Spanien:Die Jagd

Madrid Protest After Death Of Immigrant Street Vendor

Hunderte demonstrieren im Stadtteil Lavapiés gegen Rassismus.

(Foto: Pablo Blazquez Dominguez/Getty)

Verscheucht von der spanischen Polizei starb der senegalesische Straßenhändler Mmame Mbage - offenbar an einem Herzinfarkt. Nach seinem Tod kam es in Madrid zu Anti-Rassismus-Protesten und gewalttätigen Ausschreitungen.

Von Thomas Urban, Madrid

Immer noch patrouillieren Polizisten im Stadtteil Lavapiés, dem vorwiegend von Afrikanern und Indern bewohnten Viertel Madrids. In der Nacht zum Freitag hatte es hier eine Straßenschlacht zwischen Hunderten Afrikanern und der Polizei geben, zwei Dutzend Personen erlitten Verletzungen, es gab mehrere Festnahmen. Anlass für die Unruhen war der Tod des 35-jährigen Straßenhändlers Mmame Mbage aus Senegal. In der Calle del Oso, der Bärenstraße, finden sich Kerzen und Blumen an der Stelle, an der er kurz zuvor gestorben war.

Wie es dazu kommen konnte, darüber existieren unterschiedliche Versionen. Ein Berater der linksalternativen Stadtregierung nannte den Verstorbenen auf Twitter ein "Opfer des Kapitalismus" und einer "Jagd der Polizei" auf Bürger aus Afrika. Schnell verbreitete sich das Gerücht, der Mann sei von der Polizei zu Tode gehetzt worden. Im Viertel Lavapiés sammelten sich Menschen zu einer großen Demonstration gegen den "Rassismus der Behörden". Der Protest entgleiste rasch: Müllcontainer und Autos wurden angezündet, eine Bankfiliale ging in Flammen auf, Polizisten wurden mit Flaschen und Pflastersteinen beworfen. In der Nacht zum Samstag zogen dann erneut Gruppen junger Afrikaner durch die engen Straßen. Bei Dutzenden Autos schlugen sie Scheinwerfer und Scheiben ein, mehrere Geschäfte wurden geplündert, drei Bankautomaten zerstört.

Mehrere Tausend Einwanderer aus Senegal, Gambia, Kamerun, Mali, Togo und anderen Ländern südlich der Sahara wohnen in dem Viertel, die Spanier nennen sie "Subsaharianos". Ein Großteil von ihnen hat in Ceuta und Melilla, den beiden Enklaven in Nordafrika, erstmals spanischen Boden übertreten. Menschen mit Aufenthaltsgenehmigung gibt es kaum unter ihnen. Vertreter der spanischen Caritas, die sich auch um in Not geratene Afrikaner kümmern, bestätigen, dass weit mehr als 90 Prozent in keiner Weise die Kriterien erfüllen, um als Flüchtlinge anerkannt zu werden. Doch werden sie geduldet, Abschiebungen sind sehr selten. Allerdings haben die allermeisten keinen Anspruch auf staatliche Hilfe. Erst ihre Kinder kommen in den Genuss des Sozialsystems, für sie gilt auch die Schulpflicht.

Vermutlich starb Mmame Mbage an einem Herzinfarkt

Ein beträchtlicher Teil der Afrikaner lebt vom Straßenhandel. Angeboten werden aus China stammende gefälschte Luxusprodukte, vor allem Handtaschen, Turnschuhe und Parfüms, sowie Raubkopien aktueller Kinofilme auf DVD. Gelegentlich verjagt die Polizei die Straßenhändler - so war es auch am Donnerstag wieder. Mehrere Dutzend von ihnen, darunter der 35-jährige Mmame Mbage, rannten aus dem Touristenviertel mit schweren Säcken zu ihren Häusern nach Lavapiés, eine Strecke von rund einem Kilometer. Doch nur eine Viertelstunde nach dem Polizeieinsatz war Mbage tot. Laut Aussagen von sechs Afrikanern, darunter seinem besten Freund, sei zum Zeitpunkt seines Todes weit und breit kein Polizist zu sehen gewesen. Vermutlich erlitt der Mann, der übergewichtig war, infolge der Anstrengung einen Herzinfarkt.

Mmame Mbage lebte seit zwölf Jahren ohne Aufenthaltsgenehmigung in Madrid, sein Asylantrag ist abgelehnt worden. Er gehörte zu der überwältigenden Mehrheit der Subsaharianos, die Rückkehrangebote ausschlagen, obwohl der spanische Staat sogar ihre Reisekosten übernehmen würde. Die afrikanischen Parallelgesellschaften sind häufig von Erpressung und Ausbeutung geprägt. So müssen die fliegenden Händler ihren Chefs hohe Vorauszahlungen für die von ihnen angebotenen Waren leisten, ihre Verdienstspannen sind minimal.

Manche spanische Soziologen sprechen in diesem Zusammenhang vom "Pepe-Syndrom". Der Begriff bezieht sich auf den in Spanien bis heute populären Spielfilm "Komm nach Deutschland, Pepe!" (Vente a Alemania, Pepe) aus dem Jahr 1972. Dieser tragikomische Film handelt von spanischen Gastarbeitern in München, die hart arbeiten, wenig verdienen, oft gedemütigt werden, aber den Zurückgebliebenen in der Heimat vorgaukeln, dass es ihnen großartig ergehe. So schildern heute auch junge Afrikaner zum Beispiel über Facebook, welch tolles Leben sie in Spanien führen. Eine langjährige Mitarbeiterin der Caritas hat beobachtet: "Sie wollen ihren Familien keine Sorgen bereiten und sie sind zu stolz zuzugeben, dass sie in eine Sackgasse geraten sind."

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