Sorge um havarierte "Costa Concordia":Heraufziehender Sturm setzt Retter unter Druck

Die Bergungsmission wird zum Wettlauf mit der Zeit: Nachdem es am Dienstagabend gute Nachrichten gegeben hatte - ein vermisste Deutsche meldete sich bei den Behörden -, sind die Helfer am Wrack der havarierten "Costa Concordia" nun in großer Sorge. Für heute ist ein Sturm vorhergesagt, der das Kreuzfahrtschiff endgültig zum Sinken bringen könnte.

An Bord herrschten Chaos und Panik, manche Passagiere mussten mehr als eine Stunde auf einen Platz in einem Rettungsboot warten: Nach ihrer traumatischen Rettung von der havarierten Costa Concordia wollten viele Überlebende nur noch nach Hause. Manche vergaßen darüber offenbar einfach, sich bei den Behörden registrieren zu lassen.

Erst jetzt, mehr als fünf Tage nach dem Schiffsunfall vor der italienischen Mittelmeerinsel Giglio, hat sich eine als vermisst geltende Frau aus der Bundesrepublik italienischen Angaben zufolge bei den deutschen Behörden gemeldet. Das Schicksal von mehr als 20 Menschen - darunter mehr als zehn Deutsche - ist jedoch nach wie vor ungeklärt. Hoffnung, die Vermissten lebend zu finden, besteht kaum noch.

Sturmflut angesagt

Am Mittwoch wurden die Bergungsarbeiten erneut ausgesetzt, weil das auf einem Felsen aufsitzende Schiffswrack weiter abrutschte. Am Donnerstag gingen die Helfer zwar wieder ans Werk - doch ihnen rennt die Zeit davon: Denn das Wetter soll sich dramatisch verschlechtern.

Italiens Umweltminister Corrado Clini äußerte die Befürchtung, eine Sturmflut könne das Schiff untergehen lassen. Es gebe nahe der derzeitigen Position der Concordia im Meer einen Abhang, der 50 bis 90 Meter in die Tiefe führe, sagte Clini im italienischen Parlament. Der Einsatzleiter der Feuerwehrtaucher, Modesto Dilda, sagte: "Es gibt ein Zeitfenster von 12 bis 24 Stunden, um die Operation abzuschließen." Ein Sprecher der Feuerwehr widersprach dieser Aussage jedoch umgehend: Für die Sucharbeiten sei keine Frist gesetzt worden - noch sei unklar, wie sich die Situation weiter entwickele.

Das Kreuzfahrtschiff war am vergangenen Freitag vor Giglio auf einen Felsen aufgelaufen und leckgeschlagen. Bisher hat das Unglück elf Tote gefordert. Unter den Opfern sind jüngsten Angaben zufolge ein Mann aus Ungarn, der auf dem Schiff als Musiker arbeitete, und zwei französische Passagiere. 21 Menschen gelten noch als vermisst.

Neben der Sorge um die Vermissten tritt ein anderes Problem zunehmend in den Vordergrund: Umweltexperten befürchten, die Havarie könnte das Ökosystem weit über die Insel hinaus schädigen. An Bord des Wracks befinden sich fast 2500 Tonnen Treibstoff. Der Umweltverband Legambiente sprach schon von bedeutenden Schäden für die Natur vor der toskanischen Insel Giglio als Folge der Lösungsmittel, Schmieröle, Lacke und Reinigungsmittel an Bord der Costa Concordia. Die Unglücksstelle liegt mitten im Pelagos-Meeresschutzgebiet. Das ist das wichtigste Walschutzgebiet im Mittelmeer.

"Dieser Felsen hat mich überrascht"

Unterdessen werden immer neue Details aus den Vernehmungen von Kapitän Francesco Schettino bekannt. Die Untersuchungsrichterin warf dem Kommandanten ein unbesonnenes Manöver vor, als er viel zu nahe an die Insel heranfuhr. Zudem habe er den Schaden am Schiff nach der Kollision mit dem Felsen unterschätzt. Als Schettino das Kreuzfahrtschiff verlassen hatte, habe er keinen ernsthaften Versuch unternommen, wieder in die Nähe der Costa Concordia zu kommen.

Satellite image showing the cruise ship Costa Concordia that ran

Satellitenbilder vom Donnerstag zeigen Wolken, die über dem vor Italiens Küste havarierten Kreuzfahrtschiff Costa Concordia aufziehen: Die Retter befürchten, ein Sturm könnte das Schiff endgültig zum Sinken bringen.

(Foto: dpa)

Der 52-Jährige selbst vertritt hingegen eine ganz eigene Version des Geschehens in der Unglücksnacht. Zwar räumte er Fehler ein: "Es ist etwas schiefgelaufen, denn ich habe zu spät gelenkt", zitierte ihn der Corriere della Sera. "Ich bin auf Sicht gefahren, denn ich kannte den Meeresboden." Er sei die Route "schon drei- oder viermal abfahren, aber dieser Felsen hat mich überrascht", sagte Schettino demnach. Jedoch stritt der Kapitän ab, das Schiff absichtlich vorzeitig verlassen zu haben.

"Ich wollte nicht abhauen"

Er sei versehentlich in ein Rettungsboot gefallen, als er bei der chaotischen Evakuierung an Bord strauchelte. "Ich wollte nicht abhauen, sondern habe Passagieren geholfen, ein Rettungsboot ins Wasser zu lassen", sagte er demnach vor der Richterin. Als der Absenkmechanismus blockierte und unvermittelt wieder ansprang, "bin ich gestrauchelt und lag plötzlich zusammen mit den Passagieren im Boot". Daraufhin habe er nicht mehr auf das Schiff zurückkehren können, weil dieses schon zu schräg gelegen habe. Der Richterin zufolge blieb der Kapitän auf einem Felsen in Sichtweite der Concordia.

Der Verteidiger des Kapitäns stellte sich hinter seinen Mandanten: Schettino habe auf ihn nicht den Eindruck gemacht, ein Feigling oder ein Krimineller zu sein, sagte Bruno Leporatti. Ein Gesprächsprotokoll zwischen dem Kommandanten und der Hafenaufsicht in Livorno belegt jedoch die völlig chaotische Rettungsmaßnahmen.

Dem Kapitän wird mehrfache fahrlässige Tötung, Havarie und Verlassen des Schiffes während der Evakuierung vorgeworfen. Dem 52-Jährigen drohen bei einer Verurteilung bis zu 15 Jahre Haft. Weil keine Fluchtgefahr bestehe, wurde der Kapitän mittlerweile unter Hausarrest gestellt.

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