Skurrile Details im Fall Tatjana Gsell:Verräterische Botschaft mit Lippenstift

Staatsanwaltschaft deckt immer skurrilere Details der Beziehung zwischen Tatjana Gsell und Helmut Becker auf.

(SZ vom 9./10.8.2003) Im Herbst vergangenen Jahres bekam der Düsseldorfer Autopleitier Helmut Becker Einsicht in seine Ermittlungsakte. Die örtliche Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den heute 61 Jahre alten Kaufmann wegen möglicher Insolvenzdelikte. Besonders aufmerksam betrachtete er den Umschlag eines Schreibens, in dem ein Anonymus Becker verdächtigt hatte. Die Handschrift einer Frau, dachte er, also eine Anonyma. Als er ein paar Wochen später morgens in seinem gemieteten Appartement in Marbella ins Badezimmer ging, hatte seine Lebensgefährtin Tatjana Gsell mit Lippenstift einen lieben Gruß auf den Spiegel gemalt. In diesem Augenblick wusste Becker, dass sein Verdacht richtig gewesen war. Der Brief, den der im Fall Becker ermittelnde Düsseldorfer Staatsanwalt Martin Kreuels sorgfältig ausgewertet hatte, stammte von einer Frau - jener Frau, mit der er seit Monaten auf Marbella zusammenlebte. Die beiden blieben trotz alledem ein Paar.

Es ist ein wüstes Stück, das zwischen Marbella, Düsseldorf und Nürnberg spielt. In die turbulente Handlung sind juristisch und auch sonst der 32Jahre alte Hofer Staatsanwalt Stefan M., der 61Jahre alte Becker und seine einstige Gespielin Tatjana Gsell, 32, verstrickt. Das Opfer ist der Nürnberger Schönheitschirurg Franz Gsell, 76, der am 26.März an den Folgen eines Raubüberfalls verstarb. Er hatte seine Frau vor sieben Jahren geheiratet und sie ein rundes Dutzend mal unters Messer genommen. Seit April dieses Jahres sitzt Frau Gsell, 32, in Nürnberg in Untersuchungshaft. Sie wird verdächtigt, in die Planung des Raubüberfalls verwickelt zu sein, aber bestreitet vehement. Auch der Hofer Staatsanwalt, der ebenso wie Herr Becker mit Frau Gsell ein Verhältnis hatte, sitzt in Haft. Gegen den Autohändler wird auch in Nürnberg ermittelt, gegen ihn gibt es aber im Todesfall Gsell keinen dringenden Tatverdacht.

Eine tragische Seifenoper, in der lauter Leute vorkommen, die für die Illusion, am brausenden Leben teilzuhaben, eine Menge unverständlicher Dinge getan haben. Für die tüchtigen Nürnberger Ermittler erweist sich der Fall, in dem noch keine Auflösung in Sicht ist, als schwierig. Dies zeigt exemplarisch die komplizierte Beziehung zwischen Tatjana Gsell und dem Autohändler Becker. Für die bunten Blätter spielten beide ein trautes Liebespaar. Helmut Becker schwärmte öffentlich: "Ich liebe Tatjana. Eine Liebesintensität wie ich sie noch nie erfuhr." Tatjana schwärmte auch. Er schickte ihr Rosen, beide turtelten auf Marbella.

Mehr Einblick in das wahre Verhältnis bekamen die Ermittler in den vergangenen Monaten. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hatte das Amtsgericht Nürnberg am 12. März die Erlaubnis gegeben, Frau Gsell, abzuhören. Am 16. April telefonierte sie mit ihrer Mutter über Herrn Becker. Die Tochter soll den Autohändler verlassen, drängte die Mutter. Sonst sei der Mann ihr "Untergang". TatjanaG. stimmte zu, gab aber zu bedenken, dass sie aufpassen müsse. Becker sei "so pressefreudig". Die Mutter wollte noch mal grundsätzlich über die Liaison reden und die Tochter meinte ausweichend, "na ja, er hat gedacht, das ist eine junge Frau". Im April stiegen Becker und Gsell noch als "Herr und Frau Hagen" getarnt, in bayerischen Hotels ab. Ein paar Wochen zuvor, am 11. Januar noch, hatten beide in angeblich trauter Harmonie in Marbella einen Neujahrsempfang gegeben und sich mit dem Vater des Rennfahrers Harald Frentzen fotografieren lassen. Das Geld für den Empfang, rund 3000 Euro, hatten sie geschnorrt. Beide hatten monatelang das flotte und teure Leben auf Marbella auf Kosten von Franz Gsell geführt.

Die Frau des Schönheitschirurgen habe immer versucht, von Herrn Becker wegzukommen, hat der Hofer Staatsanwalt Stefan M. den Ermittlern gesagt. Becker habe sie erpresst. Auf entsprechende Fragen der Ermittler hat Becker diese Behauptung vehement dementiert. Sie behauptet bei den Vernehmungen, Becker habe ihr ständig "Geld abverlangt" und gedroht "das Gesicht zu verschneiden". Der "psychische Druck" sei groß gewesen. Er dementiert vehement, und räumt nur ein, dass er quasi mittellos gewesen sei.

In einem Verhör am 13. Mai lenkte sie bei der Frage der Ermittler, wer aus Marbella am Tag des Überfalls auf Franz Gsell mit den Räubern Kontakt hatte, den Verdacht auf ihn. Als sie von der Tat erfahren habe, sei sie fast zusammengebrochen und habe ihn angeschrieen: "Das war das Schlimmste, was du meinem Mann angetan hat." Er dementiert vehement jede Tatbeteiligung und hat sich inzwischen einen bekannten Anwalt von der Düsseldorfer Kö genommen. Öffentlich wird noch ein bisschen geflunkert. Der verarmte Becker erklärt in Interviews, er hoffe, dass sie "nicht schlecht" über ihn rede.

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