Sommerloch 1962:Der gottlose Doppelflug

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Endlich kann weltweit geglotzt werden. Ein russischer Raumflug bestätigt: Die Erde ist rund und keine Spur von Gott im All. Das ärgert den Vatikan - und die Flat Earth Society.

Johannes Honsell

1962 gab es keinen Sommer. Neun Grad in Greifswald, 15,9 Grad Durchschnittstemperatur. Kälter war es seit 111 Jahren nicht. Wo kein Sommer, da kein Sommerloch?

Am Anfang erschien der Mann mit der Pfeife: die ersten Bilder des Fernsehsatelliten Telstar (Foto: Foto: AP)

Gemach. Auch in jenem Sommer wurde der Nachrichtenstrom dünner. Ein paar Krawalle in Schwabing, Brasilien wieder Fußballweltmeister, ein Forscherteam sichtete "drei Höcker" des Loch-Ness-Ungeheuers. Und das Deutsche Fernsehen übertrug im Samstagabendprogramm die "Entscheidung im WM-Herren-Kunstturnen".

Weil auf der Erde nicht viel passierte, füllte sich das Sommerloch mit Nachrichten aus dem All. Die Amerikaner schickten den ersten Fernsehsatelliten in die Umlaufbahn - für eine vernetztere Welt, leider nicht wirklich für besseres Fernsehen.

Bei der Premiere übertrug er erst Berichte aus allen Teilen Amerikas, dann eine Kennedy-Pressekonferenz, später einen "Streifzug durch Europa". Immerhin: Das Fernsehen schläferte erstmals Millionen Menschen auf mehreren Kontinenten gleichzeitig ein.

Sonst war es keine gute Zeit für die US-Raumfahrt. Als die Nasa es Anfang des Jahres zum ersten Mal schaffte, die Erde zu umkreisen, war der Russe Gagarin längst wieder auf der Erde. Die Venus-Sonde Mariner I musste im Juli gleich nach dem Start gesprengt werden, ein Nasa-Techniker hatte sich bei einem Bindestrich geirrt.

Selbst die Queen gratulierte den russischen Raumfahrern

Wie glorreich dagegen die Russen! Als erste überhaupt schickten sie im Sommer zwei bemannte Raumkapseln gleichzeitig in die Umlaufbahn: Wostok 3 und Wostok 4. Die beiden Kosmonauten Nikolajew und Popowitsch kommunizierten als erste im All miteinander. Bei ihrer Rückkehr waren sie Helden, euphorisch empfangen vom Sowjetvolk, Chrustschow und sogar der britischen Königin.

Nicht nur die Amerikaner traf dieser Erfolg ins Mark. Die Vatikanzeitung Osservatore Romano war erbost, weil die Kosmonauten nach ihrer Rückkehr geäußert hatten, sie hätten bei ihrem Raumflug Gott nicht gesehen.

Das sei "ein Sturz aus den schwindelerregenden Höhen des Mutes in einen ebenso tiefen Abgrund des Blödsinns", giftete das Blatt des Papstes. Die antireligiöse Propaganda bliebe beim Sowjetvolk anscheinend so fruchtlos, dass den Kommunisten gar nichts mehr zu blöd sei.

Und noch jemand war sauer. Da der gottlose Doppelflug bestätigte, dass die Erde eine Kugel ist, stieg in London die "International Flat Earth Society" auf die Barrikaden: Die sowjetische Erdumkreisung beweise gar nichts, die Erde sei flach, schließlich fielen andauernd Menschen von ihren Rändern herunter.

Die britischen Zeitungen wollten Beweise sehen, die Flat Earth Society behalf sich mit einem kugelrunden Zirkelschluss: Das ließe sich nicht beweisen, weil: Wer von der Scheibe fällt, kann nicht mehr darüber reden.

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