Spartacus-Prozess:Sodom und Camorra

Nach mehr als zehn Jahren verurteilt ein Gericht in Neapel die Führungsriege des weltweit mächtigsten Mafia-Clans zu lebenslanger Haft.

Stefan Ulrich

Es gibt noch Richter in Neapel. Ein Berufungsgericht in der süditalienischen Hafenstadt hat am Donnerstag die gesamte Führungsgruppe der "Casalesi", eines der mächtigsten Mafia-Clans der Welt, wegen zahlreicher Morde und Drogenhandels zu lebenslanger Haft verurteilt.

Spartacus-Prozess: Der Journalist Roberto Saviano verfolgt den Urteilsspruch im Spartacus-Prozess.

Der Journalist Roberto Saviano verfolgt den Urteilsspruch im Spartacus-Prozess.

(Foto: Foto: dpa)

Unter den 16 Camorra-Bossen ist auch der 55 Jahre alte Francesco Schiavone, genannt Sandokan, der aus einem Hochsicherheitsgefängnis in den Abruzzen aus noch immer die Casalesi anführen soll. Das Urteil der zwei Berufsrichter und sechs Geschworenen im sogenannten Spartacus-Prozess wird in Italien als großer Erfolg gegen das Organisierte Verbrechen gewertet - und als Demonstration, dass der Rechtsstaat die zerrüttete Region um Neapel noch nicht aufgegeben hat.

Der Casalesi-Clan aus dem Ort Casal di Principe nördlich von Neapel hatte während des Prozesses mehrere Zeugen umbringen lassen und Ermittler wie Journalisten teilweise aus dem Gerichtssaal heraus bedroht. So verlas einer der Verteidiger ein Pamphlet, in dem dem Schriftsteller und Journalisten Roberto Saviano vorgeworfen wurde, mit "gedungenen pseudojournalistischen Passagen" das Tribunal beeinflussen zu wollen.

Geschäfte mit der halben Welt

Saviano hat in seinem Camorra-Bestseller "Gomorrha" auch den Casalesi-Clan beschrieben. Seitdem lebt er unter Todesdrohungen und ständig von Polizisten bewacht im Verborgenen. Bei der Entscheidungsverkündung war Saviano nun aber in Neapel dabei. Danach sagte er: "Dieses Urteil ist nur der Anfang im Kampf gegen die kriminellen Mächte. In diesem Moment gelten meine Gedanken den Justizbeamten, die diese Ermittlungen geführt haben, mutigen Journalisten und den Gefallenen der Camorra, über die die Medien oft schweigen."

Der Ort Casal di Principe war bereits im 19. Jahrhundert wegen seiner Briganten berüchtigt. Später wurde das für seine gute Büffel-Mozzarella bekannte Landstädtchen zwischen Neapel und Caserta zu einem Zentrum der Camorra. Aus mörderischen Machtkämpfen gingen schließlich die Casalesi unter Francesco "Sandokan" Schiavone als Sieger hervor. Der Clan besteht aus etwa einem Dutzend Familien, die, im Unterschied zur Camorra in Neapel, straff und hierarchisch organisiert sind.

Eine sogenannte "Kuppel" aus mehreren Bossen trifft die strategischen Entscheidungen. So knüpften die Casalesi Geschäftsbeziehungen mit Verbrecherbanden in der halben Welt. Sie konzentrierten sich auf den Drogenhandel, auf das Geschäft mit dem Müll, insbesondere mit illegaler Giftmüll-Beseitigung, auf den Großhandel und auf die Bauindustrie.

Die Ermittlungen der Justiz und die Recherchen Savianos ergaben, dass die Casalesi auch beim Abgreifen öffentlicher Aufträge besonders erfolgreich waren. Sie sollen sich in den letzten Jahren immer mehr in eine "Unternehmer-Mafia" verwandelt haben, die die legale Wirtschaft unterwanderte und lokale Politiker durch Geld und Drohungen gefügig machte. Zugleich beherrschten sie die Gegend um Casal di Principe mit eisernem Griff.

Vergeblich um Schutz gebeten

In den vergangenen Wochen überzogen sie die Gegend nochmals mit einer Gewalt- und Mordserie, als wollten sie angesichts des Prozesses ihre Macht beweisen. So wurde Anfang Juni der Kronzeuge Michele Orsi vor einer Bar in Casal di Principe erschossen. Der Unternehmer aus dem Müllgeschäft hatte die Justiz über die Verwicklung der Camorra in die Abfallwirtschaft informiert. Er hatte vor seiner Ermordung mehrfach vergeblich um Polizeischutz gebeten.

Schätzungen zufolge sind mindestens 2000 Bürger von Casal di Principe wegen verschiedener Mafia-Delikte vorbestraft. Das Geschäftsvolumen der Casalesi soll sich laut dem Corriere della Sera auf etwa 30 Milliarden Euro im Jahr belaufen. Der Maxi-Prozess mit den vielen Verurteilungen dürfte den Clan empfindlich geschwächt haben. Allerdings sind zwei der jetzt verurteilten Bosse, Antonio Iovane und Pasquale Zagaria, immer noch flüchtig. Die Polizei hat in den vergangenen Wochen ihre Einsatzkräfte in der Gegend verstärkt. So wurden bei einer Razzia Ende Mai 50 mutmaßliche Mafiosi festgenommen und 80 Millionen Euro beschlagnahmt.

Der so genannte Spartacus-Prozess, in dem nun das Berufungsurteil erging, läuft bereits seit zehn Jahren. Er gilt als eines der größten Mafia-Verfahren in der italienischen Geschichte. Dabei wurden Hunderte von Zeugen gehört. Ausschlaggebend für die Verurteilungen waren - ähnlich wie bei Mafia-Prozessen auf Sizilien - die Überläufer aus den Reihen des Clans.

Der Vater einer dieser "Pentiti" - "Reuigen" - wurde während des Verfahrens ermordet. Nun könnte der Clan auf das Berufungsurteil mit neuen Gewalttaten reagieren. Roberto Saviano forderte daher die Behörden auf, "in ihrer Wachsamkeit gegenüber den Casalesi nicht nachzulassen". Der Richterspruch vom Mittwoch aber sei zunächst einmal ein "Sieg des Staates".

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