heute verwalten BKA, Bundespolizei, Präsidien und Dienststellen mehr als 200 Accounts auf Twitter und Facebook.

Den Kanälen der Münchner, Hamburger und Berliner Ordnungshüter folgen Hunderttausende Nutzer. Zeit, sich einmal anzusehen, wie die Staatsgewalt in dieser neuen Öffentlichkeit agiert - und wie ernst sie den Auftritt nimmt.

Süße Hundewelpen sind selbstverständlich

"Dass die Polizei in den Sozialen Netzwerken ist, ist eher gut", sagt Katharina Kleinen-von Königslow. Sie erforscht an der Uni Hamburg, wie mediale Inhalte die Öffentlichkeit beeinflussen. Unter anderem hat sie beobachtet, dass Menschen die Ordnungshüter online als besonders bürgernah wahrnehmen.

Darin sieht Kleinen-von Königslow eine Chance: "Früher hatten die meisten Menschen nur Kontakt zur Polizei, wenn sie in eine Verkehrskontrolle geraten sind oder ein Verbrechen miterlebt haben", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin. Das schlechte Image, das deshalb entstand, könnten die Beamten jetzt durch eine ansprechende Präsentation im Netz korrigieren.

Was das bedeutet, zeigt ein Blick auf die Timelines. Zwei willkürlich ausgesuchte Wochen im Sommer: Das Münchner Präsidium verlinkt fünfmal auf die eigenen Pressemeldungen, berichtet über drei konkrete Einsätze und sucht nach Zeugen.

Die restlichen drei Tweets sind Öffentlichkeitsarbeit: ein Foto von der Innenstadt mit dem Zusatz "Es ist wieder #Sommer in der Stadt!". Eine Spruchtafel mit einem Polizistenwitz. Zwei Beamtinnen haben sich dabei fotografieren lassen, wie sie "Fundhund Brownie" streicheln.

Die Beispiele zeigen, wie sehr die Grenze zwischen Polizeiarbeit und PR online verschwimmt. In Hamburg sieht es ähnlich aus: Nur jeder vierte Tweet thematisiert einen Einsatz. Ein weiteres Viertel warnt vor Staus oder Straßensperren, ein Achtel sucht nach Zeugen oder gibt Tipps, etwa gegen Trickbetrüger. Die größte Gruppe: Öffentlichkeitsarbeit. Selbstverständlich bilden auch die Hamburger zwei süße Hundewelpen ab.

Tierfotos und Witze - macht sich die Polizei auf Twitter lächerlich? Keineswegs, findet Polizistin Hofmann: "Wir wirken authentisch." Das "Auflockern" der Timeline werde von den Bürgern eher gelikt als kritisiert.

Problematisch sind vor allem unüberlegte Krisen-Posts

Die meisten Abonnenten scheinen dem lockeren bis humorvollen Ton der Beamten tatsächlich etwas abzugewinnen. Und darauf kommt es am Ende an. "Klar schrumpft die Distanz zwischen Bürgern und Staatsgewalt, aber vielleicht sollte diese Distanz gar nicht so groß sein", sagt Forscherin Kleinen-von Königslow.

Trotzdem findet sie die Polizeiarbeit auf Twitter nur "eher gut", nicht "total gut". Und das liegt nicht an den kleinen Witzeleien, sondern vor allem an der Krisenkommunikation. Zum Beispiel sei es im Ernstfall zwar hilfreich, wenn die Deutungshoheit über eine Situation bei den Ermittlern liege und nicht etwa bei Boulevardmedien. Aber nur, wenn diese Deutungshoheit nicht missbraucht werde.

Ein Beispiel aus Berlin: "Lebensgefahr für unsere Kolleg." twittert die Polizei nach der Räumung des Kiezladens Friedel 54 im Juni. Die Hausbesetzer hätten den Handknauf einer Kellertür unter Strom gesetzt. "Zum Glück haben wir das vorher geprüft." Was der Tweet behauptet, stimmt nicht. In den folgenden Tagen dementiert die Polizei ihn mehrfach. Tatsächlich, erklärt sie, ragte ein Stromkabel aus dem Türspalt, aber es war nicht mit dem Knauf verbunden und vor allem floß weder im Kabel noch irgendwo an der Tür Strom.

Die Berliner Polizisten haben mit ihrem Ursprungstweet mehrere Hunderttausend Menschen erreicht. Ihre Kollegen im baden-württembergischen Aalen haben es im Sommer zu ähnlicher Reichweite gebracht - obwohl der Aalener Account nur etwa 9000 Abonnenten auf Facebook hat. Die lasen am 16. Juli einen Post, der mit "+++ EILMELDUNG +++" und "+++ Bitte TEILEN +++" markiert war.

Fast 4000 Nutzer gehorchten und teilten die Meldung, in der es hieß, während eines Straßenfests in Schorndorf hätten sich "ungefähr bis zu 1.000" Menschen versammelt. Es ist die Rede von "Personen mit Migrationshintergrund", Flaschenwürfen und belästigten Festbesucherinnen. Was Facebook-Nutzer und später Journalisten daraus machten: Ein Mob von 1000 Ausländern hat randaliert und Frauen belästigt. Was wirklich geschah: Im Schlosspark feierten etwa 1000 Menschen. Als Polizisten in eine Schlägerei zweier rivalisierender Gruppen eingriffen, wurden Flaschen auf die Beamten geworfen. Alle anderen Straftaten geschahen im Laufe der Nacht irgendwo in der Stadt, nicht im Schlosspark.

Das Hauptproblem der Social-Media-Strategie der Staatsgewalt: Polizisten bewerten Situationen, an denen sie selbst teilhaben. So sieht es zumindest Forscherin Kleinen-von Königslow. Sie ist Hamburgerin und nennt den G-20-Gipfel als ein Beispiel für solche Bewertungen: "Die Polizei hatte keinen Überblick über die Ausschreitungen und hat online ihre eigene Sicht kommuniziert", sagt Kleinen-von Königslow. Diese Sicht sei etwa durch die Sorge um Kollegen geprägt.

Ein Tweet löste eine Online-Hetzjagd aus

Während der G-20-Demonstrationen meldete die Polizei Hamburg Molotow-Cocktails, deren Existenz bis heute nicht bewiesen ist. Der "Bewurf der Reiterstaffel mit Rauchkörper" musste direkt danach korrigiert werden: Es hatte sich, wie der nächste Tweet zum Thema zehn Minuten später erklärte, um Mehl gehandelt. Einer Mitteilung zufolge wurden Piloten eines Polizeihubschraubers durch Laserpointer-Strahlen an den Augen verletzt. Auf der Straße habe eine Einsatzkraft "eine Augenverletzung durch einen vor dem Gesicht explodierten 'Böller'" erlitten. Die Behauptung führte zu einer Online-Hetzjagd; tausende Menschen verbreiteten das Foto eines Demonstranten. Am Sonntag dementierte die Polizei, dass sie nach dem Mann fahndete - und gab schließlich, ebenfalls per Twitter, zu: "Es ist kein Polizist erblindet oder hat eine schwerwiegende Augenverletzung erlitten. Weder durch Laserstrahlen noch durch Böller."

Die Tweets kamen aus einer provisorischen Zentrale in Hamburg, in der 30 Polizisten aus ganz Deutschland zusammensaßen. Um sich über die Lage draußen zu informieren, schauten sie Hubschrauberaufnahmen an und hörten, was ihre Kollegen per Funk besprachen. Die Stimmung war angespannt, vor allem während der Ausschreitungen in der Freitagnacht, erzählt der Leiter des Hamburger Social-Media-Teams, Tobias Greve.

In der Zentrale wurde alles vor der Veröffentlichung abgesprochen. Normalerweise gilt in Greves Team nur bei brisanten Informationen ein Vier-Augen-Prinzip: Je sensibler der Inhalt, desto höher ist die Ebene, die ihn absegnen muss.

"Wischkompetenz ist nicht unbedingt Medienkompetenz"

Greve findet es wichtig, mithilfe von Social Media Krisenkommunikation zu leisten. Dass die Onliner während des Gipfels "sachlich und schnell über die Situation berichtet" hätten, sei gut gewesen, etwa um Falschmeldungen zu entkräften. Unter anderem hatten sich Gerüchte verbreitet, die Bundeswehr rücke mit Panzern oder gleich mit einer Atomrakete an, um die Randalierer zu stoppen.

Zwei Tage nach dem Gipfel postete Greves Team einen langen Text in eigener Sache. Die Onliner hätten "mit vielen 'Trollen', 'Fake-News' und Anfeindungen zu kämpfen" gehabt, heißt es da. Sie müssten nun ihre "Eindrücke gedanklich verarbeiten".

Manche verpflichten den Pressesprecher, andere ziehen Kripo-Beamte ab

Die Polizisten hinter offiziellen Online-Auftritten hätten "zum Teil nur wenig private Erfahrung und Vorwissen", sagt Thomas-Gabriel Rüdiger. Er lehrt an der Fachhochschule der Polizei Brandenburg und fordert, dass Kurse wie seiner an allen Polizei-Hochschulen eingeführt werden: Rüdiger bringt angehenden Polizisten bei, was sie Trollen antworten, wie sie Facebooks Privatsphäre-Einstellungen nutzen oder umgehen können und warum man sich bei Instagram strafbar machen kann. "Ein wenig herrscht der Gedanke vor, dass junge Leute sich automatisch in Sozialen Medien auskennen, weil sie mit ihnen aufgewachsen sind. Aber Wischkompetenz ist nicht unbedingt Medienkompetenz", sagt der Dozent.

Standardisierte Anforderungen an Online-Beamte gibt es nicht. Manche Präsidien verpflichten den Pressesprecher, nebenher zu twittern. Andere gründen Social-Media-Teams und ziehen dafür Beamte von der Verkehrsstreife oder der Kripo ab.

Ein Beispiel dafür ist Nadine Hofmann, die Ingolstädter Polizistin. Hofmann und ihre Kollegen haben nicht in ihrer Ausbildung, sondern bei Fortbildungen von PR-Agenturen gelernt, dass ein Foto die Reichweite eines Posts vergrößern kann und wie sie Nutzer einbinden können. "Mindestens genauso hilfreich" findet die Ingolstädter Beamtin die regelmäßigen Treffen mit anderen Online-Polizisten aus ganz Deutschland. Hofmann ist überzeugt, dass Tweets und Posts von Beamten kommen müssen, die selbst Diensterfahrung haben.

"Lass uns doch schreiben: Ich durfte bei Verkehrskontrollen dabei sein", schlägt Hofmanns Kollege Andreas Aichele vor und verschränkt die Arme. Sie stehen hinter der Grafikerin, die am PC ein Textfeld bearbeitet. Die Oberbayern basteln eine Collage aus Fotos einer Schülerpraktikantin - einmal mit der Verkehrsstreife, einmal beim Fingerabdrucknehmen - und zwei Sprechblasen mit Zitaten des Mädchens. Eine Sprechblase ist grün, die andere blau.

Abends werden sie die Collage auf Facebook posten. Tausende Bürger werden sie sehen. 19 von ihnen werden "Like" anklicken.

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